Haus ohne Keller – Keller ohne Haus
Ein Blick in die Hofheimer „Unterwelt“ im 16. Jahrhundert
Hans Ulrich Colmar
Separater Kellerkauf
Wer sich mit den Protokollen des 2. Hofheimer Gerichtsbuchs (1500-1593) beschäftigt, stößt häufig auf Formulierungen und Sachverhalte, die uns heute unverständlich bzw. fremdartig vorkommen. Dies gilt auch für eine Reihe von Kaufprotokollen wie etwa das folgende aus dem Jahr 1571, das auf Seite 306 verzeichnet ist:
„Hannß Kraft hat kauft ein keller, uff dem Steffansberg gelegen, ist eigen, und hat sich darin gefestigt“.
Offenbar war es üblich, einen Keller ohne das dazugehörige Haus zu erwerben bzw. einen Keller, auf dem noch gar kein Haus stand. Noch deutlicher wird der Sachverhalt in einem Tauschvertrag vom 14.04.1568 (S. 307ff.) zwischen Dietz Koch und Hannß Schmitt, wo einer das Haus des andern übernimmt und für die Keller in den Paragraphen 3 und 4 Sonderkonditionen vereinbart werden. Dort heißt es:
„Zum dritten Belangen, den Keller, welchen Dietz Koch um Adam Mollers kinder erkauft, den selben kauf soll Hannß Schmitt bezalen, nemlich 25 ½ fl. und den keller behalten.“
Dem ist deutlich zu entnehmen, dass schon Dietz Koch, als er das Haus kaufte, den dazugehörenden Keller extra erwerben musste, d.h. dass Haus und Keller unterschiedliche Eigentümer hatten.
„Zum vierten übergibt Hannß Schmitt Dietz Kochen sein Keller, so under der neuen scheuern stehet…
und soll Dietz, do er vermeint, weiter in gemeltem keller zu graben oder zu machen in willens, daß er alß dann solichs in alewegen ohn schaden und nachtheil Hannßen seiner scheuer und hoiffreiden thun soll.“
Auch Hannß Schmitt übergibt also seinen Keller separat mit der Auflage, eine evtl. geplante Vergrößerung des Kellers („weiter … zu graben“) nur dann vorzunehmen, wenn sie ohne Schaden für Scheuer und Hofreite erfolgt.
Auch in einem Teilungsvertrag vom 06.09.1575 zwischen Hannß Schnell und seiner Schwester Ayll (S. 341f.) wird der Keller ausdrücklich ausgenommen, und zwar so gründlich und augenfällig, dass keiner auf die Idee kommt, ihn zu nutzen, weil er auf dem Grund der geteilten Hofreite liegt: der Zugang wird nämlich versperrt:
„soll der keller gradt, so uff dem selbigengrunt in keller hinein gehet, zugemacht und Ayll oder ire erben keine gerechtigkeit do selbst hinein haben, deß gleichen Hannß Schnell und seine erben keine gerechtigkeit im keller haben sollen.“
Interessanterweise wird hier expressis verbis von einer „Keller-Gerechigkeit“ gesprochen, die wir heute mit dem Begriff „Keller-Recht“ bezeichnen.
Dass die nachträgliche Errichtung eines Kellers, d.h. die Unterbauung eines bereits stehenden Gebäudes ein normaler Vorgang war, zeigt ein zwischen Seiffridt Hamel und der Gemeine (Stadt) am 13.05.1579 (S. 358) abgeschlossener Kaufvertrag, wo es um einen „Placken an der Frue schauern“ (ein kleines Grundstück an der Frühscheuer, d.h. Scheune des Frühmessers der Hofheimer Kirche) geht, der einen öffentlichen Weg tangiert. In einer Zusatz-Klausel wird protokolliert:
„… do er einen keller doselbst under die Frue schauern bauen will, daß selbig der schauern und gemein sonder schaden, und dem althar jerlich 1 alb. zinß geben soll.“
Ein Nachtrag von späterer Hand bestätigt, dass dieser Keller tatsächlich gebaut wurde.
„Diesen keller hat nachmalß Jacob Milchior in solichen obgeschriebenen kauf behalten und uf dem placken gebauet.“
Ein besonders anschauliches Beispiel für separaten Kellerkauf enthält ein Protokoll aus dem Jahr 1569 (S. 300), dem zu entnehmen ist, dass Hanß Schrot einen Keller unter dem Haus Gerharts von Marxheim und seiner Frau Anna für 27 Gulden 18 Albus von den Eheleuten gekauft hat, wobei diese sich für sich, ihre Erben und Nachkommen verpflichten, den Keller allezeit schadlos zu halten – z.B. kein Vieh darüber zu stellen – und die Grundzinsen weiterhin selbst zu entrichten ohne Zutun Hanß Schrots oder seiner Besitznachfolger. Der Eintrag lautet wörtlich:
„1569, Hanß Schrott. Kunth und zu wissen ist dem gericht, daß Hanß Schrot kaufft hat ein keller under Gerharts von Marxheim behausung, umb in, Gerharten, und Anna, eheleut, vor zwantzig sieben fl. 18 alb., und hat (haben) Gerhart und Anna verheissen vor sich und ir erben und nachkommen oder besitzer der selbigen behausung, den keller alwegen schafloß zu halten, kein vihe daruber stellen, daß dem kell(n)er schaden thue oder sunsten, wie daß namen haben magk, es sei, wo mit es woll, keinen schaden zufugen, die grunt zinß, so vorhin uff der behausung gestanden, selbst entrichten ohne zuthun Hanß Schroten, seiner erben und besitzer des kellers. Solichs hat Gerhart, der verkauffer, vor gericht selbst bekannt und begert zu schreiben, und hat sich gerichtlich darin gefestiget.“
Abtriebs- und Nutzungsrechte für Keller
Da Keller separat gekauft werden können, unterliegen sie gegebenenfalls auch dem Abtriebsrecht ohne Rücksicht auf ein darüberstehendes Haus. Ein Beispiel hierfür findet sich auf Seite 206 aus dem Jahr 1549, wo Peter Hamel auf dem Stephansberg einen Keller im Zuge des Abtriebs erwirbt:
„Ist dem gericht kundtlich und wissentlich, daß Peter Hamel hat kaufft und abgetrieben ein keller, gelegen uff den Steffansberg neben Emrichs Kreingen vor sechtzehen gl., gibt 12 d gen Crofftel in die kirch und hat sich gerichtlich dar in erclagt, wie recht, und hat den kauff gethan umb Emrichs Johannen mit seym begriff.“
Nur wenige Monate danach wird der unmittelbar daneben liegende Keller zum fast gleichen Preis, nämlich 17 Gulden, verkauft, wobei die Belastung mit 12 Pfennig Zins an die Krifteler Kirche völlig identisch ist, was eindeutig auf den Besitzzusammenhang hinweist.
„3a post Walpurgis anno 50 (Di., 6.5.1550 / S. 209) Ist dem gericht kuntlich und wissentlich, das Philips Scholler hat kauft ein keller umb Peter Gemeln, gelegen uff dem Steffansberg neben Emrichs Johannen, vor 17 gl., gibt 12 d zins gen Crofftel in die kirchen, und hat sich gerichtlich dar in gevestiget.“
In einem Protokoll vom 25.08.1551, S. 215, wird bei einem Hauskauf neben dem lebenslangen Einsitz der Vorbesitzerin ein Kellernutzungsrecht eigens in den Vertrag aufgenommen:
„… der Kelner (Wendel Faust) hat kaufft ein behausung, gelegen uff dem Steffansberg, umb Prymer Elsen, und sal sy ire leben lang dar in laßen wonen und moge den keller brauchen …“
Ein „Maulwurf“ gefährdet die Stadtmauer
Das interessanteste „Kellerprotokoll“ - aus dem Jahr 1553 oder 1554 findet sich auf Seite 225, wo wir Zeugen eines Rechtsstreites („irrung“) zwischen Hans von Heuchelheim und dem Rat der Stadt Hofheim werden, der daraus entstanden ist, dass Hans am Stephansberg an seinem und seines Schwagers, des Schultheißen Lorenz Maiers, Kelterhaus einen Keller gegraben hat – in bergmännischer Stollenbauweise, wie es scheint – und dabei auf städtisches Gelände vorgestoßen ist. Das wäre noch nicht einmal so schlimm, wenn dadurch nicht die offenbar direkt angrenzende Stadtmauer gefährdet würde. Da Sicherheitsinteressen der ganzen Stadt Hofheim berührt werden, muss dieser „Wühlarbeit“ ein für allemal ein Riegel vorgeschoben werden. Hierzu wird nicht einmal das Gericht bemüht, da der Übertäter – nach Entrichtung eines Bußgeldes – für sich und seine Erben vorm herrschaftlichen Keller Wendel Faust und dem Rat der Stadt feierlich gelobt, den Schaden zu ersetzen und sie künftig schadlos zu halten. Dabei wird ihm auferlegt, nicht weiter in Richtung der Stadtmauer zu graben und den Keller nicht weiter zu bauen, als der von ihm über dem Kellereingang errichtete Schuppen reicht. Wenn auch keine Gerichtsverhandlung nötig ist, so kann doch auf den Eintrag im Gerichtsbuch nicht verzichtet werden, der auszugweise lautet:
„… welchen keller er, gemelter Hans, zum theil uf die gemein gegraben hat, das dan der gemein an irer stadtmaurn zu schaden kommen möchte/der selben ein erbar radt gedachtem Hanßen von wegen der gemein gestraft und bebust hat, … auch ferner mit näher der stat mauren in dem selbigen keller zu graben …“
Knappheit des Kellerraums in der Stadt Hofheim
Bei der Lektüre der Hofheimer Gerichtsbücher verblüfft immer wieder, wie knapp der verfügbare Kellerraum aufgrund der besonderen topographischen Lage der Stadt schon zu Beginn des 16. Jahrhunderts gewesen sein muss. Anders lassen sich viele Einträge kaum nachvollziehen. Belege hierfür sind beispielsweise die beiden Kellerkäufe vom 30.09.1817, wo sowohl der Pastor Nichlas Moller als auch Henchin Schmidt von Peter Wulff jeweils nur Teile eines Kellers kaufen (S. 82 a):
„… Herr Niclas Moller, Pastor zu Hoiffheym, hait kaufft eyn keller mit syme begryff umb Peter Wulffen under sine cleyn stoben fur 39 gl. 14 albus…“
„… der junge Henchin Schmidt hait kaufft … eyn halb keller für 16 gl. 1 ort…“
„In Hofheims Unterwelt herrscht Durcheinander“ bis zum heutigen Tag
Karl-Josef Schmidt hat in der Samstagsausgabe des Höchster Kreisblatts vom 29. Oktober 1994 unter dieser Überschrift auf die kuriosen Eigentumsverhältnisse in zahlreichen Hofheimer Kellern hingewiesen und auch gleich die Erklärung dafür mitgeliefert.
Da man in der Kernstadt rund um den Kellereiplatz und in allen tiefer gelegenen Stadtteilen bereits in etwa 1,50 Meter Tiefe auf Grundwasser stößt, war dort eine Unterkellerung der Häuser mit der damaligen Bautechnik so gut wie unmöglich (man denke in diesem Zusammenhang auch an die Flurbezeichnung „Brühlwiese“, was „Feuchtwiese“ bedeutet, sowie an das kellerlose Kellereigebäude). Als Ersatz für den fehlenden Keller unter dem eigenen Haus suchte man nach Kelleranteilen in den höhergelegenen Bereichen der Stadt, besonders am Stephansberg, wo es bis in unsere Tage an die 50 Keller mit komplizierten Eigentumsverhältnissen geben soll. Schmidt bringt in Wort und Bild ein schönes Beispiel aus der Langgasse 11, wo aus zwei Kellerteilen, die verschiedenen Eigentümern gehören, durch Pachtung ein uriger Partyraum mit historischem Gewölbe geschaffen wurde. Wie gründlich die höhergelegenen Bereiche zum Kellerbau genutzt wurden, zeigt beispielsweise auch eindrucksvoll die mehrstöckige Unterkellerung es Historischen Gasthofs Landsberg.
In einem Punkt kann der Kreisblatt-Artikel nunmehr korrigiert bzw. ergänzt werden: verschiedene Hinweise in den Hofheimer Gerichtsbüchern deuten darauf hin, dass das Hofheimer Kellerrecht nicht erst auf die Zeit nach dem 30jährigen Krieg zurückgeht, sondern mindestens bis ins 16. Jahrhundert; ja in einem Fall konnte der Verfasser nachweisen (vgl. 2. Band, S. 60 der Bearbeitung des ältesten Hofheimer Gerichtsbuchs), dass bereits am 01.09.1472 ein gewisser Anselm ein Haus ohne Keller („ußgescheiden den keller“) von Henne Hartleub kauft, womit der Beweis erbracht ist, dass schon im 15. Jahrhundert in Hofheimer Häusern besondere Kellerrechte bestanden.
Zur Person:
Hans Ulrich Colmar (1935 – 2010) – Schulleiter und Historiker, Übersetzer der Gerichtsbücher von Hofheim, hat die „Tore weit in die Vergangenheit geöffnet“. Weitere Informationen zu seiner Person siehe hier.
Der Bericht wurde in „Zwischen Main und Taunus – Jahrbuch des Main-Taunus-Kreises, 2000, 8. Jahrgang, Seite 89-91“ veröffentlicht. Mit freundlicher Genehmigung des Main-Taunus-Kreises präsentieren wir diesen Beitrag. Herr Colmar ist 2010 verstorben. Wir konnten leider keine Nachfahren ausfindig machen und um Zustimmung zur Veröffentlichung bitten. Wir glauben, dass es in seinem Sinne wäre, dass wir diesen Beitrag zur Hofheimer Historie auf unserer Website präsentieren.
Bearbeitung: Historischer Arbeitskreis Hofheim am Taunus (Wilfried Wohmann)