Historisches Hofheim am Taunus

Altes für die Zukunft bewahren!

Hermann Krupp (1926-2019)



Dichotomia Biographica - Kunstprojekt von Hermann Krupp


Ingrid Krupp


Man sieht ihm seine 86 Jahre kaum an, wenn der freundliche, weißhaarige Herr flott seinen Weg durch die Straßen der Altstadt nimmt. Kaum sind die Tage vergangen, da er als Junge mit Malkasten und Block den „Gickelsberg“ hinaufstürmte, um vom Hochfeld aus seine Heimatstadt zu malen. Heute befindet sich dort, wohin er aus freien Stücken mehrere Tage gewandert war, die Auffahrt zum Landratsamt des Main-Taunus-Kreises. Aus dem Jungen mit dem sicheren Blick fürs Wesentliche ist ein Maler geworden, sogar der erste Hofheimer, der an der Hochschule für Bildende Künste, der Städelschule, in Frankfurt am Main zum Studium angenommen wurde. Sein Talent erkannte schon sein Lehrer Theodor Wittgen. Er befreite seinen Schüler vom Unterricht, damit er sich die Ausstellung der Malerin Ottilie Röderstein ansehen konnte, die sie 1937 in ihrem am Waldrand nahe dem Exerzitienhaus gelegenen Atelierhaus veranstaltet hatte. Hermann Krupp zeigte seine erste Ausstellung 1938 im Hofheimer Farbenhaus Betzel in der Borngasse. Ausstellungen sind seine große Leidenschaft bis heute geblieben.

 

Hermann Krupp, Handzeichnung-Dichotomie 2010

Musiker wie der Vater , Maler wie der Großvater

Hermann Krupp ist ein musischer Mensch mit vielseitigen Begabungen. Noch vor dem Studienbeginn an der Städelschule absolvierte er 1947-1949 u. a. ein Kompositionsstudium am Konservatorium in Offenbach. Bis heute spielt er täglich Klavier. In der Nachkriegszeit und zur Finanzierung des Malereistudiums machte er Tanzmusik, zeitweise auch mit einer eigenen Band. Dem Wohnort seiner Tochter, Elkerhausen, schenkte er zur 800-Jahr-Feier die Gesamtkomposition eines Festspiels von drei Stunden Dauer, an dessen Uraufführung er persönlich am Klavier mitwirkte.

Hermann Krupp stammt aus einer alteingesessenen Hofheimer Musiker- und Handwerkerfamilie, einer seiner Großväter war ebenfalls Kunstmaler gewesen. Persönlich hat er ihn leider nicht mehr kennen gelernt, doch von dessen Zeichnungen schwärmt er noch heute.



Hermann Krupp, Dichotomie Arbeitsgeräte 2010

Kunstausstellungen in Hofheim, Frankfurt und Budapest

Nach erfolgreich absolviertem Studium wollte der junge Maler seinen Mitmenschen mehr Kunstgenuss verschaffen. Es herrschte nach dem Krieg nicht nur Wohnraumnot, es fehlte auch und vor allem in Hofheim an geeigneten Ausstellungsflächen. Hermann Krupp gelang es, die Hofheimer Freiwillige Feuerwehr im Verbund mit dem Volksbildungsverein für seine Pläne zu begeistern und bekam deren neugebauten Übungsräume für eine Ausstellung zur Verfügung gestellt. Daraufhin lud er Künstler ein, daran teilzunehmen. Hanna Becker vom Rath, Studienkollegen und andere hier Ansässige nahmen das Angebot gerne an. Der in Marxheim lebende Ludwig Meidner sagte Hermann Krupp schroff ab, entschuldigte sich dafür aber anschließend in einem Brief: Er stelle erst wieder aus, „wenn die gegenständliche Malerei gleichberechtigt mit der abstrakten im öffentlichen Leben anerkannt sein wird“②. Diese denkwürdige erste Hofheimer Kunstausstellung fand 1962 an der Stelle des heutigen Chinon-Centers statt.

Die Resonanz gab Hermann Krupp recht und so folgten weitere Ausstellungen mit Künstler-Gästen aus Amsterdam, Berlin und Frankfurt. Die abschließende große „A 65“ fand nach Hofheim in einer Frankfurter Messehalle statt. Den ausländischen Gästen wäre der international noch unbekannte Ort Hofheim alleine kein lohnendes Ziel gewesen.

Hermann Krupp scheute weder Mühen noch persönliche Opfer und veranstaltete im gleichen Jahr in Budapest die erste Ausstellung zeitgenössischer deutscher Kunst hinter dem eisernen Vorhang, zu der er wieder einige Kollegen einlud. Sie wurde in einem großen Künstleratelier gezeigt, das sich gegenüber der zeitgleich stattfindenden „regiemetreuen“ offiziellen Kunstausstellung befand. Eine Sensation in Ungarn, vortrefflich besucht und viel beachtet.

 

Gründung der „galerie 66 h. g. krupp“

Hermann Krupp, Argentinischer Tango Paraná 2010

1966 gründete der Maler Hermann Krupp seine legendäre „galerie 66 h. g. krupp“ in Hofheim am Taunus. Eröffnet in seiner Privatwohnung mit Miniaturen u.a. von Aldo Altripp, Julius Bissier, Karl Fred Dahmen, Emil Schumacher, fand die Galerie zunächst in der Römerstraße zwei kleine Kellerräume als Domizil. Bundestags- und Bundesbank-Vizepräsidenten, Botschafter, Konsuln und Museumsdirektoren nahmen begeistert an den Eröffnungen teil. Es gab neueste internationale Kunst zu entdecken, einmalig im Umkreis, so dass die Gäste von weit her anreisten ( z.B. aus Nürnberg, Mannheim und Stuttgart) um die Ausstellungen zu sehen. Mit dem Bau eines Ladentraktes in der Ostpreußenstraße fand die Raumnot ein Ende und alle vier Wochen wartete Galerist Krupp mit einem Kunst-Event oder Kultur-Spektakel auf. Die Namen seiner Ausstellungszyklen fanden Eingang in Kunstlexika.

Hofheim war dank seines Engagements keine Kunstprovinz mehr, hier wurde Kunstgeschichte geschrieben, war die Welt zu Gast. Die größte Ausstellung der „galerie 66“ fand denn auch wegen der Vielzahl der Objekte im Saal der evangelischen Kirche in der Kurhausstraße statt. 300 Künstler aus 30 Ländern der Erde hatten Arbeiten zu seiner Ausstellung „miniaturen ’70“ eingesandt. Anschließend wurde sie in weiteren Städten Deutschlands gezeigt, u.a. in der Stuckvilla in München, dem Kunstverein Kassel, dem Theaterfoyer in Offenbach.

Hermann Krupp, Ei und kleine Schraube 2010


Hermann Krupp erfindet die Kindermalschule

Der Maler Hermann Krupp steht sich als Galerist nicht nach, auch sein eigenes Werk treibt er innovativ voran. Auf der Frankfurter Buchmesse stellte er u.a. 2009 sein „Mausologie“ genanntes Buch vor, das mit der Maus gemalte Grafiken beinhaltet. Es sollte vor allem Kindern zeigen, dass das System tun muss, was man ihm sagt und nicht umgekehrt. Wer malen kann, kann dies auch mit der Maus.
Kinder in der Kunst fortzubilden, das war Hermann Krupp schon immer ein Anliegen. Als er 1962 den Vorsitzenden des Volksbildungsvereins Hofheim, Hans Gerhard, dazu überredete, die Kindermalschule zu veranstalten, war dies ein Meilenstein in der Vereinsgeschichte. Es gehörte zum guten Ton, seine später in der Galerie privat betriebene Kindermalschule besucht zu haben.

 



Ausstellung Dichotomia Biographica in Hofheim

Die vorgenannten Lebensstationen fließen ein in sein aktuelles Kunstprojekt, die „Dichotomia Biographica“, dessen erster Teil im September im Hofheimer Rathausfoyer gezeigt wurde. Den Begriff der „Dichotomie“ (griechisches Kurzwort für Zweiteilung) hat Hermann Krupp für die Malerei entdeckt, denn dieser entspricht seinem Kompositionsschema der Zweiteilung und führt seine „Dialog- Serie“ weiter. Der Zusatz „Biographica“ weist auf die Besonderheit dieser Dichotomie-Serie hin. Sie besteht aus einem Arrangement von speziell dafür und brandaktuell produzierten Leinwandgemälden unterschiedlicher Größe, die einen Zeitabschnitt von zwei Jahrhunderten erlebter Geschichte aus Sicht des Künstlers als Zeitzeugen reflektieren. Historische, politische, gesellschaftliche und persönliche Ereignisse der Jahre von 1926 bis 2012 werden zu einem zeitkritischen subjektiven Gesamtkunstwerk verwoben. Der Bilderreigen gewährt jedem
Lebensjahr eine Leinwand.

 

Erlebte Geschichte als „Bilder-Ausstellung“

Das von dem Maler Hermann Krupp entwickelte Kompositionsschema ermöglicht die  Zusammenfassung der vielfältigen Themen und Darstellungen dieser Serie besonders gut. Die Rechtecke sind nicht mehr wie in den vorangehenden „Dialogen“ alleinige Träger von realistischen Bildinhalten wie z. B. einem Ei oder der zeichnenden Künstlerhand. Die Darstellungen können auch auf den Bildhintergrund überspringen. Als verbindendes Element dient jetzt ein farbiges Band, das die Rechtecke umschließt. Im Schicksalsjahr 1933 wird es braun, im 2. Weltkrieg zusätzlich feuerrot.
Betrachten wir beispielhaft die Darstellung des Jahres 1933. In beiden Rechtecken erscheinen Zeichnungen wie zu einem Film montiert, die Ereignisse rollen folgerichtig und parallel vor dem Betrachter ab, nur den Wahlsieger um das Präsidentenamt in den USA, Franklin D. Roosevelt, rückt der Maler in eine besondere Position außerhalb der vom braunen Band eingefassten Rechteckformation. Den gerade zum Reichkanzler erwählten Adolf Hitler zeigt er in artiger Verbeugung vor Reichspräsident Paul von Hindenburg. Auf gleicher Höhe erscheint im zweiten Rechteck der brennende Reichstag. Unter der Begrüßungsszene folgen dichtgedrängt die Bücherverbrennung auf dem Opernplatz und der Fackelzug zur Machtübernahme in Berlin sowie der beste und gefährlichste Trick des Kunstfliegers Ernst Udet, der mit dem einen Flügel auf der Erde aufsetzte, während an dem anderen ein Regenschirm balancierte. Dem gegenübergestellt werden der Umzug zum 1. Mai in Hofheim und die befohlene Pflanzung einer Hitler-Linde. Von schicksalhafter Bedeutung im persönlichen Leben war das beherzte Zugreifen der Großmutter Franziska Landler, die ihren Enkel Hermann in letzter Minute am Steinberg aus dem Wasserloch zog. Der Besuch des Frankfurter Palmengartens mit Onkel und Tante Neidewitz dürfte zu den erfreulichen persönlichen Erinnerungen gehören. Der „braun-rote“ Schraubenkopf daneben trägt die Jahreszahl 1933.

 

Hermann Krupp, Dichtomia Biograhica 2012 (1933)






















Monatelang mehr als 8 Stunden an der Staffelei

Das Besondere an den neuen Dichotomie-Bildern ist zum einen die Durchdringung von Zeit und Raum mit malerischen Mitteln in Kombination mit der realistischen Zeichnung. Zum anderen bedeutet die Erzählung eines Lebensjahres auf einer Leinwand eine ungeheure Konzentration auf das Wesentliche. Es muss alles ausdrücken, den Zeitgeist, die Besonderheit der jeweiligen Situation und deren Tragweite. Die Mode, Vorschriften, ja selbst das Lachen der damaligen Zeit waren anders und bedürfen der Interpretation. Es ist ein besonderes Unterfangen, ein solches Kunstprojekt mit 86 Jahren auf die Beine zu stellen. Alleine die Recherchen zu den einzelnen Darstellungen dauern ihre Zeit und bei der Durchführung steht Hermann Krupp monatelang mehr als acht Stunden am Tag an der Staffelei. Doch wie immer gibt ihm das Ergebnis Recht: es muss gemalt werden, was er gesehen und erlebt hat, auf ihn als Zeitzeugen kommt es an. Die Zusammenstellung macht es, die Gewichtung der Ereignisse und ihre Präsentation.

Siehe auch unter "Hofheimer Personen": Hermann Krupp



Anmerkungen

griechisch Zweiteilung
Handschriftliches Schreiben von Ludwig Meidner an Hermann Krupp. Abgebildet in:
Ingrid Krupp, Der Maler Hermann Krupp. Weinbach 2006, S.152 links oben

Literatur (Auswahl)
Kürschners Handbuch der Bildenden Künstler, Deutschland-Österreich-Schweiz, Bd. 1 u. 2, München, Leipzig 2005
Ingrid Krupp, Der Maler Hermann Krupp, Malerei, Plastiken, Kunst am Bau. Zum 80. Geburtstag. Erste ausführliche Werkübersicht 1936-2006, Elkerhäuser Schriften Band 2, Weinbach 2006
Ingrid Krupp, Hermann Krupp Ausgesuchte Zeichnungen, Weinbach 2007
Ingrid Krupp, Mausologie. Neue Grafiken von Hermann Krupp, Weinbach 2009
Hermann Krupp, Kraut und Rüben sortiert. Neue Werkgruppen Aquarelle und Acrylbilder 2008 bis 2010. Real und konkret-abstrakt und gegenständlich. Weinbach 2010

Fotos
Ingrid Krupp


Der Beitrag wurde in „Zwischen Main und Taunus – Jahrbuch des Main-Taunus-Kreises, 2013, Seite 126 bis 130, veröffentlicht. Mit freundlicher Genehmigung des Main-Taunus-Kreises und der Autorin erfolgt diese Präsentation. Wir bedanken uns beim MTK und der Autorin.


Bearbeitung: Historischer Arbeitskreis Hofheim (Wilfried Wohmann)


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