Die Hofheimer Ambet
Die Ahnin der Hofheimer Fastnachtsprinzipalin:
Eine Göttin aus der Steinzeit
Erika Haindl
Wir Menschen haben grundlegende Bedürfnisse an den von uns gewählten Lebensraum: Wir möchten Einfluss darauf nehmen, was in diesem Raum geschieht und wir möchten diesen Raum sozial und kulturell mitgestalten (3). Dieser beschreibbare Lebensraum wird nicht nur von uns geprägt, sondern trägt – trotz aller Modernität – auch noch immer die Handschrift der Wertorientierungen vieler Generationen, die vor uns hier gelebt haben. |
Ihr Kult wäre dementsprechend tausende von Jahren vor dem Christentum lebendig gewesen. Dies Muttergottheit könnte einstmals mit dem Standort Hofheim mehr verbunden gewesen sein, als wir ahnen. Welche Zusammenhänge auch immer hineingewirkt haben – die Ambet hat in Hofheim heute als Prinzipalin der lokalen Fastnacht wieder inne, wenn auch eines tieferen religiösen Sinns entkleidete Gegenwart bekommen.
Wie es zur Fastnachtsfigur der Ambet in Hofheim kam
Hans Henninger, langjähriger und inzwischen verstorbener Vorsitzender des Hofheimer Karnevalvereins hat in seinem 1988 erschienen Büchlein: „Die Hofheimer Ambet. Geschichten, Geschichte und Fastnacht“ beschrieben, wie der Brauch entstand (5). Als 1960, fünfzehn Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges erstmals in Hofheim wieder ein Fastnachtszug vorbereitet wurde, war niemand bereit, die Rolle des Prinzenpaars zu übernehmen. Andererseits waren nach den entbehrungsreichen Nachkriegsjahren die Vorfreund und Erwartungen in der Bevölkerung überproportional groß. Wie die erste Hofheimer Ambet gefunden wurde, beschreibt ein Karnevalist in einem Gedicht in dem Hofheimer Ambet-Buch von Hans Henninger. Hier ein Auszug: „… ein Gedanke beherrscht mich nur: „Hedi“ sprach ich, und kam zur Sache, „du könntst an Fassenacht die AMBETT mache. Du kannst obbe uff em Wage throne, fährst durch die Gasse, wo die Leut all wohne, brauchst nur zu lache immerzu und laut zu kreische „AWUH AWUH“. Die Sache mit dem bißche Geld, die schaffe mir noch aus de Welt“. Die Hedi war drauf kurz entschlosse, die kann die Posse halt nit losse, so ward des Prinzenpaar verschoben und die AMBETT aus de Tauf gehoben. Die Hofheimer habbe sich gefreit, so begann die schöne AMBETT-Zeit!“
Auf diese Weise wurde Hedi Lilli, eine stadtbekannte Frau als Ambett die Herrin der Hofheimer Fastnacht. Hedi Lilli hatte psychisch und physisch mit der zarten Gestalt der Ambet, wie sie heute den Ambet-Brunnen des Karnevalsvereins gegenüber dem Hofheimer Bahnhof schmückt, wenig zu tun. Sie war von üppiger Gestalt und von übersprudelnder Herzlichkeit, gepaart mit einem fixen Mundwerk. Sie war ledig, hat von der Arbeit ihrer eigenen Hände gelebt und verfügte über das entsprechende Selbstbewußtsein.
Wie jedoch kamen die Hofheimer Fastnachter auf die Figur der Ambet? In der regionalen Tradition gab es zwei sehr konträre Images für Ambet: einmal die „schlächt Ambett“ im Spott der Nachbarorte und zum anderen die liebevolle Erinnerung der alteingesessenen Hofheimer an „unsere liebe Mudder Ambet“.
Die „liebe Mudder Ambet“ war jedoch nicht nur die Helferin in Kindsnöten und bei schwerer Krankheit, sondern auch die Hüterin jener Gesetze, auf die die Gemeinschaft aufbaute; sie bestrafte diejenigen, die die Normen missachteten (5). Es gibt ein langes Gedicht über die Hofheimer Ambet zu einigen Zeichnungen des Hofheimer Malers Faust, in der die Ambet in ihrem Bett schläft und über den politischen Lärm um eine nachkriegs-konkrete, abgekartete Bürgermeisterwahl erwacht und den unredlichen Bewerber für das Amt übers Knie legt und ihm den Hintern versohlt, während seine ehedem lauthals singende Anhängerschaft klammheimlich das Weite sucht (5).
Anders als bei den Ulknamen anderer umliegender Gemeinden gab es keine plausible Erklärung für den Begriff „Ambett“, der den Hofheimern anhing, und so waren die unterschiedlichsten Versionen im Umlauf. Interessant ist auch, dass die vorletzte Generation der „alten Hofheimer“ noch wußte, dass die Ambet zu guter Letzt auch eine Person war, die niemand mehr ernst nahm. Es gibt ein langes Gedicht von dem verstorbenen Hofheimer Korbmacher Jakob Hammel, in dem er zunächst die edlen Eigenschaften der Ambet beschreibt: Sie sei nicht, wie ihr ritterlicher Ehemann durch die hereingebrochene Not verzagt, Ihr steht uralte weibliche Weisheit und Heilkraft zur Verfügung. Selbst vor der Pest hatte sie keine Angst.
Aber später wurde sie verspottet, dass man zu jemanden aus Hofheim, den man klein machen wollte zu sagen pflegte: „Geh ham du aal Ambett“. Also am Ende der Geschichte: Abwertung und Verächtlichmachung (5).
Der Ambet-Brunnen
Inzwischen hat die vorgeschichtliche Herkunft der Ambet eine öffentliche Würdigung gefunden. 1964 wurde vom Karnevalsverein gegenüber dem Bahnhof auf der ehemaligen Bleiche am Schwarzbach der Ambet-Brunnen aufgestellt. Ich finde es gut, dass der Brunnen auf einem alten Frauenarbeitsplatz steht, wenn auch die zerbrechlich wirkende Gestalt der Ambet mit dem demütig gesenkte Kopf wenig von der archaischen Lebensenergie spüren lässt, die einer Göttingestalt aus der Frühzeit der Menschengeschichte zugeordnet werden sollte.
Neben dem Hofheimer Ambet-Brunnen befindet sich eine Bronzetafel mit folgendem Text: „Erbaut 1964 von der Karnevalgesellschaft 1900 e. V. Wer war die Ambet, die seit 1960 Zentralfigur der Hofheimer Fastnacht ist? Hofheim war im Mittelalter Amtsstadt. Die Nachbarn verspotteten die Hofheimer mit Hofeim-Schloofem und nannten sie Ambetten. Die Hofheimer selbst sprachen immer nur von der Mutter Ambet. Vieles deutet darauf hin, dass diese Mutter Ambet eine Gestalt ist, die aus grauer Vorzeit die Zeit überdauerte. Der Kapellenberg, der bis zum Bau der Pestkapelle 1667 verteufelt war und Räuberberg hieß, ist seit mehr als 5000 Jahren besiedelt.“
Bei Nachforschungen stößt man schnell auf die „drei heiligen Frauen“ (5). In Worms heißen sie Embede, Willebede und Warbede, in dem alten Bethenort Meransen in Tirol heißen sie Aubet, Coubet und Guerre. Mancherorts heißen sie Ambet, Wilbet und Borbet, woanders wird die Ambet auch alleine erwähnt und ab und an auch Einbet genannt.
Unter dem Einfluss des Christentums veränderten sich die Namen der Aubet, Coubet und Guerre, z.B. in Meransen/Tirol zu St. Aubet, St. Cubet und St. Guerre. Die drei Bethen wurden in der Obhut der Kirche an manchen Orten zur hl. Margarete, zur hl. Barbara und hl. Katharina, aber ihre archaische Herkunft lässt sich anhand der ihnen zugehörige Insignien noch immer entschlüsseln. Das achtspeichige Rad der Katharina ist von der vorchristlichen Bedeutung her das Symbol für die acht großen Feste des Jahreskreises. Die Schlange bzw. der Lindwurm der hl. Margarete steht für das heilige Tier der zyklischen Göttin und symbolisiert die ehemals positiv bewertete Wandlungskraft der Frauen durch Gebärfähigkeit und Menstruation. Die heilige Barbara trägt meist einen Kelch; bei den Kelten der mythenumwobene Kessel der Göttin, in dem die Seelen auf ihre Wiedergeburt warteten (8).
Die Drei Jungfrauen in der Forschung
Das intensivste archäologische Interesse finden die drei Jungfrauen in der Form der ubischen Matronen im Raum Köln-Aachen (9). Die römischen Überlagerer hatten in der, dem römischen Imperium eigenen Art den im Siedlungsgebiert der Ubier beheimateten Kult der drei Madres übernommen, so dass eine erstaunlich große Anzahl von römischen Weihesteinen mit den Bildern der drei Frauen bei Ausgrabungen zu Tage kommen. Die Frauen sind in der ubischen Tracht mit den typischen großen Hauben und jeweils einem Korb voller Früchte auf ihrem Schoß dargestellt.
Die Kelten wie auch die Germanen verehrten ihre Götter und Göttinnen nicht anhand figürlicher Darstellungen, sondern in heiligen Bäumen, Quellen und Steinen. Im Kontakt der ubischen und römischen Religiosität verschmolzen beide Wahrnehmungsformen. Der römische Brauch der figürlichen Darstellung des Göttlichen hat die heiligen Bäume auf die Seitenflächen der Weihesteine verdrängt (9).
Die drei Madres werden von den heutigen Wissenschaftlern allerdings lediglich als Schutzkräfte interpretiert, die wie gütige Mütter schützend ihre Hand über die Betenden halten. Diese Trennung der Zuständigkeit für Leben und Tod ist der ursprünglich universalen Bedeutung der „Großen Mutter“ fremd, und die Menschen in ihrer Alltagsrealität hielten wohl auch über Jahrhunderte an der Verehrung für die Große Allmutter fest, auch wenn sie inzwischen sich in drei weibliche Gestalten transformiert hatte.
Das zähe Festhalten an den alten Gottheiten, auch noch in Zeiten, in denen sich offiziell längst die christliche Religion durchgesetzt hatte, wird in den Beichtspiegeln des hohen Mittelalters und der frühen Neuzeit deutlich. Offensichtlich deckten Frauen noch bis ins 16. Jahrhundert – vor allem in den ländlichen Regionen – heimlich den drei Heiligen Frauen den Tisch und legten Speise und Trank für sie hin, in bestimmten wichtigen Nächten und auch, wenn ein Kind zur Welt kam, damit die drei Frauen Kind und Mutter von Krankheit und Tod schützten (8).
Die Ketten um den Hals der römisch-ubischen Madres mit dem Mondsymbol sind ohne Anfang und Ende. Auch die symbolische Bedeutung der Äpfel in ihren Körben weisen sie als Erscheinungsformen der Großen Schöpferin aus, die über Leben und Tod und Wiedergeburt, und selbst den Haustieren wurde noch lange beim Schlachten im letzten Augenblick ein Apfel ins Maul gedrückt als Garant der Wiedergeburt für das Mitgeschöpf. In vielen Gräbern bereits des Jungpaläolithikums und des Neolithikums fanden sich Hinweise, dass den Toten diese bedeutungsvolle Frucht mit auf den Weg in das nächste Leben mitgegeben worden war (8).
Die drei Bethen lassen sich nach allen Zeugnissen der entsprechenden Untersuchungen den vorindoeuropäischen bzw. indoeuropäischen Natur-Religionen, also der Zeit zwischen 30.000 und 10.000 v. Chr., in der langsam der Übergang zu Sesshaftigkeit und Ackerbau geschah, zuordnen. Diese Zuordnung widerspricht der volkskundlichen Zuordnung der drei Jungfrauen zum späten Mittelalter. Doch die späte Datierung der drei Jungfrauen ist für uns interessant, denn ausgelöst durch die großen verheerenden Pestepedemien, denen auch in unserer Region ganze Ortschaften zum Opfer fielen, hat zu dieser Zeit mehr oder minder versteckt offensichtlich eine Rückbesinnung vor allem auf die vorchristlichen Göttinnen stattgefunden. Erni Kutter, eine der Erforscherinnen der Dreifrauen-Spuren fand in kirchenamtlichen Schriften viele Hinweise, wie dies unerwünschte Rückwendung zu vorchristlichen Glaubensinhalten an der Schwelle zur Neuzeit von der Kirche eingeschätzt wurde. Beichtspiegel, Bußordnungen, bischöfliche Erlasse und Synodenbeschlüsse spiegeln den „andauernden und erbitterten Kampf der offiziellen Kirche gegen die jungfräulichen Bethen und ihre Verehrung“ (8) wider. Von Bischof Burchard von Worms ist ein Beichtspiegel enthalten, der belegt, wie alltäglich vorhanden noch im 11. Jahrhundert der Glaube an die drei
Frauen bzw. die Verehrung für Diana Artemis gewesen sein muss. In der kleinen Kirche von Klerant in Tirol, in der sich das bekannteste erhaltene Bild der drei Jungfrauen befindet, ist auch eine Szene zu sehen, in der der Bischof von Brixen die ehemalige Göttin Diana als „bösen Dämon Diana“ aus ihrem heiligen Platz vertreibt.
Eine der Beichtfragen von Bischof Burchard von Worms lautete: „Hast Du, wie manche Frauen es zu bestimmten Zeiten des Jahres zu tun pflegen, in deinem Haus einen Tisch gedeckt mit Speis und Trank und drei Messer hingelegt, damit die drei Schwestern sich daran erquicken können?“ Offensichtlich wurden im ersten Jahrtausend n. Chr. noch an vielen Orten, an denen auch die drei Bethen verehrt wurden, die Göttinnen Diana und Minerva-Juno und auch Jupiter verehrt (8). Die Raunächte waren eine besonders heilige Zeit der drei Jungfrauen, das verweist darauf, dass sie nicht nur einfach Wohltäterinnen waren, sondern sie waren für Leben und Tod, d. h. für die Reinkarnation zuständig.
Die Einzelverehrung der Ambet
- ob es in oder bei Hofheim eine alte Kultstätte gäbe
- ob es in Hofheim oder in der Umgebung eine Frauensage gäbe
- ob die Kapelle auf dem Kapellenberg eine Pestkapelle sei (5).
- Heide Göttner-Abendroth/Kurt Derungs (Hg.):
Mythologische Landschaft Deutschland, Bern 1999. - Heide Göttner-Abendroth: Frau Holle und Frau Venus in Thüringen. Große Göttinnen des Matriarchats in Mitteldeutschland. In: Heide Göttner-Abendroth/Kurt Derungs (Hg.):
Mythologische Landschaft Deutschland, Bern 1999. S. 236-254. - Ina-Maria Greverus: Der territorial Mensch. Frankfurt am Main 1872.
- Erika Haindl: Kulturanalyse einer “historischen Kleinstadt als Grundlage für kommunalpolitische Planungs- und Sozialaufgaben“. Dissertation. Frankfurt/Bern 1979.
- Hans Henninger: Die Hofheimer Ambet. Hg.: Verein Hofheimer Fastnachtszug e.V. Hofheim 1987.
- Fritz Rudolf Herrmann: Der Kapellenberg bei Hofheim am Taunus, Main-Taunus-Kreis.
- Führungsblatt zu den vorgeschichtlichen Grabhügeln, dem römischen Wachtturm und dem frühmittelalterlichen Ringwall. In der Reihe „Archäologische Denkmäler in Hessen“. Nr. 30. Hg. Von der Abteilung für Vor- und Frühgeschichte im Landesamt für Denkmalpflege Hessen. Wiesbaden 1983.
- Erni Kutter: Heilige Jungfrauen, Salige und Wilde Fräulein. In: Heide Göttner-Abendroth/Kurt Derungs (Hg.): Mythologische Landschaft Deutschland, Bern 1999. S. 216-235.
- Erni Kutter: Der Kult der drei Jungfrauen. Eine Kraftquelle weiblicher Spiritualität neu entdeckt. München 1997. (Karl Hofer: Die heiligen drei Jungfrauen auf dem Meranserberge (In: Der Schlern. Monatszeitschrift für Südtiroler Landeskunde, 1929).
- Matronen und verwandte Gottheiten. Ergebnisse eines Kolloquiums veranstaltet von der Göttinger Akademiekommission für die Altertumskunde Mittel- und Nordeuropas. Köln 1987.
- Matthias Zender: Die Verehrung von drei heiligen Frauen im christlichen Mitteleuropa und ihre Vorbereitungen in alten Vorstellungen. In: Matronen und verwandte Gottheiten. Ergebnisse eines Kolloquiums veranstaltet von der Göttinger Akademiekommission für die Altertumskunde Mittel- und Nordeuropas. Köln 1987. S. 213-228.
- Karl Hofer: Die heiligen drei Jungfrauen auf dem Meranserberge (In der Schlern. Monatszeitschrift für Südtiroler Landeskunde, 1929.
Der Beitrag wurde in „Zwischen Main und Taunus – Jahrbuch des Main-Taunus-Kreises, 2003, Seite 103 bis 110, veröffentlicht. Mit freundlicher Genehmigung des Main-Taunus-Kreises und dem Sohn der Autorin erfolgt diese Präsentation. Wir bedanken uns beim MTK und dem Sohn der Autorin.
Bearbeitung: Historischer Arbeitskreis Hofheim (Wilfried Wohmann)