Hofheimer Personen
Jeanette Ettlinger
Gründerin des "Ettlinger" - Kindererholungsheimes
* 1856 in Uman, heutige Ukraine
+ 2. Juni 1919 in Frankfurt am Main
Jeanette Ettlinger wurde 1856 unter dem Namen Jenta Jeanette Retza Tulezinska in Uman im damaligen Gouvernement Kiew in der heutigen Ukraine geboren. Sie war die Tochter der Witwe Mindel Tulezinska geb. Charal, welche 1904 mit 74 Jahren in Frankfurt am Main starb. Wann sie nach Deutschland kam, ist bislang nicht bekannt, ebenso wann sie ihren Ehemann, den Kaufmann Raphael Ettlinger, heiratete. Dieser wurde am 16. April 1852 als Sohn des Eisenhändlers Abraham Ettlinger und Babette geb. Wormser in Karlsruhe geboren. Das Ehepaar Ettlinger ließ sich in Frankfurt am Main nieder. Hier waren sie Mitglieder der jüdischen Gemeinde, an deren Gemeindeleben sie sich aktiv beteiligten. Raphael war viele Jahre Vorstandsvorsitzender der Börneplatzsynagoge. Von April 1901 bis März 1902 war er ebenfalls Präsident der Frankfurt-Loge der B’nai B’rith. Besonderes Engagement zeigte das Ehepaar im Bereich der Wohlfahrtspflege. So war Raphael 1888 Mitbegründer und vermutlich auch Mitstifter des Gumpertz’schen Siechenhauses im Frankfurter Ostend, einer Einrichtung für bettlägerige und chronisch kranke Patienten. 1898 war Raphael Ettlinger dann an der Gründung des „Vereins zur Gründung eines israelitischen Krankenhauses in Bad Neuenahr für unbemittelte Glaubensgenossen“ beteiligt und wurde in dessen Vorstand gewählt. Im Frankfurter Stadtteil Bornheim ist noch heute eine Straße nach Raphael Ettlinger benannt. Jeanette Ettlinger zeigte ein ähnliches Engagement für Kranke und Bedürftige. So wird sie 1908 im Rechenschaftsbericht des Trägervereins des Gumpertz’schen Siechenhauses als Ehrendame geführt.
Als Raphael am 29. Januar 1909 nach schwerer Krankheit im Alter von nur 56 Jahren in Frankfurt verstarb, entschied sich Jeanette Ettlinger, dem Andenken an ihren Ehemann einen festen Ort zu geben. Ihre Wahl fiel auf Hofheim, wo sie ein Erholungsheim für Kinder der jüdischen Gemeinde Frankfurt gründete. Hierfür erwarb sie die Kapellenstraße 12, eine 1902 von dem Frankfurter Kaufmann Ludwig Groß erbaute Villa (heute Hausnummer 28). Die Trägerschaft übernahm der „Raphael und Jeanette Ettlinger Heim - Verein für erholungsbedürftige jüdische Kinder e.V.“, der seinen Sitz in Frankfurt in der Eschenheimer Anlage 33 hatte.
Die Kinder, die in der Hofheimer Einrichtung aufgenommen wurden, stammten überwiegend aus jüdischen Familien aus Frankfurt und der näheren Umgebung. Sie waren zwischen fünf und 14 Jahren alt und wurden aufgrund von körperlicher oder auch geistiger Erschöpfung von den Schulärzten an das Heim überwiesen. Durch die hauseigene Lehrerin konnten die Kinder auch während des laufenden Schuljahres nach Hofheim kommen, ohne den Anschluss zu verlieren. Zu Beginn konnte das Haus 22 Kinder gleichzeitig aufnehmen. In den ersten vier Jahren fanden 425 Kinder Aufnahme. In den Anfangsjahren der Einrichtung stammten die meisten Kinder aus dem Mittelstand oder unbemittelten Familien. Bald stellte man fest, dass sich die Lage des Heims am Taunusrand ebenfalls ganz hervorragend für Luftkuren eignete und man begann zunehmend Kinder zur Prävention der Lungentuberkulose aufzunehmen. 1913 erhielt das Haus eine überdachte Veranda über zwei Geschosse, die für die Ausführung von Liegekuren genutzt wurden. Zusätzlich wurden Quarzlampen angeschafft, die das Kuren unter künstlicher Höhensonne ermöglichten.
Am 2. Juni 1919 verstarb Jeanette Ettlinger mit 63 Jahren im Krankenhaus der jüdischen Gemeinde Frankfurt in der Gagernstraße 36. Ebenso wie der frühe Tod ihres Ehemanns zehn Jahre zuvor, fand das Ableben von Jeanette Ettlinger große Beachtung in der jüdischen Gemeinde Frankfurts. Ihr Grab befindet sich auf dem Alten jüdischen Friedhof in der Frankfurter Rat-Beil-Straße. Die Leitung des Heims, in dem Frau Ettlinger bis zu ihrem Tod lebte, übernahm die Friederike Heller, die seit seiner Gründung im Heim als Lehrerin gearbeitet hatte.
In den folgenden Jahren wurde das Heim stets erweitert, umgebaut und modernisiert. Auch das Angebot an therapeutischen Maßnahmen veränderte sich. In den 1930er Jahren kamen Anmeldungen für Kuraufenthalte längst nicht mehr nur aus dem Rhein-Main-Gebiet. Unter zunehmenden Schwierigkeiten konnte der Betrieb auch nach 1933 aufrechterhalten werden. Das Ende des Heims kam mit der Reichspogromnacht am 9. November 1938. Wie die Synagoge in der Burgstraße wurde das Heim verwüstet und anschließend polizeilich versiegelt. Der Trägerverein wurde gezwungen, das Haus unter Wert an die Stadt zu verkaufen. Zunächst hatte ein hiergegen eingereichter Protest noch Erfolg, doch schon 1940 eröffnete in den Räumlichkeiten mit der Heimschule Schnell eine neue Einrichtung unter linientreuer Führung.
Quellen und Literatur
Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden (HHStAW)
- Best. 474/3, Nr. 936.
- Best. 503, Nr. 7364.
- Best. 518, Nr. 1274.
Institut für Stadtgeschichte Frankfurt (ISG FFM)
- Sterbeurkunde Raphael Ettlinger, Best. STA 12/415.
- Sterbeurkunde Jeanette Ettlinger, Best. STA 12/580.
Stadtarchiv Hofheim (StadtAHofh)
- Materialsammlung zur Verlegung von Stolpersteinen in Hofheim, 13.03.
- Personen-Verzeichnis und Gemeindesteuerliste der Stadt Hofheim 1912.
- Schmidt, Anna: Hofheim 1933-1945. Forschungsbericht mit Quellensammlung, im Auftrag des Magistrats der Stadt Hofheim, 2002.
Magistrat der Kreisstadt Hofheim a.Ts.
- Bauakte Kapellenstraße 28.
Neue Jüdische Presse. Frankfurter Israelitisches Familienblatt
- 5. Februar 1909, S. 9.
- 10. Januar 1913, S. 4.
- 6. Juni 1919, S. 5.
Internetquellen
- Alemannia Judaica. Arbeitsgemeinschaft für die Erforschung der Geschichte der Juden im süddeutschen und angrenzenden Raum (www.alemannia-judaica.de/hofheim_taunus_synagoge.htm).
- B‘nai B‘rith Frankfurt, Schönstädt Loge (bnaibrith-ffm.de/sites/default/files/historie_DE_EN.pdf).
- Jüdische Pflegegeschichte, Forschungsprojekt an der Frankfurt University of Applied Sciences (www.juedische-pflegegeschichte.de/recherche/?dataId=224017882226146&opener=131724511929199&id=131724555879435&sid=e3acbb631151a3b697398ee03207aa48).
Bearbeitung: Historischer Arbeitskreis Hofheim am Taunus (Matthias Bartsch)
Foto: Verlag Karl Köhler, Hofheim am Taunus, nach 1928, Stadtarchiv Hofheim am Taunus