Die Eis-Ernte in Hofheim
Roswitha Schlecker
Gustav Kyritz (jun., 1906-1989, G. K.) war Inhaber und Wirt des „Historischen Gasthofes Landsberg“ in der Hofheimer Hauptstraße Nr. 22. Diesen hätte er nach dem Tod seines Vaters Gustav Kyritz sen. 1940 übernehmen sollen, doch die Einberufung an die Front und seine Gefangenschaft ließen eine Eröffnung erst 1950 zu. Nach eigenen Angaben hatte G. K. bereits nach dem Ersten Weltkrieg mit dem Sammeln lokalgeschichtlicher Zeugnisse begonnen. Während seiner Gefangenschaft verfasste er eine handschriftliche „Chronik“ zur Geschichte und Ausstattung des Gasthofes, in der er auch über das Braugewerbe und die Eisgewinnung berichtet. Eine zweite Quelle ist Band 12 der Landsbergbücher, geschrieben von 1965 bis 1966. Insgesamt entstanden 17 Bände dieser Mischung aus Gästebuch und Chronik. Als G. K. 1972 in den Ruhestand ging, übernahmen die Pächter die Fortschreibung (Nummer 16 und zu einem Band gebunden die Nummern 17/18 ). Eine dritte Quelle seiner Erinnerung sind die Hofheimer Anekdoten, die er für seine Tochter Ellen aus seiner Geschichten-Sammlung auswählte. In diesen drei Schriften beschreibt G.K. an vielen Stellen den Gasthof - in all seinen Facetten, sozusagen vom Keller bis zum Dach. Oft beruft er sich auf Erinnerungen aus seiner Kindheit und Jugend und verweist darauf, dass er manche Angaben – z.B. die Menge des gelagerten Eises – nur schätzen kann. Aus diesem Grund stimmen Mengenangaben nicht immer überein. In dem 12. Band der Landsbergbücher gibt er auf drei Blättern einen schriftlichen und fotografischen Einblick in ein längst ausgestorbenes Gewerbe: Die Gewinnung von Natur-Eis. Unter der Überschrift „Eis-Ernte“ beschreibt G. K. diese winterliche Arbeit, die um 1918 eingestellt wurde. Wer „ernten“ wollte, musste jedoch auch „anbauen“, somit stellt sich die Frage: Woher kam das Eis? Einen Flurname oder Ort, der sich auf „Eis“ bezieht (z.B. „Eisweiher“ wie in Bremthal und Niedernhausen), gibt es für Hofheim nicht. Immerhin sind die Lagerstätten bekannt. Der Eiskeller unter dem Hof der Hauptstraße 22 und der ehemalige Eiskeller zwischen Vincenzstraße und Flosswaldstraße.
Nach den Schätzungen von G. K., die sich auf die Zeit nach 1900 beziehen, konnten dort 35.000 Ltr. Eis eingelagert werden. Hinzu kam ein Vorlager im Außenbereich für 7.500 Ltr. die zum baldigen Verbrauch bestimmt waren. Für die Mengen, die hier umgesetzt wurden, reichten die Hofheimer Eisweiher nicht aus und es wurde Eis von den Bauern aus der Umgebung dazugekauft. Für diese waren aber auch die Fuhren mit ihren Gespannen ein willkommener Nebenverdienst in der einkommensschwächeren Zeit, auch wenn es eine harte Arbeit war und wenig verdient wurde. Die Anlieferungen des Eises erfolgte von der Vincenzstraße. Nachdem 1897 die Brauerei geschlossen hatte, war zwar der Eigenbedarf – immerhin gab es noch zwei Gasthöfe - an Natur-Eis geringer, doch der Verkauf blieb noch lohnend. Als Georg Kyritz 1902 verstarb, übernahm Sohn Wilhelm den Eiskeller und vergrößerte ihn um den Gärkeller auf eine Grundfläche von 22,20 x 11,70 Metern. Dieses Gebäudeteil fehlte jetzt und eine Erweiterung der Anlage zur Vincenzstraße war notwendig 1905 reichte Wilhelm Kyritz den Antrag für eine Vergrößerung der bebauten Fläche auf 392,84 Quadratmeter ein. Die Gesamtfläche des Grundstücks betrug damals 2279,40 Quadratmeter.
Im Winter 1902 ist nach Aufzeichnungen von G. K. mit einem der Doppelspänner ein Unfall passiert. Der junge Landwirt „…Jean Theiß kam mit einer Fuhre rauf zu den Kellern an die Einwurfschächte gefahren – war es Leichtsinn oder Unachtsamkeit? – eines der Pferde rutschte rückwärts in den offenen Schacht, wobei das Geschirr an der Deichsel hängenblieb. Zum Glück war der Keller schon hoch bis an das Gewölbe angefüllt. Die unten arbeitenden Männer, die dafür sorgten, daß die ‚Eisschillwe‘ dicht gelagert wurden, flüchteten in die Ecken des Kellers und das Pferd stand zitternd vor Erregung aber unversehrt auf dem Eis…“. Das Tier konnte befreit werden indem das Gewölbe des Kellers seitlich aufgebrochen wurde und man mit Balken und Maurerdielen eine Rutsche machte. „…So kam der Gaul wieder glücklich aus der Tiefe und hatte nur einige Hautabschürfungen davongetragen. Ein Wunder, denn der Schacht hatte nur eine Weite von ca. 1,30 x 1,30 Metern.“
Aus dieser Anekdote ist zu ersehen, dass das Eis nicht nur durch die Tiefeinfahrt angeliefert, sondern auch nach einer entsprechenden Lagerhöhe von oben in den Keller geschüttet wurde. Während der Aufschüttung wurde Wasser über die Eisschollen gespritzt, um ein Zusammenfrieren mit möglichst wenigen Zwischenräumen zu erreichen. Zur Isolation deckte man das Eis im Außenlager mit reichlich Stroh ab. Ab Frühjahr brachten es die Fuhrleute in isolierten Pferdekarren zur Kundschaft.
Quellennachweis
12. Landsbergbuch, April 1965 – August 1966, Stadtarchiv Hofheim
Chronik, geschrieben in der Gefangenschaft S. 54 und Zeichnung zw. S. 53 und 54, 1945-1948, Familienbesitz
Für Ellen Kyritz zum 50. Geburtstag, „Glück um Unglück“, Blatt 29, 1983, Familienbesitz
Bauakte Vincenzstraße 11, Inhalt jedoch Vincenzstraße 5 – 9, Stadtarchiv
Hofheimer Zeitung 01.10.2004, Das Ende des Hofheimer Eiskellers – Gewölbekeller aus dem 19. Jahrhundert verschwanden. (maja)
Festschrift des WSV Lorsbach 1972
Bearbeitung: Historischer Arbeitskreis Hofheim (Wilfried Wohmann)