Historisches Hofheim am Taunus

Altes für die Zukunft bewahren!


Aus dem Leben der Juden in Stadt und Amt Hofheim im 18. Jahrhundert


Hans Ulrich Colmar


Wenn auch im Zuge der Aufklärung und der Französischen Revolution das Thema Emanzipation der Juden auf der Tagesordnung stand, war bis zu ihrer völligen Gleichstellung in Deutschland im Lauf des 19. Jahrhunderts noch ein weiter Weg. Dies belegen u.a. auch zahlreiche das Amt Hofheim betreffende Akten der Abteilung 106 im Hessischen Hauptstaatsarchiv Wiesbaden, auf denen die folgenden Kapitel fußen.


Schutzjuden und Judenschutz

Als es in der Zeit der ersten Kreuzzüge zu größeren Ausschreitungen gegen die Juden kam, stellten die Kaiser sie als sogenannte Kammerknechte unter ihren besonderen Schutz. So liegt aus dem Jahr 1090 ein erstes Privileg Kaiser Heinrichs IV. für die Wormser Juden vor, das 1157 durch Barbarossa bestätigt und 1236 durch Friedrich II., auf alle Juden im Reich ausgedehnt wurde (Fritz Reuter in „900 Jahre Geschichte der Juden in Hessen“, S. 42). Dieser Schutz wurde nicht unentgeltlich aus rein humanitären Gründen gewährt, er musste vielmehr durch ein Schutzgeld immer wieder teuer erkauft werden. Da Karl IV. die Pogrome gegen die Juden im Zusammenhang mit der großen Pestwelle der Jahre 1348 bis 1350 nicht verhindern konnte, wurde in der Goldenen Bulle von 1356 dieses Regal an die Kurfürsten übertragen. So befinden sich die Schutzrechte in den folgenden Jahrhunderten in der Hand der Landesherren oder Städte, ohne dass deren kaiserlicher Ursprung in Vergessenheit geraten wäre (Friedrich Battenberg in „900 Jahre Geschichte der Juden in Hessen“, S. 83).

Information der Kurmainzischen Ämter über Nichthaftung jüdischer Frauen für die Schulden ihrer Männer vom 27.10.1772 (HHStAW 106/152)


Einem von dem Kurfürstlich-Mainzischen Amtmann Georg Friedrich Escherich am 27.05.1782 erstellten Verzeichnis ist genau die Höhe des jährlich zu entrichtenden Schutzgeldes zu entnehmen, das sich interessanterweise für „das Städtlein Hofheim“ auf 20 Gulden, für „die übrigen Amtsorte“ auf 10 Gulden belief. Hinzu kamen jeweils noch 1 Gulden 30 Kreuzer Neujahrsgeld für den Amtmann sowie 1 Gulden zu Neujahr für den Keller. Nicht genug damit, musste die „Amtsjudenschaft in concreto“ (d.h. korporativ) an Schatzung für 4 im Amt Hofheim lebende „nichtbemittelte“ Juden noch insgesamt 69 Gulden aufbringen. Schließlich waren noch 3 Gulden jährlich an das „Hochwürdige Erzbischöfliche Vicariat wegen Haltung der Judenschul“ zu entrichten (HHStAW 106/1748).

 

Weder Bleiberecht noch Freizügigkeit

Die Juden lebten am Rande der Gesellschaft in ständiger Ungewissheit über ihre Zukunft, denn die landesherrlichen Schutzbriefe wurden stets nur für begrenzte Zeit (zwischen 3 und 6 Jahren) ausgestellt, ihre Verlängerung musste immer wieder neu ausgehandelt werden mit dem permanenten Risiko der Verschlechterung der Bedingungen. Da die Zahl der Schutzjuden pro Stadt und Gemeinde festgeschrieben war, konnte der Schutz in der Regel nur auf eins der Kinder (z.B. den ältesten Sohn) übertragen werden, die anderen mussten sehen, wo sie blieben. Dies galt auch für alle Juden, die mit der Zahlung des Schutzgeldes – das meistens im Voraus zu entrichten war – in Rückstand gerieten bzw. zahlungsunfähig wurden. Dann erging es ihnen wie jenem Marxheimer Schutzjuden Löw, dem durch Entscheidung vom 21.06.1740 eröffnet wurde, dass „auf dem Fall er mit der herrschaftlichen Schatzung und angesuchtem jährlichem Schutzgeld nicht richtig einhalten werde, ihme der Schutz aufgesagt und da weggewiesen werden solle“. Dies bedeutete Ausweisung aus dem Territorium des Erzbistums Mainz. Wohin?? (HHStAW 106/4299). Dass die angedrohte Ausweisung tatsächlich erfolgte, ist der Bittschrift des Hattersheimer Juden Jacob Seligmann vom 04.12.1752  zu entnehmen, der sich wiederholt um eine Ansiedlung in Marxheim bemühte (am 29. August 1752 in einem an den in Aschaffenburg weilenden Landesherrn gerichteten Schreiben, jetzt nach Mainz adressiert), wo er sich ausdrücklich darauf beruft, dass in Marxheim „ehebevor allda ein Jud allschon in gnädigstem Schutz gewohnt“ und „folglich ein Platz wirklich vakant ist“. Die Entscheidung lautet lapidar und ohne nähere Begründung „Petitum abgeschlagen“ (HHStAW 106/4299).

Kein Schutz gegen „fremdherrische“ Konkurrenz

Im Namen der Juden des Amtes Hofheim wendet sich der Hattersheimer Schutzjude Aberle Abraham an die „Hochpreisliche Landesregierung“ mit der verzweifelten Bitte, den „fremdherrischen Untertanen, Gänglern (Hausierern) und Juden (!) das Hausieren und Feilbieten ihrer Waren in dem Kurfürstlichen Amt Hofheim durch eine hohe Verordnung gänzlich unter Straf der Konfiskation ihrer Waren verbieten zu lassen“, da die einheimischen Juden unter diesem Konkurrenzdruck ihre Waren nicht mehr absetzen, mithin die herrschaftlichen Schutzgelder und Abgaben in Kürze nicht mehr leisten könnten. Erschwerend komme hinzu, dass auch die aus der Mainzer „Armenfabrik“ (offenbar eine soziale Einrichtung) übernommenen Waren nicht mehr verkauft werden können und verderben. Während der Hofheimer Amtsvogt Bender mit Stellungnahme vom 15.02.1792 das Anliegen der Juden seines Amtsbereichs unterstützt, ist sein Kollege vom Vogteiamt Höchst entgegengesetzter Meinung, so dass das Oberamt Höchst und Königstein am 16.03.1792 entscheidet, die Petition des Hattersheimer Juden Aberle Abraham sei „von keinem Belange“, zumal die (christlichen) Krämer zu Hattersheim und Höchst keine Beschwerdeschrift eingereicht hätten. Im übrigen gehe es nicht um das Wohlergehen einzelner Handelsjuden, sondern vorrangig um die Versorgung der Untertanen in den Kurmainzer Territorien mit den notwendigen Waren zu angemessenen Preisen.

 

Für die Erteilung der erforderlichen Hausierzettel seien schließlich die Vogteiämter zuständig, die „nach Befund der Lokalumstände“ entscheiden sollten. Den Ortsschultheißen obliege endlich die Kontrolle darüber, dass niemand ohne Vorlage eines Hausierzettels hausiere (HHStAW 106/1365). Wie man diesen und vielen anderen Akten entnehmen kann, fristeten die weitaus meisten Schutzjuden ein kümmerliches Dasein, so dass die im folgenden Kapitel seitens der Kurfürstlichen Regierung gegeißelte übertriebene Kleiderpracht allenfalls bei einer Minderheit wohlhabender Juden in größeren Städten anzutreffen war.

 

Begleitschreiben der Kurmainzer Regierung an die nachgeordneten Beamten zur Durchsetzung der Kleiderordnung für Juden vom 15.07.1773 (HHStAW 106/151)

 

Die Kleiderordnung von 1773

Angesichts der bescheidenen Verhältnisse der Juden im Amt Hofheim mutet die von „Sr. Kurfürstlichen Gnaden zum Besten dero getreuen Untertanen“ erlassene Kleiderordnung ziemlich grotesk an. Sie spricht von einer „verderblichen Kleiderpracht, welche unter der eingesessenen und besonders der dahiesigen (Mainzer) Judenschaft seit einigen Jahren so sehr eingerissen, daraus für
die mehresten die Zerrüttung und der Umsturz ihrer Nahrungs-Umständen zu befahren ist“, d.h. dass sie sich damit ruinieren. Geradezu eine Verhöhnung der Judenschaft stellt die Behauptung dar, die einsichtigen Juden hätten selbst um dies diskriminierende Verordnung gebeten: „Diese üblen Folgen mogten selbst von dem einsichtlichen Theile der Judenschaft nicht mehr mißkannt werden, und eben daher haben Seine kurfürstlichen Gnaden sich gnädigst bewogen gesehen, auf ihr unterthänigstes Ansuchen folgende Kleider-Verordnung für die Judenschaft ergehen zu lassen.“ Die Verordnung enthält 8 Paragraphen, von denen sich einer auf männliche Juden, 6 auf „die jüdischen Weibspersonen“ und einer auf beide beziehen. Hier einige Auszüge:

„Erstens. Sollen die Schutz-Juden männlichen Geschlechts, die seyen verheirathet oder ledigen Standes, oder sich dahier aufhaltende jüdische Kostgänger oder Studiosi, auf das Künftige keine Gattung mir Gold oder Silber bordirte Kleider, keine reiche Westen, keine Knöpfe von Gold oder Silber gesponnenen Fäden, keine sammete oder seidene Kleider, noch seidene Fütterung und Steinschnallen tragen.

 

Zweytens. Den jüdischen Weibspersonen ist künftighin nicht erlaubt, die Haare frisieren und aufsetzen zu lassen, desgleichen aufgethürmte Hauben, Flügelhauben mit oder ohne Spitzen, Blonden (Seidenspitzen), Entoilage (Tüll) und dergleichen neumodische Trachten, wenn sie auch vom geringsten Werthe wären, Blumen auf den Köpfen, Sultane (Turbane), zwey- oder mehrfarbige Bänder zu tragen; dahingegen sollen ihnen erlaubt seyn die sogenannte bayerische oder sonstige Hauben von reichem oder anderem Stoffe mit einer höchst zwey Finger breiten gold- oder silbernen Spitze, Corallenspitze oder Borden einfach besetzt, wie nicht weniger die weissen Judenhauben …“ usw.

Wohlgemerkt, der Erzbischof hatte das Ganze „mit stets wachender Aufmerksamkeit an sich gezogen“, d.h. zur Chefsache erklärt. Schließlich wird den Juden zur Befolgung dieser Ordnung eine dreimonatliche Frist gesetzt, „nach deren Ablauf diejenigen, so derselben nicht in allen Stücken sträcklich nachkommen, mit empfindlichen Strafen angesehen werden sollen.“ Die Beamtenschaft wird angewiesen, für die genaue Beachtung der Verordnung zu sorgen und nach Ablauf der Dreimonatsfrist zu berichten (HHStAW 105/151).


Benachteiligung der Juden beim Hauskauf

Genauso schwer wie bei der Erlangung des Aufenthaltsrechts hatten es die Juden beim Erwerb von Immobilien. Da ihnen einerseits die hypothekarische Absicherung durch Grund und Boden verwehrt war, waren sie gezwungen, überhöhte Zinsen zu nehmen, was man ihnen andererseits wiederum als Wucher zur Last legte. Selbst wenn es ihnen einmal gelang, sich durch Pfanderwerb in den Besitz einer Immobilie zu setzen, begründete dies kein Eigentumsrecht auf Dauer. So wird in einem Kaufprotokoll des Diedenberger Gerichtsbuchs aus dem Jahr 1688 ausdrücklich vermerkt, dass der Kauf der Hofreite durch den Juden Mossi unter dem Vorbehalt gilt: „Wenn heute oder morgen ein (christlicher) Nachbar kommt und dem Juden sein ausgelegtes Geld wieder gibt, so muss der Jud abstehen.“ (vgl. „Das Diedenberger Gerichtsbuch 1550 – 1688“, kommentierte Übertragung von H. U. Colmar, Hofheim, 1992, S. 98). Wie man sehen wird, ging es den Juden im katholischen Hofheim kaum besser.

 

Umfangreiche Akten aus den Jahren 1778 bis 1789 (HHStAW 106/1507) bestätigen, wie schwierig sich ein Hauskauf für Juden gestaltete und wie weit das Abtriebsrecht der christlichen Nachbarn reichte: Die Hofheimer Schutzjuden Herz Isaac und Wolf Kalmen hatten am 27.07.1778 von dem Schutzjuden Ephraim Isaac und dessen Miterben ein in der sog. Judengasse, nahe der katholischen Kirche, gelegenes Haus, das sich seit über 130 Jahren in jüdischen Händen befand, für 103 Gulden erworben, und zwar unter dem Vorbehalt des lebenslänglichen Wohnrechts des Verkäufers. Gleichzeitig sollte in dem Haus – wie seit über 50 Jahren – auch weiterhin, gegen die jährliche Abgabe von 3 Gulden an das Kurfürstliche Vicariat, die Judenschule gehalten werden. In Wirklichkeit handelte es sich bei diesem Haus um einen zu Wohnzwecken umgebauten Stall, der ursprünglich zum angrenzenden Haus gehörte, das die Juden vor 25 Jahren an Heinrich Lottermann verkauft hatten, von dem es nun Franz Heilmann rechtmäßig erwarb.


Dieser macht nun mit folgender Begründung sein Abtriebsrecht geltend:
 

  1. Das Judenhaus sein „Appertinenzstück“ (zugehöriger Anhang) seines Hauses.
  2. Er sei zur Entrichtung des Kaufschillings bereit.
  3. Er garantiere dem Verkäufer das lebenslange Einsitzrecht.
  4. Er habe den Abtrieb ordnungsgemäß beantragt.
  5. Die Kurfürstl. Verordnung von 1761 spreche Christen gegenüber Juden dieses Recht ausdrücklich zu.
  6. Das Haus liege nur 25 Ellen (ca. 14 m) von der katholischen Kirche und dem Schulhaus entfernt und da in ihm die Judenschule gehalten wird, werde sowohl der Gottesdienst als auch die lernende Jugend gestört.
  7. Liege sein Keller „in diesem Judenhäuschen, wo ihm durch die unflätige Haushaltung der Juden ein großer Schaden zuwachse, welcher sich verbreiten würde, wenn an die Stelle eines hierin wohnenden Juden eine ganze jüdische Haushaltung käme“. (Bis zum heutigen Tag gilt für die Hofheimer Altstadt ein besonderes Kellerrecht, nach dem Keller und darüber errichtete Häuser unterschiedliche Eigentümer haben können).
  8. Falls ihm das Einstandsrecht nicht zuerkannt würde, müsste er sein eigenes Haus mit viel Verlust verkaufen.

Obwohl sich der Hofheimer Keller für die Juden einsetzt – nach so langer Nutzung durch die Juden sei nach §2 der Kurfürstl. Verordnung das Abtriebsrecht erloschen, nach eingezogenen Erkundigungen beim Hofheimer Pfarrer und Schulmeister würden außerdem weder der Gottesdienst noch die lernende Jugend durch das angebliche „Judengeschrei“ gestört – unterliegen die Juden dem Christen, da sie den landesherrlichen Konsens (Genehmigung) nicht vorweisen können, „ohne den kein jüdischer Hauskauf bestehen kann“. Da weder die früheren noch der jetzige Besitzer des fraglichen Hauses diesen Konsens nachweisen könnten, sei dieses „dem Abtrieb der Christen auf ewig unterworfen“, wird der Hofheimer Beamte von seiner Mainzer Landesregierung belehrt. Aus einem weiteren Grund muss der Hauskauf annulliert werden: wie sich jetzt erst herausstellt, hatte der Verkäufer Jacob Isaac (Herz) von Habelsheim keine Vollmacht seiner Miterben Isaac von Basel und Isaac Herz zu Amsterdam, Brüdern des verstorbenen Ephraim, für den Verkauf des Hauses. Die Interessen der Genannten werden von Benjamin Hamburg, Schutzjuden zu Mainz, auch im Namen des Oberrabbiners – zur Freude des Franz Heilmann – erfolgreich vertreten, so dass ihm letztendlich das Abtriebsrecht zuerkannt wird.

Nach nochmaliger Schätzung wird das Haus auf 103 Gulden, die „abfallende Judenschule“ auf 60 fl., mithin das ganze Objekt auf 163 fl. taxiert. Nach Bezahlung und Entrichtung von 2/3 Kommissions- und Taxationskosten in Höhe von 7 fl. geht das umstrittene Gebäude in Heilmanns Besitz über, der es umgehend abreißt, um neu zu bauen.

Was bleibt dem Hofheimer Schutzjuden Herz Isaac übrig, als weiter nach einer Behausung zu suchen. Schließlich wird er fündig in einem weniger exponierten Stadtviertel. Seine Bitte um den Kurfürstlichen Konsens zum Kauf dieses Objektes hat folgenden Wortlaut:


„Hochwürdigster Erzbischof, Gnädigster Kurfürst und Herr!

Es wurde dieses Jahr (1780) das von mir ohne Gnädigsten Konsens zu Hofheim erkaufte Judenhaus bekanntlich auf höchsten Befehl von dem Gerichtsmann Heilmann retrahiert (abgetrieben). Da nun aber dermalen ein anderes, in einer ganz abgelegenen Straße stehendes kleines Christenhäuslein von der Wittib Lambert Trautin zu erkaufen stehet, so keinem Christen weiter nutzen kann, auch keiner solches abzutreiben gesinnt sein wird, ich auch schon 7 Jahr lang im Kurfürstl. Schutz als ein aufrichtiger treuer Jud zu leben die höchste Gnade gehabt, sofort während dieser Zeit bei 4malen meine Wohnung zu verändern genötigt worden, welches nicht allein kostspielig, sondern für einen handelnden Juden sehr nachteilig gewesen, mithin um meine Nahrung fernerhin besser treiben und meine schuldigen herrschaftlichen Abgaben praestieren (leisten, liefern) zu können, eine eigene Wohnung mir fast unentbehrlich ist …“.

Unter der Voraussetzung, dass die Nachbarn nichts gegen den Hauskauf einzuwenden haben, wird der Konsens erteilt. Es gereicht den Hofheimer Bürgern zur Ehre, dass sie „nichts dagegen einzuwenden haben, daß Jud Hertz das Haus abkaufe und beziehe“. Die Namen der toleranten Nachbarn sind Johann Freynden Witwe, Wendel Mayer und Johann Betzel. – Allerdings wurde im diesbezüglichen Amtsbericht ausdrücklich darauf hingewiesen, dass das Häuschen „weder nahe an der Kirche, Pfarr-, Schul-, Rathaus oder anderen herrschaftlichen Häusern, sondern in einer Nebenstraße lieget“, erneuter Hinweis auf die nur am Rand der christlichen Gesellschaft geduldete Existenz der Juden.

 


Das Testament der Hofheimer Schutzjüdin Frommet vom 05.05.1761 (HHStAW 106/3019)

Nicht anders als bei christlichen Mitbürgern, die ihren letzten Willen zu Protokoll geben wollen, verfährt man bei Frommet, der Witwe des Hofheimer Schutzjuden Levi Hoffheimb. Auf ihren ausdrücklichen Wunsch verfügen sich der Kurmainzische Stadtschultheiß Anselm Franz Aull sowie die Gerichtsmänner Johannes Wagner und Peter Eiffeller am Dienstag, dem 5. Mai 1761, nachmittags zwischen ein und zwei Uhr, „ans Krankenbett in ihre neben Herrn Eiffeller und Peter Messer gelegene Wohnbehausung in das untere Zimmer“ um ihre „letzte Willensdisposition“ entgegenzunehmen. Dabei wird nicht versäumt, darauf hinzuweisen, dass sie „bei guter Vernunft und Sinnen“ ist und ihre Erklärung „aus ganzem freien Willen, ungezwungen und ungedrungen“ abgibt.


Zu ihren rechtmäßigen Erben setzt sie ein
I. ihre Kinder erster Ehe: 

  1. ihren Sohn Wolff, Schutzjuden zu Eschich (Esch ?)
  2. ihren Sohn Jocub, Schutzjuden zu Okriftel
  3. ihren Sohn Hirsch zu Reistenhausen (bei Miltenberg)
  4. ihre Enkelin Sara, Kind ihrer Tochter Hendele 
II. Ihre Tochter zweiter Ehe (mit Levi Hoffheimb) Sara, die jedoch in zweifacher Hinsicht besonders bedacht wird, weil sie „ihr, der testierenden Mutter, zeit ihres Lebens treulich beigestanden und kindschuldige Hilfe geleistet, auch dieselbe damit bis an ihr End continuieren wird“. Sie erhält nämlich 1. die halbe Wohnbehausung neben Herrn Eiffeller mitsamt den Hausmöbeln, 2. von den „bei einem hiesigen Bürger vermög Handschrift auf Interessen (Zinsen) ausgelehnten 200 fl. 100 Gulden“. Dafür muss ihre Tochter Sara sie ehrlich begraben lassen, die Begräbniskosten zahlen, für „15 fl. Öl in der Sabbatampel für sie verbrennen“ und den hiesigen Hausarmen einen kleinen Laubtaler zahlen und austeilen lassen (der Laubtaler ist eine französische Münze im Wert von 6 livres oder 165 Landkreuzern, die auf der Rückseite das von Laubzweigen umkränzte frz. Lilienwappen zeigt).


Von den o.g. 200 Gulden Kapital sollen 50 fl. für Ernährung und Erziehung ihrer Enkelin Sara verwendet werden. Die verbleibenden 50 Gulden, zuzüglich 35 Gulden, die bei ihrem Sohn Jocub auf Zinsen noch ausstehen, insgesamt 85 Gulden, sollen die 3 Söhne erster Ehe gleichmäßig unter sich aufteilen (so dass jeder 28 fl. und 20 xr. erhält).

 

Schließlich wird das Protokoll der Erblasserin noch einmal deutlich von Wort zu Wort vorgelesen, sie bestätigt die Richtigkeit, die drei Gerichtspersonen und der beglaubigende Notar unterschreiben eigenhändig und drücken ihr Petschaft (Siegel) bei. Darauf wird das Testament sofort verschlossen und „ad acta“ genommen.



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Zur Person:

Hans Ulrich Colmar (1935 – 2010) – Schulleiter und Historiker, Übersetzer der Gerichtsbücher von Hofheim, hat die „Tore weit in die Vergangenheit geöffnet“. Weitere Informationen zu seiner Person siehe hier.


Der Bericht wurde in „Zwischen Main und Taunus – Jahrbuch des Main-Taunus-Kreises, 1996, 4. Jahrgang, Seite 17-22“ veröffentlicht. Mit freundlicher Genehmigung des Main-Taunus-Kreises präsentieren wir diesen Beitrag. Herr Colmar ist 2010 verstorben. Wir konnten leider keine Nachfahren ausfindig machen und um Zustimmung zur Veröffentlichung bitten. Wir glauben, dass es in seinem Sinne wäre, dass wir diesen Beitrag zur Hofheimer Historie auf unserer Website präsentieren.

 


Bearbeitung: Historischer Arbeitskreis Hofheim am Taunus (Wilfried Wohmann)

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