Historisches Hofheim am Taunus

Altes für die Zukunft bewahren!


22.03.1944 - 80 Jahre Bombenangriff auf Frankfurt aus Hofheimer Sicht, Zeitzeugenbericht, „Es gibt kein Frankfurt mehr!"



 

Als mir vor wenigen Tagen ein fein säuberlich aufbewahrtes Bündel Feldpostbriefe in die Hände fiel, eröffnete sich mir eine ganz neue Sicht auf die Ereignisse vor 80 Jahren in meiner Heimatstadt Hofheim am Taunus.

In dem Bündel entdeckte ich Briefe meines Onkels Theo Krupp, gerichtet an seinen älteren Bruder Hermann, der seit dem 23. Februar 1944 als Kanonier in die Beobachtungsabteilung 7 in München eingerückt war und eine Ausbildung in der Vermessungsabteilung der Artillerie absolvierte. Theo nutzte gerne die Gelegenheit, Hermann mit Informationen aus der Heimat zu versorgen ebenso wie Arbeitskollegen, Kameraden und Kameradinnen, vor allem aber Mutter Toni Krupp, die in regem Briefverkehr mit ihren Söhnen stand. Sie war stets bemüht, zu deren Gesundheit beizutragen und Päckchen mit Kuchen und dergleichen zu schicken, damit keiner Hunger leiden müsse.

Hofheim war 1944 noch ein pittoreskes Städtchen am Taunusrand mit vielen Freiflächen ringsum und einer viel spärlicheren Bebauung als heute. Den jungen Mädchen erschien das Leben in Hofheim nach dem Einrücken vieler Jungen und Mädchen zum Reichsarbeitsdienst (RAD) recht fad. „Alles ist wie ausgestorben. Es laufen nur noch kleine Buben und alte Herren herum. Nun ja, das ist eben der Krieg.“ meinte schon im Oktober 1943 Elfriede M. in einem Brief an Hermann, damals noch beim Reichsarbeitsdienst (RAD) in Irrel in der Eifel.

Die Post war 1944 zwischen 14 Tagen und 4 Wochen von München aus unterwegs, was die Mütter natürlich auf „heißen Kohlen“ sitzen ließ. Frau H. beklagte sich bei Toni (Bf. 16.3.44), dass Sie von ihrem Hans schon 5 Monate keine Nachricht habe.

 

Theos Brief vom 29. März 1944 - Fotos: I. Krupp




Theo hat seinen Brief vom 29. März 1944 mit der Schreibmaschine getippt, vermutlich konnte er sie in der HJ-Dienststube benutzen. Papier war knapp in dieser Zeit, das sieht man den Briefen an: Sie sind aus schlechtem Papier, mal dünn wie Zellophan, überwiegen aber eher von Löschpapierqualität, DIN A 5 groß, normalerweise beschrieben mit leicht verlaufender Tinte, meist aber engzeilig mit Bleistift.

Theo teilte seine Kriegserlebnisse um den Großangriff auf Frankfurt lieber alleine seinem Bruder in einem Brief mit, den er ausdrücklich bittet, ihrer Mutter nichts von solchen Sachen zu schreiben, denn „Mutti regt sich sonst unnötig auf.“

Der Brief beginnt mit der erfreulichen Mitteilung, dass er im April als Maurerlehrling zur Firma Kunz und Söhne in der Bolongarostraße in Höchst kommt.  Eine gute Grundlage für seinen späteren Berufsweg als Architekt, aber bei den Baustellen, auf denen zu arbeiten war, sicher kein Honigschlecken: am Ostbahnhof in Frankfurt oder bei IG Farben galt es wahrscheinlich Kriegsschäden zu beseitigen.

Vor 80 Jahren hat er als 16-jähriger Hofheimer Junge hautnah den großen Fliegerangriff auf Frankfurt am Main erlebt und zwar in Hofheim, wo man sich damals wie im Auge eines Hurrikans fühlen konnte:

Es war ein ganz gewöhnlicher Abend an dem Theo und seine Kameraden gerade ihren Pflichtdienst beendet hatten und beim Kartenspiel saßen, als die Sirenen Voralarm gaben, was die Jungen kaum beachteten. Selbst als „das Schießen anfing“, blieben sie noch ruhig sitzen. Erst als ein mächtiger Schlag Theo an die Wand wirft und die Fensterscheiben splittern, rennen sie in den Keller. „Es rumst und kracht, es schießt und brummt, daß einem die Ohren wehtuen.“ beschreibt Theo das Geschehen.

In einer Gefechtspause gehen die Jungen neugierig hinaus und sehen, „daß ganz Frankfurt brennt“ und „ein Luftgängster brennend abstürzt“.

- In dieser Nacht wurden über Frankfurt nur drei feindliche Flugzeuge abgeschossen. (Armin Schmid, Frankfurt im Feuersturm, Die Geschichte der Stadt im 2. Weltkrieg, Frankfurt 1965, S.127) -

Es folgen unzählige Bombeneinschläge und „mörderisches“ Flakfeuer. (z.B. von der Flakstellung am Häuser Hof)


Flakstellung am Hof Hausen, Juni 1943 - Quelle: StadtAHofh, Best. AV Medien, Sig. 0125 AV

 


Nachdem die Bomberwellen endlich abgeflogen sind, funktioniert das Licht nicht mehr und auf der „Befehlsstelle“, zu der sie eilten, ist noch kein Einsatzbefehl angekommen, weil alle Verbindungen abgerissen sind. Die Jungen stürmen auf den idealen Hofheimer Aussichtspunkt: den Steinberg und sehen: Frankfurt, Griesheim, Höchst und das IG Farben Silo sind ein Flammenmeer. Theo hält das „Schauspiel“ in einer Zeichnung fest.

 

Zeichnung von Theo Krupp - Foto: I. Krupp


Zugleich entdecken sie, dass der Hof Hausen brennt. Auf dem Weg dorthin werden sie von der Feuerwehr aufgehalten und zurück auf die Befehlsstelle geschickt. Als dort nichts für sie zu tun ist, gehen sie nach Hause.

 

In Frankfurt hatte es nach einem Bericht von Wilhelm Kurt, wohnhaft Großer Kornmarkt 18 in Frankfurt am Main am 22.3.44 um 8.45 Uhr abends Voralarm gegeben und nachdem er mit seiner Frau den Luftschutzkeller Kornmarkt 18 aufgesucht hatte, detonierten schon die ersten Bomben. (Armin Schmid, Frankfurt im Feuersturm, Die Geschichte der Stadt im 2. Weltkrieg, Frankfurt 1965, S.135)

Viele Frankfurter waren von dem britischen Großangriff genau so überrascht wie Theo und seine Kameraden, zumal nicht mehr alle Sirenen in Frankfurt funktionstüchtig gewesen sein dürften, denn man rechnete nicht mit einem Angriff auf die Stadt, sondern hatte sich von einem Scheinangriff auf Kassel täuschen lassen, weswegen der Sirenenalarm „Fliegerangriff“ erst 5 Minuten nachdem die ersten Bomben bereits gefallen waren ertönte.
(Wie Frankfurt im Luftkrieg zerstört wurde. Nr. 1 Presse- u. Informationsamt der Stadt Frankfurt am Main, April 1987)

Im Gegensatz zum Angriff auf Hamburg haben in Frankfurt viel mehr Menschen dem Inferno entgehen können, weil es ein zusammenhängendes System mittelalterlicher Gewölbekeller in der Altstadt gab, in dem man sich von Keller zu Keller „durchschlagen“ konnte bis zum Main, wo der Feuerwehr im Gegensatz zum übrigen Stadtgebiet genügend Wasser zur Verfügung stand, um einen Löschstrahl gegen den 60m/sek. schnellen Feuersturm (Armin Schmid, Frankfurt im Feuersturm, Die Geschichte der Stadt im 2. Weltkrieg, Frankfurt 1965, S.127) vom Römerberg einzusetzen.

Am nächsten Morgen marschierten Theo und seine „Rotte“ (als wäre nichts gewesen) um 3.30 Uhr zum Hofheimer Bahnhof, um mit dem 1. Zug zu ihrem Flugdienst nach Eschbach bei Usingen zu fahren. Dort schulte die Flieger-HJ Jungen am Wochenende im Segelflug. An diesem Lehrgang nahm auch Theos Freund und Nachbarjunge, Günther Rühl teil, wie aus anderen Briefen hervorgeht.

Ihre morgendliche Bahnfahrt endete in Höchst, weil der Bahnhof getroffen war und die Strecken nach Frankfurt und Usingen gesperrt blieben. „Überall war entsetzlicher Qualm.“ beschreibt Theo die Situation in Höchst. Es kam kein Zug mehr und so mussten sie die Rückfahrt nach Hofheim in einem Güterwagen antreten.

An solche Engpässe war man inzwischen gewöhnt. Toni Krupp beklagte sich bei Hermann, dass sie jüngst im Bahnhof Höchst angekommen, sogleich zwei Stunden im dortigen Bunker verbringen musste. (Bf. v. 19.3.44)

In Hofheim erwartete Theos Truppe „genug Arbeit“: nämlich Flüchtlinge einzuweisen: „nur 528 Personen“ kamen an diesem Tag, dem 23. März 1944, in Hofheim an, bemerkt Theo lakonisch. Dazu passt ein an den Mauerresten eines zerstörten Frankfurter Hauses angebrachtes, ebenfalls mit Galgenhumor geschriebenes Schild: „Es war uns hier zu drollig, jetzt wohnen wir in Hofheim mollig. Familie Sch.“ (Armin Schmid, Frankfurt im Feuersturm, Die Geschichte der Stadt im 2. Weltkrieg, Frankfurt 1965, S.167)

Ansicht vom Frankfurter Dom und der zerstörten Altstadt im März 1944. aus: A. Schmid, Frankfurt im Feuersturm, Frankfurt 1965, Foto. I. Krupp
Am Tag darauf, dem 24. März 1944, waren die Hofheimer Hitlerjungen in Frankfurt im Einsatz und nutzten dabei, als sie nicht mehr gebraucht wurden, die Gunst der Stunde: „wir machten uns dünn“ und „stromerten durch ganz Frankfurt“. Theos Fazit: „Kein Haus, das noch steht! Es ist unheimlich, wie es da aussieht. Von allem steht noch der Dom.“

Eigentlich stand nur noch der Domturm, denn Langhaus und Querschiff waren ihrer Dächer beraubt und schwer beschädigt. Er überragte mit seiner imposanten Spitze das Trümmerfeld der Altstadt, die dem von 1000 britischen Flugzeugen mit unzählig vielen Brand- und Sprengbomben ausgelösten Feuersturm, nichts hatte entgegensetzen können. Ausgerechnet an Goethes Todestag, dem 22.3.44 wurde auch das Goethehaus ein Raub der Flammen und den Rest besorgte das Löschwasser.

Um die Bevölkerung zum Durchhalten zu motivieren, ließ Gauleiter Sprenger das Plakat: “Frontstadt Frankfurt hält sich!“ aufhängen. Theo war es offenbar wichtig, dies gegenüber seinem Bruder zu erwähnen, ohne es jedoch zu kommentieren.

Auch am folgenden Tag haben die Jungen Dienst: dieses Mal geht es nach Griesheim zum Haus von Unteroffizier Weinbruchs Mutter. Theo beschreibt die Situation so, dass nur Hofheimer den Größenvergleich verstehen: eine einzige Bombe habe ein Gebiet wie „Borngasse, Hauptstraße und Mühlgasse“ zerstört. Danach mussten sie noch zwei Tote ausgraben und in einen Keller „von nur 40 Grad Hitze“ eindringen, um „zu retten, was zu retten war.“

„Hoffentlich brauchst Du das nicht mitzumachen!“ wünscht Theo seinem älteren Bruder Hermann, was eindrücklich belegt, dass dies alles keine leichten Aufgaben für einen 16-jährigen Hofheimer Jungen waren.

Auch der Schlusssatz seines Berichtes über den Großeinsatz in Frankfurt sagt viel über das im zerbombten Frankfurt Erlebte aus und welche Bedeutung die Stadt für einen Hofheimer Jugendlichen in der damaligen Zeit hatte: „Es gibt kein Frankfurt mehr!!!“

Jetzt war das Grauen des Krieges ganz nahe und fühlbar an Hofheim herangerückt.


Text und Fotos: Dr. Ingrid Krupp M.A., März 2024
Quelle: Feldpostbrief aus dem Nachlass Hermann Krupp

 


Wir danken der Autorin für die kostenfreie Überlassung des Beitrags.



Bearbeitung: Historischer Arbeitskreis Hofheim (Wilfried Wohmann)

 


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