Historisches Hofheim am Taunus

Altes für die Zukunft bewahren!



Die Hofheimer Ambet
Die Ahnin der Hofheimer Fastnachtsprinzipalin:
Eine Göttin aus der Steinzeit



Erika Haindl


Wir Menschen haben grundlegende Bedürfnisse an den von uns gewählten Lebensraum: Wir möchten Einfluss darauf nehmen, was in diesem Raum geschieht und wir möchten diesen Raum sozial und kulturell mitgestalten (3). Dieser beschreibbare Lebensraum wird nicht nur von uns geprägt, sondern trägt – trotz aller Modernität – auch noch immer die Handschrift der Wertorientierungen vieler Generationen, die vor uns hier gelebt haben.

Unser Interesse gilt der Stadt Hofheim und der eigenartigen lokalen Tradition, dass hier im Karneval nicht ein Prinzenpaar herrscht, sondern die Ambet. Da tauchen viele Fragen auf, aber auch eine Reihe meist versteckter Antworten.

Es gibt Forschungsergebnisse, wonach es möglich erscheint, dass die „Ambet“ bereits im Jungpaläolithikum als Gottheit verehrt worden ist (7).


Die Hofheimer Ambet am Ambetbrunnen, 2023 - Foto: Heiko Schmitt


Ihr Kult wäre dementsprechend tausende von Jahren vor dem Christentum lebendig gewesen. Dies Muttergottheit könnte einstmals mit dem Standort Hofheim mehr verbunden gewesen sein, als wir ahnen. Welche Zusammenhänge auch immer hineingewirkt haben – die Ambet hat in Hofheim heute als Prinzipalin der lokalen Fastnacht wieder inne, wenn auch eines tieferen religiösen Sinns entkleidete Gegenwart bekommen.

Wie es zur Fastnachtsfigur der Ambet in Hofheim kam

Hans Henninger, langjähriger und inzwischen verstorbener Vorsitzender des Hofheimer Karnevalvereins hat in seinem 1988 erschienen Büchlein: „Die Hofheimer Ambet. Geschichten, Geschichte und Fastnacht“ beschrieben, wie der Brauch entstand (5). Als 1960, fünfzehn Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges erstmals in Hofheim wieder ein Fastnachtszug vorbereitet wurde, war niemand bereit, die Rolle des Prinzenpaars zu übernehmen. Andererseits waren nach den entbehrungsreichen Nachkriegsjahren die Vorfreund und Erwartungen in der Bevölkerung überproportional groß. Wie die erste Hofheimer Ambet gefunden wurde, beschreibt ein Karnevalist in einem Gedicht in dem Hofheimer Ambet-Buch von Hans Henninger. Hier ein Auszug: „… ein Gedanke beherrscht mich nur: „Hedi“ sprach ich, und kam zur Sache, „du könntst an Fassenacht die AMBETT mache. Du kannst obbe uff em Wage throne, fährst durch die Gasse, wo die Leut all wohne, brauchst nur zu lache immerzu und laut zu kreische „AWUH AWUH“. Die Sache mit dem bißche Geld, die schaffe mir noch aus de Welt“. Die Hedi war drauf kurz entschlosse, die kann die Posse halt nit losse, so ward des Prinzenpaar verschoben und die AMBETT aus de Tauf gehoben. Die Hofheimer habbe sich gefreit, so begann die schöne AMBETT-Zeit!“

Auf diese Weise wurde Hedi Lilli, eine stadtbekannte Frau als Ambett die Herrin der Hofheimer Fastnacht. Hedi Lilli hatte psychisch und physisch mit der zarten Gestalt der Ambet, wie sie heute den Ambet-Brunnen des Karnevalsvereins gegenüber dem Hofheimer Bahnhof schmückt, wenig zu tun. Sie war von üppiger Gestalt und von übersprudelnder Herzlichkeit, gepaart mit einem fixen Mundwerk. Sie war ledig, hat von der Arbeit ihrer eigenen Hände gelebt und verfügte über das entsprechende Selbstbewußtsein.

Wie jedoch kamen die Hofheimer Fastnachter auf die Figur der Ambet? In der regionalen Tradition gab es zwei sehr konträre Images für Ambet: einmal die „schlächt Ambett“ im Spott der Nachbarorte und zum anderen die liebevolle Erinnerung der alteingesessenen Hofheimer an „unsere liebe Mudder Ambet“.

Die „liebe Mudder Ambet“ war jedoch nicht nur die Helferin in Kindsnöten und bei schwerer Krankheit, sondern auch die Hüterin jener Gesetze, auf die die Gemeinschaft aufbaute; sie bestrafte diejenigen, die die Normen missachteten (5). Es gibt ein langes Gedicht über die Hofheimer Ambet zu einigen Zeichnungen des Hofheimer Malers Faust, in der die Ambet in ihrem Bett schläft und über den politischen Lärm um eine nachkriegs-konkrete, abgekartete Bürgermeisterwahl erwacht und den unredlichen Bewerber für das Amt übers Knie legt und ihm den Hintern versohlt, während seine ehedem lauthals singende Anhängerschaft klammheimlich das Weite sucht (5).

Anders als bei den Ulknamen anderer umliegender Gemeinden gab es keine plausible Erklärung für den Begriff „Ambett“, der den Hofheimern anhing, und so waren die unterschiedlichsten Versionen im Umlauf. Interessant ist auch, dass die vorletzte Generation der „alten Hofheimer“ noch wußte, dass die Ambet zu guter Letzt auch eine Person war, die niemand mehr ernst nahm. Es gibt ein langes Gedicht von dem verstorbenen Hofheimer Korbmacher Jakob Hammel, in dem er zunächst die edlen Eigenschaften der Ambet beschreibt: Sie sei nicht, wie ihr ritterlicher Ehemann durch die hereingebrochene Not verzagt, Ihr steht uralte weibliche Weisheit und Heilkraft zur Verfügung. Selbst vor der Pest hatte sie keine Angst.

Aber später wurde sie verspottet, dass man zu jemanden aus Hofheim, den man klein machen wollte zu sagen pflegte: „Geh ham du aal Ambett“. Also am Ende der Geschichte: Abwertung und Verächtlichmachung (5).

Der Ambet-Brunnen

Inzwischen hat die vorgeschichtliche Herkunft der Ambet eine öffentliche Würdigung gefunden. 1964 wurde vom Karnevalsverein gegenüber dem Bahnhof auf der ehemaligen Bleiche am Schwarzbach der Ambet-Brunnen aufgestellt. Ich finde es gut, dass der Brunnen auf einem alten Frauenarbeitsplatz steht, wenn auch die zerbrechlich wirkende Gestalt der Ambet mit dem demütig gesenkte Kopf wenig von der archaischen Lebensenergie spüren lässt, die einer Göttingestalt aus der Frühzeit der Menschengeschichte zugeordnet werden sollte.

Neben dem Hofheimer Ambet-Brunnen befindet sich eine Bronzetafel mit folgendem Text: „Erbaut 1964 von der Karnevalgesellschaft 1900 e. V. Wer war die Ambet, die seit 1960 Zentralfigur der Hofheimer Fastnacht ist? Hofheim war im Mittelalter Amtsstadt. Die Nachbarn verspotteten die Hofheimer mit Hofeim-Schloofem und nannten sie Ambetten. Die Hofheimer selbst sprachen immer nur von der Mutter Ambet. Vieles deutet darauf hin, dass diese Mutter Ambet eine Gestalt ist, die aus grauer Vorzeit die Zeit überdauerte. Der Kapellenberg, der bis zum Bau der Pestkapelle 1667 verteufelt war und Räuberberg hieß, ist seit mehr als 5000 Jahren besiedelt.“

Bei Nachforschungen stößt man schnell auf die „drei heiligen Frauen“ (5). In Worms heißen sie Embede, Willebede und Warbede, in dem alten Bethenort Meransen in Tirol heißen sie Aubet, Coubet und Guerre. Mancherorts heißen sie Ambet, Wilbet und Borbet, woanders wird die Ambet auch alleine erwähnt und ab und an auch Einbet genannt.

Unter dem Einfluss des Christentums veränderten sich die Namen der Aubet, Coubet und Guerre, z.B. in Meransen/Tirol zu St. Aubet, St. Cubet und St. Guerre. Die drei Bethen wurden in der Obhut der Kirche an manchen Orten zur hl. Margarete, zur hl. Barbara und hl. Katharina, aber ihre archaische Herkunft lässt sich anhand der ihnen zugehörige Insignien noch immer entschlüsseln. Das achtspeichige Rad der Katharina ist von der vorchristlichen Bedeutung her das Symbol für die acht großen Feste des Jahreskreises. Die Schlange bzw. der Lindwurm der hl. Margarete steht für das heilige Tier der zyklischen Göttin und symbolisiert die ehemals positiv bewertete Wandlungskraft der Frauen durch Gebärfähigkeit und Menstruation. Die heilige Barbara trägt meist einen Kelch; bei den Kelten der mythenumwobene Kessel der Göttin, in dem die Seelen auf ihre Wiedergeburt warteten (8).

Die Drei Jungfrauen in der Forschung

Das intensivste archäologische Interesse finden die drei Jungfrauen in der Form der ubischen Matronen im Raum Köln-Aachen (9). Die römischen Überlagerer hatten in der, dem römischen Imperium eigenen Art den im Siedlungsgebiert der Ubier beheimateten Kult der drei Madres übernommen, so dass eine erstaunlich große Anzahl von römischen Weihesteinen mit den Bildern der drei Frauen bei Ausgrabungen zu Tage kommen. Die Frauen sind in der ubischen Tracht mit den typischen großen Hauben und jeweils einem Korb voller Früchte auf ihrem Schoß dargestellt.

Die Kelten wie auch die Germanen verehrten ihre Götter und Göttinnen nicht anhand figürlicher Darstellungen, sondern in heiligen Bäumen, Quellen und Steinen. Im Kontakt der ubischen und römischen Religiosität verschmolzen beide Wahrnehmungsformen. Der römische Brauch der figürlichen Darstellung des Göttlichen hat die heiligen Bäume auf die Seitenflächen der Weihesteine verdrängt (9).

Die drei Madres werden von den heutigen Wissenschaftlern allerdings lediglich als Schutzkräfte interpretiert, die wie gütige Mütter schützend ihre Hand über die Betenden halten. Diese Trennung der Zuständigkeit für Leben und Tod ist der ursprünglich universalen Bedeutung der „Großen Mutter“ fremd, und die Menschen in ihrer Alltagsrealität hielten wohl auch über Jahrhunderte an der Verehrung für die Große Allmutter fest, auch wenn sie inzwischen sich in drei weibliche Gestalten transformiert hatte.

Das zähe Festhalten an den alten Gottheiten, auch noch in Zeiten, in denen sich offiziell längst die christliche Religion durchgesetzt hatte, wird in den Beichtspiegeln des hohen Mittelalters und der frühen Neuzeit deutlich. Offensichtlich deckten Frauen noch bis ins 16. Jahrhundert – vor allem in den ländlichen Regionen – heimlich den drei Heiligen Frauen den Tisch und legten Speise und Trank für sie hin, in bestimmten wichtigen Nächten und auch, wenn ein Kind zur Welt kam, damit die drei Frauen Kind und Mutter von Krankheit und Tod schützten (8).

Die heiligen drei Jungfrauen in Meransen, Südtirol, Prezessionsfiguren aus dem 15. Jahrhundert.- Aus: Heide Göttner-Abenroth/Kurt Derungs (Hg,), Mythologische Landschaft Deutschland, Bern 1999


Die Ketten um den Hals der römisch-ubischen Madres mit dem Mondsymbol sind ohne Anfang und Ende. Auch die symbolische Bedeutung der Äpfel in ihren Körben weisen sie als Erscheinungsformen der Großen Schöpferin aus, die über Leben und Tod und Wiedergeburt, und selbst den Haustieren wurde noch lange beim Schlachten im letzten Augenblick ein Apfel ins Maul gedrückt als Garant der Wiedergeburt für das Mitgeschöpf. In vielen Gräbern bereits des Jungpaläolithikums und des Neolithikums fanden sich Hinweise, dass den Toten diese bedeutungsvolle Frucht mit auf den Weg in das nächste Leben mitgegeben worden war (8).

Die drei Bethen lassen sich nach allen Zeugnissen der entsprechenden Untersuchungen den vorindoeuropäischen bzw. indoeuropäischen Natur-Religionen, also der Zeit zwischen 30.000 und 10.000 v. Chr., in der langsam der Übergang zu Sesshaftigkeit und Ackerbau geschah, zuordnen. Diese Zuordnung widerspricht der volkskundlichen Zuordnung der drei Jungfrauen zum späten Mittelalter. Doch die späte Datierung der drei Jungfrauen ist für uns interessant, denn ausgelöst durch die großen verheerenden Pestepedemien, denen auch in unserer Region ganze Ortschaften zum Opfer fielen, hat zu dieser Zeit mehr oder minder versteckt offensichtlich eine Rückbesinnung vor allem auf die vorchristlichen Göttinnen stattgefunden. Erni Kutter, eine der Erforscherinnen der Dreifrauen-Spuren fand in kirchenamtlichen Schriften viele Hinweise, wie dies unerwünschte Rückwendung zu vorchristlichen Glaubensinhalten an der Schwelle zur Neuzeit von der Kirche eingeschätzt wurde. Beichtspiegel, Bußordnungen, bischöfliche Erlasse und Synodenbeschlüsse spiegeln den „andauernden und erbitterten Kampf der offiziellen Kirche gegen die jungfräulichen Bethen und ihre Verehrung“ (8) wider. Von Bischof Burchard von Worms ist ein Beichtspiegel enthalten, der belegt, wie alltäglich vorhanden noch im 11. Jahrhundert der Glaube an die drei 

Die drei Matronen mit Druchkörben vom Quellenheiligtum von Mümling-Grumbach im Odenwald. Aus: Sigrid Früh (Hg.): Der Kult der drei heiligen Frauen. Märchen, Sagen und Brauch. edition amamlia. CH-Bern 1988. S. 30


Frauen bzw. die Verehrung für Diana Artemis gewesen sein muss. In der kleinen Kirche von Klerant in Tirol, in der sich das bekannteste erhaltene Bild der drei Jungfrauen befindet, ist auch eine Szene zu sehen, in der der Bischof von Brixen die ehemalige Göttin Diana als „bösen Dämon Diana“ aus ihrem heiligen Platz vertreibt.

Die drei heiligen Jungfrauen aus St. Nikolaus in Klerant, Südtirol. Fresken aus der Werkstatt des Meisters Leonhard um 1470 - Foto: Hermann Haindl

Eine der Beichtfragen von Bischof Burchard von Worms lautete: „Hast Du, wie manche Frauen es zu bestimmten Zeiten des Jahres zu tun pflegen, in deinem Haus einen Tisch gedeckt mit Speis und Trank und drei Messer hingelegt, damit die drei Schwestern sich daran erquicken können?“ Offensichtlich wurden im ersten Jahrtausend n. Chr. noch an vielen Orten, an denen auch die drei Bethen verehrt wurden, die Göttinnen Diana und Minerva-Juno und auch Jupiter verehrt (8). Die Raunächte waren eine besonders heilige Zeit der drei Jungfrauen, das verweist darauf, dass sie nicht nur einfach Wohltäterinnen waren, sondern sie waren für Leben und Tod, d. h. für die Reinkarnation zuständig. 

Gleichgültig, ob die drei Frauen als hl. Anbet, Wilbeth und Warbeth, als Spes, Fides und Caritas verehrt wurden oder als hl. Barbara, hl. Margarete und hl. Katharina: sie blieben immer offensichtlich autonome, selbstbewusste Frauen. Erst im 16. und 17. Jahrhundert führten die kirchlichen Maßnahmen zu einem gewissen Erfolg, nicht zuletzt durch die tiefgreifenden Auswirkungen der Hexenverfolgungen. Die alten Bethenorte wurden durch den Bau von Marienwallfahrtskirchen und -kapellen umfunktioniert. Nur an wenigen Stellen finden sich heute noch in einigen Kirchen in Bayern und Tirol, meist verdrängt an nachgeordneten Stellen im Kirchenraum Spuren dieser autonomen Frauen. In der Kirche St. Nikolaus im abgelegenen Klerant/Tirol sind die „drei göttlichen Frauen“ noch an ihrem Originalplatz, im Chorbogen, noch immer in der originalen Darstellung von 1470 zu sehen.

Die drei stolzen und herrschaftlich anzusehenden Jungfrauen von Klerant tragen in ihren Händen goldene Kugeln, Sinnbilder des Kosmos. Ampet und Bruen tragen ihre roten Haare offen. Die mittlere der Kleranter Jungfrauen, Gewer, hat das Haar in der Form der verheirateten Frauen hochgebunden und mit schwarzen und weißen Bändern umwickelt. Haare galten seit altersher als Sitz der Lebenskraft und deshalb haben sie in den Hexenprozessen auch den Frauen meist alle Körperhaare abgeschnitten oder abgesengt, um diese Verbindung zur Lebenskraft zu zerstören.

Das Tragen der offenen Haare bei einer erwachsenen Frau war auf jeden Fall so zu verstehen, dass sich die Trägerin der Domestizierung widersetzen konnte.

Die Einzelverehrung der Ambet

Wir können jedoch davon ausgehen, dass der Verehrung nur einer Göttin ältere Vorstellungen zugrunde liegen als der differenzierten Form mit drei verschiedenen Namen. An manchen Orten heißt die Ambet auch Einbet: Die Eine, die alle Aspekte in sich vereinigt. Diese eine große Göttin tritt uns im frühen Christentum auch noch in der Gestalt der Sophia entgegen.

Spannend ist auch, dass generell in der Anna-Selbdritt-Gruppe Anna immer die Größere ist. Als Nachfolgerin der Ambet oder Einbet verkörpert Anna die Einheit der drei Lebensformen von Großmutter, Mutter und Kind als Einheit des weiblichen Seins.

Die Ambet und der Hofheimer Kapellenberg

Der Volkskundler Hinkeldey stellte seinerzeit dem Hofheimer Karnevalvereinvorsitzenden drei wichtige Fragen:
  1. ob es in oder bei Hofheim eine alte Kultstätte gäbe
  2. ob es in Hofheim oder in der Umgebung eine Frauensage gäbe
  3. ob die Kapelle auf dem Kapellenberg eine Pestkapelle sei (5). 
Der Kapellenberg, an dessen Fuß sich das historische Hofheim entwickelt hat, ist einer der interessantesten Berge des Taunus. Seine prägnante Lage mit den steil abfallenden Seiten hebt ihn seit jeher im Landschaftsbild heraus. Auf dem Berg ist eine erstaunlich große Zahl von Bauwerken aus den unterschiedlichsten Zeithorizonten zu finden, die alle von ihrer Bedeutung für das lokale Gemeinwesen und auch aufgrund ihrer optischen Fernwirkung für die Region sehr bedeutsam sind bzw. waren.

Diese auf einen Berg konzentrierte Fülle von Zeugnissen menschlicher Kultur aus vielen Zeithorizonten muss prinzipiell stutzig machen. Wieso lässt sich hier Kulturgeschichte so intensiv ablesen? Interessant sind dazu zwei Abschnitte aus dem Ambet-Buch von Hans Henninger. Einmal zitiert er eine Broschüre der katholischen Kirchengemeinde aus dem Jahr 1926, die heute leider als verschollen gilt, in der die vorchristliche Bedeutung des Berges, wenn auch nur in einem Nebensatz, kurz erwähnt wird, die zu einer Verteufelung des Berges in christlicher Zeit geführt hatte. Der Text bezieht sich auf den Bau der Bergkapelle: „Viele Jahrhunderte des Schweigens folgten, bis die gläubige Bevölkerung des kleine Ortes Hofheim, geführt von ihrem Hirten und unterstützt von den hilfsbereiten Nachbarn, an Stelle des alten heidnischen Götterdienstes mit großem Gemeinsinn und inniger Opferbereitschaft für den christlichen Gottesdienst in ihrer Bergkapelle eine Stätte bereiteten.“

Henninger fährt fort: „Aus den Ausführungen von Frau Thiele wissen wir, dass die Menschen in ihrer großen Not durch die Pest sich wieder mehr den Gottheiten zuwandten. Auch hier in Hofheim hatte allem Anschein nach die Verteufelung des Berges und die Verspottung der Ambet nicht ausgereicht, die alten Gottheiten vollends zu verdrängen. Der damalige Pfarrer Johann Gleidner, ein geborener Hofheimer, änderte spontan die bisherige Strategie der Verteufelung des Berges und führte am 3. Juni 1666 die Gemeinde (…) den Hang hinauf auf den Räuberberg. In einer Rede versuchte er die Gläubigen zu veranlassen, auf dem Berg eine Kapelle zu bauen und schlug vor, den Berg zukünftig ‚Karmelberg‘ zu nennen. Am 2. Juli 1666 führt der Pfarrer seine Gemeinde, begleitet von vielen Gläubigen aus den Nachbargemeinden, wieder hinauf auf den Berg, um das Gelübde zu erneuern … So wurde im Jahre 1667 die Bergkapelle erstmals erbaut. Sie wurde der hl. Maria und den Schutzheiligen Rochus und Sebastian geweiht … Die Ambet als Gottheit geriet durch die Initiative des Pfarrers Gleidner in Vergessenheit. Erstaunlich, dass trotzdem das Bild der Mutter Ambet erhalten geblieben ist. Auch in dieser Tatsache liegt eigentlich ein Beweis für ihre vorgeschichtliche Herkunft, wie auch die Fastnacht insgesamt vor der Zeitrechnung ihren Ursprung hat“ (5).

Der langjährige Leiter der hessischen Bodendenkmalpflege, Dr. Fritz-Rudolf Herrmann, schreibt in einem Führungsblatt zum Kapellenberg bei Hofheim am Taunus, Main-Taunus-Kreis: „Ein weiteres unscheinbares Denkmal auf dem Kapellenberg darf besonderes Interesse fordern, da es ungewöhnlich und in seiner Bedeutung noch unklar ist. Es handelt sich um die teilweise auch als Rundschanze bezeichnete ‚kreisrunde Umgrabung‘ oberhalb der Kapelle, die ziemlich genau in der Mitte vom Königsteiner Weg durchschnitten wird und deren Osthälfte großenteils zerstört ist“ (6).

Die Untersuchung durch G. Wolff im Jahre 1896 ergab einen runden, abgegrenzten Bezirk von etwa 70 m Gesamtdurchmesser, der von einer Palisade und hinter dieser mit einem Graben umhegt war. Herrmann: „Im Innern, am angenommenen Mittelpunkt, fand sich eine rundliche Grube von 4-5 m Durchmesser, die muldenförmig 0,90 m tief ausgehoben war. Eine wehrtechnische Bedeutung kann die Anlage nicht gehabt haben, ebensowenig ist eine andere praktische Nutzung denkbar. Daher muss man in der Anlage wohl ein Heiligtum sehen“ (6).

Die Frage ist: war es ein Heiligtum der Ambet, der „Großen Mutter“?

Interessant ist die Erwähnung einer muldenartigen Grube in der Mitte der Anlage. Es gibt die Hypothese, dass derartige Anlagen dazu dienten, sich in Todes- und Wiedergeburtserfahrungen mit dem Phänomen des Todes auseinander zu setzen.

Was die zweite Frage des Volkskundlers Hinkeldey nach einer Frauensage anbelangt, antwortete Hans Henninger trotz der diffus vorhandenen Erinnerung an die Ambet, dass eine Frauensage nicht bekannt sei (5).

Interessant ist vor allem die dritte Frage Hinkeldeys, ob es sich bei der Kapelle auf dem Berg um eine Pestkapelle handele. Das Gelübde zum Bau der Bergkapelle stammt aus dem Jahr 1666, einer Zeit, die wir die frühe Neuzeit nennen, die geprägt war von großen Glaubensverunsicherungen, von einem tiefgehenden Umbruch religiöser und sozialer Werte. Zusätzlich war die Mitte des 17. Jahrhunderts von einer gravierenden Klimaverschlechterung gekennzeichnet, in deren Folge Missernten, Tiersterben und Krankheiten auftraten. Pestwellen brandeten durch Europa und erfüllten die Menschen mit Angst und Entsetzen. Dies dürften einige der Gründe für ein erneutes Aufflackern der alten Naturreligionen, vor allem in den ländlichen Regionen, gewesen sein. Die katholische Kirche versuchte, die Gefährdung durch den verstärkten Bau von Wallfahrtskapellen abzuwehren. In Meransen im Pustertal, das erst durch den heutigen Wintersport Zugang zu Wohlstand und Modernität bekommen hat, war noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts folgendes Gebet an die drei Jungfrauen gerichtet worden: „Oh heilige drei Jungfrauen Aubet (Ambet) Cubet und Guerre. Ihr habt schon vielen zur Gesundheit des Leibes und der Seele verholfen, das Vieh gesund erhalten und andere Gnaden erteilt …, nehmt uns in Euren mächtigen Schutz. Wendet ab von uns … Krieg, Hunger, ansteckende Krankheiten, Viehseuchen, Blitz, Hagel und verderbliche Winde. Erwirket uns zur rechten Zeit erwünschten Sonnenschein und fruchtbaren Regen und andere den Feldfrüchten zuträgliche Witterung“ (11). So wurde Maria und mit ihr die beiden Pestheiligen auf den ehemals heiligen und dann verteufelten Hofheimer Haus-Berg eingesetzt. Auch in die Wallfahrt zu Bergkapelle sind – so Dr. Herrmann – offensichtlich „sehr alte Traditionen“ eingeflossen.

Dass der Hofheimer Karnevalsverein „unsere Mutter Ambet“ zur Faschingskönigin gemacht hat, die, wie Henninger schreibt, nur Freude zu den Menschen bringen solle, trifft also mit Blick auf ferne Zeithorizonte nur die halbe Erfahrung der Menschen mit dem Hofheimer Hausberg.

Die Wiederentdeckung vergessener, jahrtausendealter religiöser Orientierungen, die in der Einheit von Mensch und Natur wurzelten, kann in unserer eigenen Gegenwart, die ebenfalls in ihren Wertorientierungen irritiert ist, als Herausforderung empfunden werden. Die Naturverehrung unserer Vorfahren beruhte auf einer tiefreligiösen Verankerung. Wenn wir den Mangel daran bei uns heute betroffen feststellen, hat das mit sektiererischem Neuheidentum, wie so oft behauptet wird, nichts zu tun. Die Wiederentdeckung jahrtausendalter religiöser Wertungen könnte vielleicht endlich zu einer real gelebten Respektierung der Göttlichkeit der Schöpfung und all ihrer Geschöpfe führen.

In jedem Fall hilft uns die Beschäftigung mit der Besonderheit des Kapellenberges und seiner kulturellen Prägungen wieder etwas von der Sprache der uns umgebenden Landschaft zu verstehen, denn auch heute noch wirken die Kräfte von Kosmos und Erde ineinander.

Immerhin können wir aus der Geschichte der Ambet erkennen, dass, wenn der Regen der Bonbons und Blumensträußchen aus den Händen der Fastnachtsprinzipalin Ambet auf uns herniederfällt, die Güte der uralten Erdmutter sich symbolisch noch immer in Üppigkeit und Fülle zeigt.

Benutzte Literatur
  1. Heide Göttner-Abendroth/Kurt Derungs (Hg.):
    Mythologische Landschaft Deutschland, Bern 1999.
  2. Heide Göttner-Abendroth: Frau Holle und Frau Venus in Thüringen. Große Göttinnen des Matriarchats in Mitteldeutschland. In: Heide Göttner-Abendroth/Kurt Derungs (Hg.):
    Mythologische Landschaft Deutschland, Bern 1999. S. 236-254.
  3. Ina-Maria Greverus: Der territorial Mensch. Frankfurt am Main 1872.
  4. Erika Haindl: Kulturanalyse einer “historischen Kleinstadt als Grundlage für kommunalpolitische Planungs- und Sozialaufgaben“. Dissertation. Frankfurt/Bern 1979.
  5. Hans Henninger: Die Hofheimer Ambet. Hg.: Verein Hofheimer Fastnachtszug e.V. Hofheim 1987.
  6. Fritz Rudolf Herrmann: Der Kapellenberg bei Hofheim am Taunus, Main-Taunus-Kreis.
  7. Führungsblatt zu den vorgeschichtlichen Grabhügeln, dem römischen Wachtturm und dem frühmittelalterlichen Ringwall. In der Reihe „Archäologische Denkmäler in Hessen“. Nr. 30. Hg. Von der Abteilung für Vor- und Frühgeschichte im Landesamt für Denkmalpflege Hessen. Wiesbaden 1983.
  8. Erni Kutter: Heilige Jungfrauen, Salige und Wilde Fräulein. In: Heide Göttner-Abendroth/Kurt Derungs (Hg.): Mythologische Landschaft Deutschland, Bern 1999. S. 216-235.
  9. Erni Kutter: Der Kult der drei Jungfrauen. Eine Kraftquelle weiblicher Spiritualität neu entdeckt. München 1997. (Karl Hofer: Die heiligen drei Jungfrauen auf dem Meranserberge (In: Der Schlern. Monatszeitschrift für Südtiroler Landeskunde, 1929).
  10. Matronen und verwandte Gottheiten. Ergebnisse eines Kolloquiums veranstaltet von der Göttinger Akademiekommission für die Altertumskunde Mittel- und Nordeuropas. Köln 1987.
  11. Matthias Zender: Die Verehrung von drei heiligen Frauen im christlichen Mitteleuropa und ihre Vorbereitungen in alten Vorstellungen. In: Matronen und verwandte Gottheiten. Ergebnisse eines Kolloquiums veranstaltet von der Göttinger Akademiekommission für die Altertumskunde Mittel- und Nordeuropas. Köln 1987. S. 213-228.
  12. Karl Hofer: Die heiligen drei Jungfrauen auf dem Meranserberge (In der Schlern. Monatszeitschrift für Südtiroler Landeskunde, 1929.

 


Der Beitrag wurde in „Zwischen Main und Taunus – Jahrbuch des Main-Taunus-Kreises, 2003, Seite 103 bis 110, veröffentlicht. Mit freundlicher Genehmigung des Main-Taunus-Kreises und dem Sohn der Autorin erfolgt diese Präsentation. Wir bedanken uns beim MTK und dem Sohn der Autorin.


Bearbeitung: Historischer Arbeitskreis Hofheim (Wilfried Wohmann)

 


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