Historisches Hofheim am Taunus

Altes für die Zukunft bewahren!

Hofheimer Personen


Gemälde von Ottilie W. Roederstein - Foto: Privat

Hermann Wilhelm Jughenn



Reichsbahnamtmann, Bergsteiger, Heimatforscher, Kunstfreund & Verfasser der Biografie über Ottilie W. Roederstein


* 9. März 1888 in Spandau (heute: Berlin)
+ 20. Oktober 1967 in Hofheim am Taunus


Familie - Jugend & beruflicher Werdegang

Hermann Jughenn wurde als Sohn des in der Waffenfabrikation als Büchsenmacher und Schäfter tätigen Eduard Jughenn und der Josephine, geb. Haas, zuletzt wohnhaft in Siegburg, geboren. Er war ein begabter Junge, der jedoch wegen eines „Dumme-Jungen-Streiches“ ein Jahr vor dem Abitur von der Schule verwiesen wurde.

Seine Eisenbahner-Laufbahn begann er daher 1906 als 18-jähriger, wo er sich beim Schienenbau sein erstes eigenes Geld verdiente. In der Folge wurde er Bahnhofsvorsteher in Au an der Sieg, da ein Vorgesetzter frühzeitig seine Qualitäten erkannte. Er war damit der jüngste Bahnhofsvorsteher Deutschlands. Die betriebswirtschaftliche Sparte war sein spezielles Wissensgebiet; daraus gingen über 100 einschlägige Schriften und eine Reihe von Vorträgen hervor. Am 2. Mai 1914 heiratete Hermann Jughenn in Rosbach an der Sieg Carola geb. Melchior, mit der er die Töchter Hannelore und Lieselotte hatte. Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges wurde er 1944 Bahnamtmann und nach Kriegsende 1945 Geschäftsführer des privaten Bahnunternehmens in der französischen Besatzungszone mit Sitz in Mainz.

Bedingt durch seinen Wechsel zur damaligen Reichsbahn in Frankfurt am Main wurde er auf der Suche nach einer endgültigen Wohnmöglichkeit in Hofheim am Taunus fündig. Diese bot sich in Gestalt der repräsentativen „Villa am Dachsberg“ (heute Albertsweg 1). Das Haus wurde 1912 von Baronin Blanche von Fabrice erbaut, die es später mit dem Schriftsteller Wilhelm Schäfer bewohnte, den sie 1917 heiratete. Diese zogen 1918 nach Ludwigshafen am Bodensee und verkauften das Haus 1920 an Jughenn.

Hofheimer Zeiten
Hermann Jughenn und seine Familie wurden bereits nach kurzer Zeit in dem damals angesagten Taunusstädtchen heimisch. 1920, im Jahr seines Zuzuges, gründete sich der Hofheimer Volksbildungsverein, in dessen Vorstand er sich von 1956 bis 1967 engagierte. 1956 gründete er den Geschichts- und Altertumsverein (zuvor Arbeitsgemeinschaft Heimatkunde). 1962/63 war er Initiator und Mitherausgeber der „Hofheimer Chroniken“. Er begann mit ersten Transkriptionsversuchen der alten Hofheimer Gerichtsbücher. Den Taunusklub Hofheim leitete er als Vorsitzender von 1952 bis 1958.  Er war ein fleißiger Wanderer und der Skizzenblock war sein ständiger Begleiter. Wie überhaupt die Nähe und das Erleben der Natur eine sehr große Rolle in seinem Leben spielten. Seine Enkelin Ingeborg Luyendyk berichtet, dass er sie gelegentlich morgens um 4 Uhr weckte, um draußen den Stimmen der Vögel zu lauschen. Wie vielschichtig seine Interessen waren, zeigt neben den geschilderten Leidenschaften für das Wandern, die Erforschung der Stadtgeschichte, die Malerei und vor allem seine Begeisterung für das Bergsteigen. Erstbesteigungen in den Zermatter Alpen und in den Dolomiten sind markante Stationen in seinem Leben.

Ernst Sorge, Carli Jughenn, Oskar Lutz, Gerda Sorge und Herrmann Jughenn auf Spitzbergen, 1935 – Foto: Privat

Den Höhepunkt dieser bergsteigerischen Unternehmungen bildete zweifellos die Expedition 1935 nach Spitzbergen. Mit dem bekannten Polarforscher und Glaziologen Dr. Ernst Sorge, welcher schon früher u. a. mit Alfred Wegener Expeditionen unternommen hatte, brach er als Fotograf in Begleitung seiner Frau zu diesem Abenteuer auf. Ernst Sorge hatte, nach Unstimmigkeiten über die Rechte an früheren Expeditionen, diese aus eigenen Mitteln organisiert und finanziert. Hermann Jughenn hielt sämtliche Einzelheiten, neben 1400 Fotoaufnahmen, in einem handgeschriebenen Tagebuch fest, das sich heute im Besitz der Familie befindet. Auch erstellte er eine handgefertigte Karte des bis dato unerforschten Operationsgebietes und taufte einen von ihm erstmals bestiegenen 1.200 m hohen Gletscher auf den Namen „Hofheimer Spitze“.

Aus seinem Tagebuch „Spitzbergen 1935“ kann man entnehmen, dass diese Expedition sehr anspruchsvoll war:

„Die Hofheimer Spitze ist ein terrassenförmig gestufter steiler Kletterberg. Er hat Überhänge, die durch Kamine und Risse über- oder umklettert werden müssen. Beim Klettern fand ich interessante Versteinerungen, die ich losschlug und mitnahm.“

Ottilie W. Roederstein und Hermann Jughenn in Hofheim, um 1933 - Bildquelle: Roederstein-Jughenn-Archiv, Städel-Museum


Die Künstlerin Ottilie W. Roederstein und das jahrzehntelange Erforschen ihres Werkes

Seine zweifelsohne bedeutendsten Verdienste lagen jedoch in der Freundschaft und lebenslangen Beschäftigung mit den Werken der Hofheimer Künstlerin Ottilie W. Roederstein. Sie, die er bereits 1920 kennenlernte, verstärkte sein erneutes Interesse für Kunst und Malerei, das ihn zeitlebens nicht mehr losließ. Er war nicht nur Kunstfreund und Kunstsammler, sondern selbst auch Künstler. Er schuf Gemälde in Öl, eine ganze Anzahl Radierungen, Landschaften und Porträts. Auch verfasste er Gedichte und war Autor von zahlreichen Publikationen, was zeigte, welch musisch und literarisch veranlagter Mensch er war. Stetig und jahrzehntelang richtete er die Forderung nach einem Museum an die Stadt Hofheim, was erst ein Viertel Jahrhundert später Realität wurde.

Seine Enkelin Ingeborg Luyendyk beschreibt ihr damaliges Aufwachsen im Elternhaus als „ein Leben im Museum“. Ebenso weiß sie sich noch an seine Schilderungen zu erinnern, dass er seine geliebte Kamera vor den - in Hofheim einmarschierenden fremden Soldaten – versteckte, indem er sie im Garten vergrub! Auch diverse Besuche mit ihrem Großvater im Roederstein-Haus, welches sich in fast direkter Nachbarschaft zum Wohnhaus Jughenn befand, sind ihr noch in Erinnerung. Zwar lebte Ottilie Roederstein schon nicht mehr, ihre Partnerin Dr. Elisabeth Winterhalter schuf jedoch im ehemaligen Atelierhaus eine Erinnerungsstätte. Durch diese Freundschaft zur Künstlerin und auch zu Hanna Bekker vom Rath lernte er zahlreiche Maler, Bildhauer und Schriftsteller kennen. Mit Hermann Hesse verband ihn beispielsweise ein Briefwechsel. In dessen Gedicht „Rückgedenken“, das er in Erinnerung an Roederstein verfasste, beschreibt Hesse einen Besuch bei ihr in Hofheim.

Nach dem Tod Roedersteins 1937 begann er sofort mit einer Biografie, die er nach 20 Jahren zu Ende brachte. Das Werk umfasste 42 Bände, in denen Jughenn neben einer Lebensbeschreibung der Künstlerin ca. 1800 Bilder katalogisierte sowie Briefe, Fotos und Pressetexte zusammentrug. Anfangs ging er biografisch-chronologisch vor, da er sich zunächst nicht unbedingt fachlich zu dieser Aufgabe befähigt sah. Gespräche mit Winterhalter und Freunden der Künstlerin bestätigten ihn jedoch bald in seinem Vorhaben, Lebensgeschichte und Werk einer freischaffenden Künstlerin für die Nachwelt zu dokumentieren. Er selbst hatte viele Werke gesammelt; ein Großteil des Nachlasses ging jedoch zunächst an mehrere Erben. Nach und nach erwarb er bis 1963 etliche ihrer Bilder wieder zurück. Vor seinem Tod legte er testamentarisch fest, dass seine Tochter Lieselotte Riehl die Bilder der Stadt Hofheim übereignen solle. Diesem Auftrag kam sie 1985 nach, indem sie 37 wertvolle Gemälde sowie 160 Fotografien, Zeichnungen und Dokumente in der Hoffnung übergab, dass diese aus dem Stadtarchiv eines Tages in ein geplantes Museum übergehen würden. Die Sammlung wurde ergänzt durch die Totenmaske und einen Abguss der Hände Ottilie Roedersteins.

Nach dem Tod der Ärztin Dr. Elisabeth Winterhalter, übernahm er 1952 die Aufgabe des Nachlassverwalters.

1980 gab es auf Initiative des Hofheimer Kunstvereins eine Ausstellung mit Werken von Ottilie W. Roederstein im Rathaus sowie in der Haindl-Scheune. Eine weitere Sonderausstellung im November 1999 mit einem Begleitbuch von Barbara Rök sowie einem Werkverzeichnis waren der großzügigen Spende bzw. der Vorarbeit Hermann Jughenns zu verdanken.

 

Ausstellungsplakat - Bildquelle: Stadtarchiv Hofheim

Seine Leidenschaft für die Fotografie führte ihn 1956 eifrig durch Hofheims Straßen. Der Wohnungsmangel der Nachkriegsjahre, fehlende Kanalisation, Strom und fließendes Wasser trieb die Einwohner vermehrt ins Umland. In der Folge verfielen etliche Häuser der Altstadt, da kaum jemand dort wohnen wollte. Lokalpolitiker diskutierten vermehrt über Abriss und Flächensanierungen. Hermann Jughenn, als Bewahrer historischer Bausubstanz, wollte diese erhalten - und sei es nur auf Filmmaterial. Mit seiner Leica begann er, durch die kopfstein-gepflasterten Straßen zu streifen und über 100 Aufnahmen zu fertigen, welche seine Enkelin beim Aufräumen auf dem Dachboden fand.

Die damalige Stadtarchivarin Roswitha Schlecker und Renate Hofmann, heute Vorsitzende der Bürgervereinigung Hofheimer Altstadt, erkannten den unschätzbaren Wert und kuratierten eine Ausstellung der 40 besten Aufnahmen, die von März bis Mai 2013 im Stadtmuseum gezeigt wurde. Diese Ausstellung lebte vom direkten Vergleich „Damals - Heute“, da jedem historischen Foto eine aktuelle Aufnahme der gleichen städtebaulichen Situation gegenübergestellt wurde. Die Dias hatten sich Jahrzehnte in dunklen Kisten befunden, was gut für den Erhalt der Farbigkeit war. Die Aufarbeitung wurde sehr zeitraubend und kostenaufwendig. Diese fotografischen Zeugnisse wurden für die Stadtgeschichte umso wertvoller.

Im Jahre 2020 begann der vorerst letzte Akt in der langen Reihe der Bedeutung des Jughenn´schen Wirkens. Das Frankfurter Städel plante für 2022 eine große Ausstellung über Ottilie W. Roederstein und ihr Werk unter dem Namen: „Frei. Schaffend“. Vertreter des Museums fragten bei Jughenns Enkelin an, ob es noch weitergehende Unterlagen und Materialien gäbe, die man in die geplante Ausstellung integrieren könne. Nach Sichtung der Hinterlassenschaft und langen Gesprächen entschied diese sich dazu, dem Städel den Vorzug gegenüber dem Hofheimer Stadtmuseum zu geben. Es gibt dort unbestritten die besseren Möglichkeiten, Biografie und Werke der Künstlerin wissenschaftlich aufzuarbeiten und zu digitalisieren. Das wunderbare, große Bildnis der „Miss Mosher“ wurde restauriert und strahlte den Besuchern der Ausstellung als erstes entgegen.

Die Ausstellung war ein großer Erfolg und die von Hermann Jughenn zusammengetragenen Zeitzeugnisse wurden vom Städel in ein „Roederstein-Jughenn-Archiv“ eingebracht.

Rückblickend bemerkte Jughenn zu seinem Werk:

„Auch der Verlauf der politischen Dinge in Deutschland, der eine geistige Absperrung nach innen und außen wurde und Menschen, die gewiss für eine Sammlung und Ordnung der Werke Roedersteins und für eine Niederschrift ihres Lebens geeigneter gewesen wären, an ihre eigenen Sorgen besonders zu denken zwang, ermutigte mich, meine inneren Bedenken zurückzustellen“

Noch zu seinen Lebzeiten wurde er anlässlich seines 70. Geburtstages 1958 in der Hofheimer Zeitung als

„Wahrer und Mahner zugleich“ geehrt, der „mit seiner Mission in einer schnelllebigen und vergesslichen Zeit seiner Heimatstadt und uns allen diente.“

Hermann Jughenn verstarb 79-jährig in seinem Haus. Er fand seine letzte Ruhestätte auf dem Hofheimer Waldfriedhof.


Ehrungen: 

  • 1958: Anlässlich des 70. Geburtstages Würdigung in der Hofheimer Zeitung
  • 1971 Ehrentafel mit seinem Namen im 1910 am Westhang des Kapellenberges errichteten Cohausentempel, der Tempel wurde vom damaligen Hofheimer Taunusklub-Verschönerungsverein mit Spendengeldern erbaut und erinnert mit der Plakette an den langjährigen Vorsitzenden (1952-1958)
  • 1995 Benennung eines Saales der Stadthalle Hofheim – „Hermann Jughenn“
  • 2013: Ausstellung im Stadtmuseum Hofheim am Taunus mit historischen Fotos von Hermann Jughenn


Quellen:

  • …Zeitung vom 30. März 1938: „Polarforscher in Lingen“
  • 1935 : Handgeschriebene Tagebuch-Eintragungen über die Spitzbergen-Expedition mit Dr. Ernst Sorge
  • Frankfurter Neue Presse vom 8. März 1958: „Hermann Jughenn 70 Jahre“
  • Hofheimer Zeitung vom 29. März 1958: „Besondere Worte für einen besonderen Mann“
  • Höchster Kreisblatt vom 12. Oktober 1985: „Hofheimer Museum“
  • Wiesbadener Kurier vom 12. Oktober 1985: „Bilder zw. alten Akten warten auf ihren Platz im Museum“
  • Hofheimer Zeitung vom 16. Oktober 1985: „Kunstwerke für ein künftiges Museum“
  • Kunstverein Hofheim vom Nov. 1999: „Sonderausstellung Ottilie W. Roederstein“
  • Heinz Till 2008: Hofheimer Biografien
  • Höchster Kreisblatt vom 1. März 2013: „Der andere Blick auf Hofheim“
  • Höchster Kreisblatt vom 23. November 2020: „Ein Künstlerinnen-Leben in 42 Bänden“
  • Heide-Renate Döringer 2022:  Biografien Roederstein/Winterhalter
  • Iris Schmeisser 2022: Das Roederstein-Jughenn-Archiv im Städel-Museum
  • Personenbezogene Historische Daten: Landesarchiv Rheinland – Personenstandsregister Rosbach (Sieg)



Wir bedanken uns bei der Enkelin von Hermann Jughenn, Frau Ingeborg Luyendyk, für die Unterstützung bei der Erstellung dieses Beitrages.


Bearbeitung: Historischer Arbeitskreis Hofheim (Marie-Luise Thonet)


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