Historisches Hofheim am Taunus

Altes für die Zukunft bewahren!



Die Versteigerung des Hofheimer Büttelturmes im Jahre 1787


Hans Ulrich Colmar


Der Turm als Gefängnis und Dienstwohnung des Büttels

Der frühere "Büttelturm" wird heute als Weinlokal genutzt - Foto: Heiko Schmitt

Der Hofheimer Büttelturm war ursprünglich Teil der Stadtbefestigung. Seine Erbauung geht daher vermutlich auf die Zeit nach der Verleihung der Stadtrechte an Hofheim im Jahr 1352 zurück, als man die kleine Ackerbürgerstadt mit Mauern umgab. Im Lauf der Jahrhunderte nahm mit der Weiterentwicklung der Waffentechnik seine fortifikatorische Bedeutung stetig ab, so dass man ihn in seinem unteren Bereich – wie in vielen Städten üblich – als Gefängnis nutzte, sei es für zahlungsunfähige Schuldner, sei es zur Unterbringung kleinerer Übeltäter, als Karzer oder Ausnüchterungszelle, in den vorliegenden Akten (dieser Beitrag fußt im Wesentlichen auf den Akten 106/870 u. 1105 des Hess. Hauptstaatsarchivs Wiesbaden) als „Gehorsam“ bezeichnet. Doch auch in dieser Funktion war der Turm Ende des 18. Jahrhunderts nicht mehr verwendet worden, so dass die Stadt auf ihn verzichten konnte.

Die Bezeichnung „Büttel“-Turm erklärt sich daraus, dass der Hofheimer Gerichtsdiener, der sog. „Büttel“, im Obergeschoss seine Dienstwohnung hatte, d.h. das Wohnrecht auf Dauer seiner Dienstzeit war Bestandteil seiner Besoldung. So wurden in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zusätzlich zu seinem Jahresgehalt von 41 Gulden 53 Kreuzer 4 Gulden für die Wohnung und zuzüglich 2 Gulden für ein „Bürgerlos“ (freies Losholz der Stadtbürger) angerechnet, so dass sich sein jährliches Gesamteinkommen auf 47 fl. 53 xr belief. Als im Jahr 1783 – das Amt Hofheim war mittlerweile zum Vogteiamt degradiert und das übergeordnete Oberamt Höchst-Königstein eingerichtet worden – der Vogteidiener Lenz die Gerichtsdienerstelle in Personalunion mit übertragen bekam, wurde ihm auch die Dienstwohnung im Büttelturm angewiesen. Da er jedoch eine eigene Wohnung besaß und der Büttelturm in unbewohnbarem Zustand war, verzichtete er auf sein Wohnrecht und wollte dafür den entsprechenden Betrag ausgezahlt bekommen.

Dem kritischen Oberamtmann Scheppler in Höchst fiel dabei sofort ein doppelter Widerspruch auf: einerseits sollten für Lenz statt der 4 fl. für seinen Vorgänger nunmehr 8 fl. für die Dienstwohnung veranschlagt werden, andererseits drängte Lenz angeblich den Hofheimer Bürgermeister, den Büttelturm reparieren zu lassen, damit er ihn bewohnen könne. Raffinierterweise empfahl Scheppler dem Hofheimer Amtsvogt Bender, der sich zu offensichtlich für die Interessen seiner Hofheimer einsetzte, dem Vogteidiener den in weit besserem Zustand befindlichen sog. Schlosserturm zur Wohnung „in natura“ anzuweisen, worauf nicht näher eingegangen wurde. Es lief vielmehr alles auf den offenbar längst geplanten Verkauf des Turms hinaus, für den eine Renovierung günstigere Voraussetzungen schaffen sollte.

Missachtung des Dienstwegs durch einen eigenmächtigen Bürgermeister

Bekanntlich verdanken wir einen Großteil der in Archiven lagernden Akten Unstimmigkeiten und Kompetenzstreitigkeiten zwischen den beteiligten Parteien. Die entsprechenden Protokolle sind um so ausführlicher und komplizierter, je mehr Behörden betroffen sind, z.B. durch den z.T. bis in die Gegenwart bestehenden Dienstweg mit seiner hierarchischen Struktur und den damit meist verbundenen zeitlichen Verzögerungen bei der Entscheidungsfindung. Dem heutigen Dienstweg: Stadt – Kreis – Regierungspräsident – Ministerium entsprach im ausgehenden 18. Jahrhundert der Dienstweg: Stadt – Vogteiamt – Oberamt – Kurfürstl. Regierung, den man nicht ungestraft ignorieren durfte, wie der Hofheimer Bürgermeister (Kämmerer) erfahren musste.

Obwohl nämlich der Büttelturm Eigentum der Stadt war, hatte diese keine Verfügungsgewalt über ihn und musste folglich bei allen dieses Gebäude betreffenden Maßnahmen den Konsens der „Kurfürstlich Hochlöblichen Landesregierung in Mainz“ einholen – wohlgemerkt, auf dem Dienstweg.

Synagoge zw. 1892 und 1908, li. Gebäude der Lederfabrik Engelhard, ab 1897 Neumann - Foto: Stadtarchiv Hofheim

Da passierte das „Ungeheuerliche“, dass sich Bürgermeister Westenberger erdreistete, den völlig heruntergekommenen Stadtturm für 19 fl. 34 xr. reparieren zu lassen und den diesbezüglichen Voranschlag erst im Nachhinein zur Genehmigung einzureichen (was übrigens auch heute noch pflichtwidrig wäre). Da dies nicht seine erste Eigenmächtigkeit war, wird er mit 3 Reichstalern Strafe belegt und erhält die Androhung, im Wiederholungsfall auch noch für die gesamten Reparaturkosten aufkommen zu müssen (wozu es heute nicht mehr käme!). Dabei spielt keine Rolle, wie dringend oder sinnvoll die Maßnahme war: entscheidend war ausschließlich, ob der herrschaftliche Konsens vorlag oder nicht.

Beschreibung des Büttelturmes und seines Zustands im Jahr 1787
(im Originalwortlaut):

„Dieser Thurn stehet in der Stadtmauer, und sein innerer Raum bestehet:
a) auf der Erde in einem alten Gewölb, dem vormaligen Gehorsam,
b) ober diesem Gewölb in einem kleinen Stübgen und noch kleinerem Kämmergen,
c) und übrigens in einem kleinen, für 2 Stück Viehe brauchbarn, an die Stadtmauer angebauten Ställgen.
Der Zustand des Thurns, in specie aber das Dachwerk und die Stiege desselben sind äußerst schadhaft …“

Nur zu gut kann man sich vorstellen, dass sich die Stadt von diesem überflüssigen, nur Unterhaltungskosten verursachenden Gebäude trennen wollte, gemäß dem damals wie heute gültigen Grundsatz, „dass durch die Verminderung der entbehrlichen Gebäulichkeiten der gemeinheitliche Vorteil vergrößert werde“, heute vornehm „Privatisierung“ genannt.

Die Versteigerung des Büttelturms

Man ist erstaunt, dass sich angesichts des desolaten Zustands überhaupt Kaufinteressenten finden, zumal zu dem Kaufschilling die jährlichen Gebühren für „Grundschatzung“ (Grundsteuer) und „Feuerassekuranz“ (Feuerversicherung) kommen. Folgende Steigerer sind erschienen: Anton Krimmel, Philipp Kaßler, Martin Lottermann, Konrad Becker, Michel Veith, Wilhelm Krebs und Jacob Geis. Bei genauer Betrachtung des Versteigerungsprotokolls fällt ins Auge, dass Geis überhaupt kein Gebot abgibt und Lottermann nach einem einzigen Versuch mit 101 „aussteigt“. Abgesehen von zwei Versuchen des Wilhelm Krebs mit 162 bzw. 170 fl., besteht die ganze Versteigerung aus einem dramatischen „Kopf-an – Kopf – Rennen“ von Konrad Becker und Philipp Kaßler, die durch ständiges Sich-Überbieten den Kaufpreis von 100 bis auf 206 fl. hochtreiben, wo ihnen „die Luft ausgeht“. Pikanterweise tritt jetzt erst Anton Krimmel in Erscheinung der mit seinem einzigen Gebot von 215 fl. den Zuschlag erhält. Über die Motive der einzelnen Bieter kann man nur spekulieren. Möglicherweise galt der Besitz des Turmes als Prestigeangelegenheit, und der Schreiner Krimmel war – jenseits aller Rentabilitätsüberlegungen – stolz, das historische Bauwerk erworben zu haben.

Selbst die für die Genehmigung zuständigen Beamten sind überrascht, dass für das alte Gemäuer ein so stattlicher Verkaufspreis erzielt werden konnte. So empfiehlt sogar der sonst so kritische Scheppler seiner Regierung in Mainz, den erforderlichen Konsens zu erteilen, was diese am 18. September 1787 mit den Worten „der Verkauf … wird vollkommen genehmigt“ sichtlich erfreut und bereitwillig tut. 

Auszug aus dem Protokoll vom 11. August 1787:

Name der Steigerer


Gebot in Gulden


Konrad Becker


100


Martin Lottermann


101


Philipp Kaßler


120


Konrad Becker


125


Michel Veith


130


Konrad Becker


135


Philipp Kaßler


140


Konrad Becker


150


Philipp Kaßler


155


Konrad Becker


158


Philipp Kaßler


160


Konrad Becker


161


Wilhelm Krebs


162


Philipp Kaßler


166


Wilhelm Krebs


170


Konrad Becker


180


Philipp Kaßler


181


Konrad Becker


185


Philipp Kaßler


195


Konrad Becker


200


Philipp Kaßler


205


Konrad Becker


206


Anton Krimmel


215


Der Büttelturm als Synagoge

Wie lange der Turm im Besitz des Bürgers Anton Krimmel war, ist den Akten nicht zu entnehmen. Ebensowenig, ob er ihn direkt an die jüdische Gemeinde Hofheim verkaufte oder ob es Zwischenbesitzer gab. Nachweislich war die „Judenschule“ über ein Jahrhundert lang in der Judengasse hinter der Kirche untergebracht, bis das Gebäude 1781 – nach Geltendmachung des Abtriebsrechts durch einen „christlichen“ Mitbürger – abgerissen wurde und die Hofheimer Juden 7 Jahre lang die Hattersheimer Synagoge besuchen mussten. 1788 gelang es den Hofheimer Juden, ein anderes Wohnhaus in der Stadt zu erwerben und darin ihre Synagoge einzurichten, wo sie mindestens bis 1795 verblieb. Damit ist bis auf weiteres ein „terminus post quem“ gegeben, d.h. ein Zeitpunkt, zu dem frühestens die Synagoge in den Büttelturm verlegt wurde (vgl. hierzu Beitrag des Verfassers „Aus dem Leben der Juden in Stadt und Amt Hofheim im 18. Jahrhundert“ im MTK-Jahrbuch „Zwischen Main und Taunus“ 1996, S. 17 ff.). Möglicherweise geschah dies aber auch erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts in nassauischer Zeit, denn auch die jüdische Gemeinde von Höchst kaufte 1805 den dortigen überflüssig gewordenen Bad- oder Hinterturm, um ihn als Synagoge zu nutzen.


Zur Person:

Hans Ulrich Colmar (1935 – 2010) – Schulleiter und Historiker, Übersetzer der Gerichtsbücher von Hofheim, hat die „Tore weit in die Vergangenheit geöffnet“. Weitere Informationen zu seiner Person siehe hier.


Der Bericht wurde in „Zwischen Main und Taunus – Jahrbuch des Main-Taunus-Kreises, 1998, 6. Jahrgang, Seite 71-73“ veröffentlicht. Mit freundlicher Genehmigung des Main-Taunus-Kreises präsentieren wir diesen Beitrag. Herr Colmar ist 2010 verstorben. Wir konnten leider keine Nachfahren ausfindig machen und um Zustimmung zur Veröffentlichung bitten. Wir glauben, dass es in seinem Sinne wäre, dass wir diesen Beitrag zur Hofheimer Historie auf unserer Website präsentieren.

 

Bearbeitung: Historischer Arbeitskreis Hofheim am Taunus (Wilfried Wohmann)

  


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