Die Geschichte der Lederfabriken Neumann
in Hofheim am Taunus
Für die Herstellung von Leder ist von ausschlaggebender Bedeutung, dass Wasser mit ganz besonderen Eigenschaften und in genügender Menge vorhanden ist. Diese Wasserverhältnisse sind in Hofheim am Taunus in vorzüglicher Weise gegeben. Da gleichzeitig ein großer Waldreichtum in der hiesigen Gegend den Bedarf an Gerbrinden sicherte, ist das Gerberhandwerk schon frühzeitig hier heimisch geworden, so dass Hofheim am Taunus bis ins letzte Jahrhundert auf eine Jahrhunderte alte Gerbertradition zurückblicken konnte.
So war es naheliegend, dass Conrad Neumann (* 10. Mai 1834 in Flörsheim am Main), ein Sohn des Oberschultheißen, Gutsbesitzers und Gastwirtes Karl Joseph Neumann (* 27. Juli 1791 in Flörsheim am Main, + 17. April 1846 in Flörsheim am Main) und der Gertrud Schollmaier (* 10. September 1794 in Kostheim, + 19. November 1871 in Flörsheim am Main), im Jahre 1848 gerade nach Hofheim kam, um bei dem Meister Burckardt (Burkard) in dreijähriger Lehrzeit den Gerberberuf zu erlernen. Ob es sich bei dem Lehrherren um Johannes Burkard (* 28. August 1791 in Hofheim am Taunus, + 11. Januar 1862 in Hofheim am Taunus) oder um dessen Sohn Wendelin Joseph Burkard (* 29. Mai 1812 in Hofheim am Taunus, + 12. März 1864 in Hofheim am Taunus), dem späteren Erbauer der Burkhardtsmühle, handelte, ist derzeit nicht belegbar.
So war es naheliegend, dass Conrad Neumann (* 10. Mai 1834 in Flörsheim am Main), ein Sohn des Oberschultheißen, Gutsbesitzers und Gastwirtes Karl Joseph Neumann (* 27. Juli 1791 in Flörsheim am Main, + 17. April 1846 in Flörsheim am Main) und der Gertrud Schollmaier (* 10. September 1794 in Kostheim, + 19. November 1871 in Flörsheim am Main), im Jahre 1848 gerade nach Hofheim kam, um bei dem Meister Burckardt (Burkard) in dreijähriger Lehrzeit den Gerberberuf zu erlernen. Ob es sich bei dem Lehrherren um Johannes Burkard (* 28. August 1791 in Hofheim am Taunus, + 11. Januar 1862 in Hofheim am Taunus) oder um dessen Sohn Wendelin Joseph Burkard (* 29. Mai 1812 in Hofheim am Taunus, + 12. März 1864 in Hofheim am Taunus), dem späteren Erbauer der Burkhardtsmühle, handelte, ist derzeit nicht belegbar.
Conrad Neumann ging nach bestandener Gesellenprüfung, den damaligen Gepflogenheiten entsprechend, auf Wanderschaft, durch Deutschland, Dänemark, Österreich und Böhmen. Noch auf der Wanderschaft erfuhr er, dass die Gerberei Balthasar Mohr in Hofheim am Taunus zum Verkauf angeboten sei. Im Buch von Eva Scheid „Lederindustrie im Lorsbachtal“ soll es sich um die stillgelegte Gerberei von Kilian Mohr gehandelt haben. Es handelt sich um den Betrieb, der auf dem Kupferstich von Merian aus dem Jahre 1645 vor den Mauern Hofheims zu erkennen ist. Conrad Neumann entschloss sich 1857 zum Kauf dieses Betriebes und seitdem wird in Hofheim am Taunus „Neumann-Leder“ hergestellt.
Neben Conrad Neumann unterhielt zu dieser Zeit nur noch Wendel Joseph Burkhardt eine Gerberei. Beide arbeiteten ohne Gehilfen und vorwiegend für den lokalen Bedarf.
Conrad Neumann war mit der Herstellung von hochwertigem Vacheleder für feine Damen- und Herrenstiefelsohlen sehr erfolgreich. Der Betrieb wuchs, und er ließ drei seiner Söhne das Gerberhandwerk erlernen.
Die Entwicklung dieses Unternehmens nahm in den folgenden vier Jahrzehnten einen erfreulichen Verlauf. Die Nachfrage nach dem hergestellten Qualitätsleder in Deutschland, aber auch im Ausland, insbesondere in Skandinavien, Österreich und der Schweiz wurde mit der Zeit so groß, dass die vorhandene Kapazität nicht mehr ausreichte.
Deshalb entschlossen sich im Jahre 1897 die beiden Söhne Joseph und Carl Neumann – sie hatten ebenso wir ihr Bruder Conrad Neumann jr. zwischen 1875 und 1883 im väterlichen Betrieb das Gerberhandwerk erlernt – die Gerberei Engelhard, Hofheim am Taunus, Untermühle, zu erwerben und die Firma „Taunus-Vacheleder-Werke, J. & C. Neumann“ zu gründen, während der väterliche Betrieb von Conrad Neumann jr. in der Mühlgasse bis etwa 1955 fortgeführt wurde.
Vorgängerbau der von der Fa. Engelhard errichteten Fabrik war die sogenannte „Untermühle“. Die Untermühle muss am Anfang des 17. Jahrhunderts bereits bestanden haben. Ein Jakob Strack soll Besitzer der Mühle gewesen sein. 1640 wurde sie an Reinhold Weiland verkauft. Ab Beginn des 18. Jahrhunderts bis 1800 war die Mühle im Besitz von Johannes Adam Filzinger und seinen Söhnen. In den Jahren 1800 bis 1853 war die Familie Dröser Eigentümerin der Mühle. Diese verkaufte sie an den Hofgutpächter Jakob Grein vom Wickstädter Hof in der Wetterau. Dieser ließ die Mühle niederlegen und eine der damaligen Zeit entsprechende neue Mühle aufbauen und einrichten. Im Jahre 1861 wurde die Mühle als erste in der Hofheimer Gemarkung mit Dampfkraft versehen. Nach kaum vier Jahren brannte die Mühle nieder. Der Eigentümer Grein ließ die Mühle wieder aufbauen.
Zunehmende Bedeutung hatte in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts der Frankfurter Zwischenhandel in Sohl- und Vacheleder gewonnen. Nach dem amerikanischen Vorbild waren in Deutschland mechanische Schuhfabriken, und zwar zuerst in und um Frankfurt ab 1875, entstanden. Ihren innovativen Eignern gelang es bald, Schuhwerk billiger als durch Handarbeit und von gefälligerem Aussehen als diese, auf den Markt zu bringen. Für diese Schuhfabrikation musste das Leder in geeigneter Weise hergestellt werden. Namentlich verlangte man eine biegsame elastische Sohle, die sich mittels großer Nähmaschinen durchnähen ließ. Das Vacheleder – eine Art Sohlleder aus leichten Kuh- und Ochsenhäuten – entsprach diesem Verlangen. Mit der allgemeinen Entwicklung der deutschen Industrie nahm gleichzeitig der Bedarf an Maschinenriemen aus Leder, den Treibriemen, in nicht geahnter Weise zu, und auch die Deckung des Lederbedarfs der Treibriemenfabriken fiel dem Frankfurter Lederhandel zu, nachdem die Vacheledergerbereien zugleich Treibriemenleder herstellten.
Die „Handelsgesellschaft Johann Anton Engelhard zu Frankfurt“, bedeutendste Ledergroßhandlung des 19. Jahrhunderts in Frankfurt am Main, erwarb 1877 die Hofheimer Untermühle und baute sie zu einer Vachelederfabrik um. Eine moderne technische Anlage und die Beibehaltung der Grubengerbung machten das in Hofheim produzierte Leder zu einem Qualitätsbegriff.
Im Jahr 1897 beginnt die Tradition des Hauses J. & C. Neumann.
Mit Energie und Fleiß gingen die beiden Gründer an die Aufgabe heran, die sie sich gestellt hatten, die Firma aus kleinsten Anfängen heraus aufzubauen und fort zu entwickeln. Mit großer Ausdauer und Sparsamkeit ist es ihnen gelungen, das Unternehmen auf einen Höchststand zu bringen und zu einem Begriff für Spitzenerzeugnisse der Bodenleder-Industrie im In- und Ausland werden zu lassen. In sinnvoller Arbeitsteilung widmete sich Josef Neumann vorwiegend dem technischen Sektor, während Carl Neumann die kaufmännischen Belange wahrnahm.
Die ständig wachsende Nachfrage nach den Erzeugnissen des Hauses machte es erforderlich, dass die Betriebsanlagen mehrfach durch Zubauten vergrößert wurden. Im Zuge der rasch entwickelnden Technik wurde der Betrieb mehr und mehr maschinell ausgerüstet und modernisiert, wodurch neben rationeller Produktion auch wesentliche Arbeitserleichterungen für die Mitarbeiter im Betrieb erreicht werden konnten. Neben dem Inlandsgeschäft entwickelte sich schon um die Jahrhundertwende ein blühender Export, der beständig anhielt und erst nach 1933, bedingt durch die damaligen staatlichen Eingriffe in den Wirtschaftsablauf, zum Erliegen kam. Josef Neumann war in den Jahren 1883 bis 1909 gleichzeitig als Gastwirt des Gasthofs „Zur schönen Aussicht“ in Hofheim am Taunus tätig. Die sich ständig aufwärts entwickelnden „Taunus-Vacheleder-Werke“ nahmen indessen mehr und mehr seine ganze Kraft in Anspruch, weshalb er sich im Jahre 1909 zur Verpachtung des Gasthofs entschloss, der sich im Übrigen bis in die Mitte des letzten Jahrhunderts noch im Familienbesitz befand. Nebenbei bemerkt hat dieser Gasthof auch früher für die Lederfabrik eine nicht unwichtige Funktion erfüllt. In der Zeit, als die Handwerksgesellen noch auf Wanderschaft gingen, kamen Gerber aus ganz Deutschland und vielen europäischen Staaten nach Hofheim, um bei J. & C. Neumann Arbeit zu nehmen. Da war es wichtig, für diese Männer eine ordentliche Unterkunft und preiswerte Verpflegung bereit zu stellen. Diese Aufgabe hat die „Schöne Aussicht“ in vorbildlicher Weise erfüllt.
Der gesamte Fuhrbetrieb des Unternehmens wurde früher mit eigenen Pferdegespannen durchgeführt. Um hierfür eine eigene Futtergrundlage zu haben und gleichzeitig an Tagen, an denen sie für die Lederfabrik nicht benötigt wurden, ebenfalls beschäftigen zu können, wurde im Laufe der Jahre noch eine eigene Landwirtschaft aufgebaut und mit bewirtschaftet. Dieser landwirtschaftliche Betrieb wurde nach und nach noch durch Obstplantagen und Weinbau ergänzt. Die fortschreitende Technisierung und Hand in Hand mit ihr das Vordringen des Kraftfahrzeuges sowie die erhöhten Anforderungen, die das wachsende Unternehmen an den Fuhrpark stellte, machten es schließlich notwendig, die Gespanne durch Kraftfahrzeuge zu ersetzen. Damit war der ursprüngliche Zweck des landwirtschaftlichen Betriebes – Versorgungsgrundlage des Fuhrparks – nicht mehr gegeben. Da gleichzeitig die Anforderungen, die die Führung des wachsenden Unternehmens an die Inhaber stellte, immer größer wurden, entschloss man sich zur Verpachtung der Landwirtschaft.
Es war das Ziel der Gründer des Unternehmens, den Fortbestand ihres Unternehmens, das sie in lebenslanger unermüdlicher Schaffenskraft aufgebaut hatten, auch nach ihrem Tode möglichst gesichert zu sehen. Sie wünschten deshalb, dass die Firma von ihren Erben einmal in Form einer Kommanditgesellschaft fortgeführt würde.
Als im Jahre 1937 Josef Neumann nach einem Leben rastloser Arbeit im Alter von 76 Jahren verstarb, wurde die Gründung der Kommanditgesellschaft vollzogen. Die Geschäftsführung übernahmen die beiden Komplementäre Carl Neumann und der Schwiegersohn des Verstorbenen, Georg Mann.
Im Jahre 1944 verstarb Carl Neumann im Alter von 78 Jahren. Für ihn wurde sein Sohn Carl Neumann jr. als Komplementär in die Geschäftsführung berufen. Aber schon bald hat der Tod die Unternehmensführung erneut heimgesucht. Unerwartet früh verstarb nach einer schweren Krankheit Georg Mann im Jahre 1951, erst 60 Jahre alt. Ihm folgte sein Sohn, Kurt Mann, als Komplementär in die Geschäftsführung. So liegt die Leitung des Unternehmens zum Zeitpunkt des 60jährigen Firmenjubiläums im Jahre 1957 in den Händen der beiden Komplementäre Carl Neumann jr. und Kurt Mann.
Um den damaligen Anforderungen des Marktes in jeder Weise gewachsen zu sein, hat sich die Geschäftsleitung im Jahre 1955 entschlossen, das Produktionsprogramm zu erweitern. Neben dem Standarderzeugnis, dem in reiner Eichenlohe-Grubengerbung nach dem Altgerberverfahren hergestellten Vacheleder, wird nunmehr noch ein Bodenleder, ebenfalls in reiner Grubengerbung, jedoch nach modernsten Gerbmethoden produziert. Dieser Entschluss hatte sich als gut erwiesen, denn so war es möglich, den Absatz von „Neumann-Leder“ abermals zu steigern.
Im Jahre 1957 wird ein doppeltes Jubiläum gefeiert:
- 100 Jahre „Neumann-Leder“
- 60 Jahre „Taunus-Vacheleder-Werke J. & C. Neumann“
Von Seiten der Geschäftsleitung wurden die nachfolgenden Dankesworte veröffentlicht:
„In dieser Stunde gedenken wir in tiefer Dankbarkeit der drei Männer, deren ganze Lebensarbeit dem Hause J. & C. Neumann gewidmet war und die schon von uns gegangen sind: Unserer beiden Gründer, der Herren Josef und Carl Neumann sowie unseres Komplementärs Georg Mann.
Ein besonderes Wort des Dankes gilt aber auch all unseren Mitarbeitern, die in den vergangenen 60 Jahren in Treue und Fleiß dem Hause Neumann verbunden gewesen sind.
Ein weiteres Wort herzlichen Dankes unseren zahlreichen Kunden für die Anerkennung, die sie unseren Fabrikaten entgegenbringen! Wir gedenken auch unserer Geschäftsfreunde in Ostdeutschland und geben der Hoffnung Ausdruck, dass die Voraussetzungen zur Wiederaufnahme unserer früheren Verbindung recht bald gegeben sein möchten.
Wenn wir Rückschau halten bis zu jenem Tage, an dem zum ersten Male Neumann-Leder in Hofheim am Taunus hergestellt wurde, so können wir mit Freude und Befriedigung feststellen, dass die Entwicklung von damals bis heute insgesamt gesehen eine gute gewesen ist.
Selbstverständlich hat unser Unternehmen wie jedes andere nicht immer nur glanzvolle Zeiten erlebt; es kamen auch schwere Jahre, jedoch ist es immer gelungen – und darauf sind wir besonders stolz - , diese unter Anspannung aller Kräfte und durch sorgfältiges und sparsames Wirtschaften zu überbrücken.
Es ist uns gelungen, den Ruf unseres Hauses, der durch die Spitzenqualität unserer Erzeugnisse begründet wurde, zu wahren, und es wird unsere vornehmste Aufgabe sein, auch künftig diese Tradition fortzusetzen.
Es ist unser Wunsch, dass das Unternehmen im Familienbesitz fortgeführt wird und wir hoffen zuversichtlich, dass unsere Kinder, die einmal nach uns die Geschicke der Firma J. & C. Neumann in die Hände nehmen sollen, ebenso wie alle, die in den verflossenen 100 Jahren Neumann-Leder herstellten, verantwortungsbewusst die ihnen gestellte Aufgabe meistern werden.“
Nur wenige Jahre später stellte es sich heraus, dass die beim Firmenjubiläum 1957 geäußerten Wünsche der Geschäftsleitung sich nicht mehr erfüllen ließen. Der harte Konkurrenzkampf innerhalb der ledererzeugenden Industrie sowie der Wandel in der Gesellschaft, weg vom Leder und hin zu künstlich erzeugten und preiswerteren Produkten, führte 1960 zur Schließung des Betriebes. Damit ging die Tradition der Herstellung von Neumann-Leder schnell zu Ende.
Das Gelände und die Gebäude der Firma J. & C. Neumann gingen 1960 in den Besitz der Stadt Hofheim über. Ein Teil der stillgelegten Fabrikgebäude wurde 1962 das Opfer eines Großbrandes. Alle Gebäude der ehemaligen Fabrik wurden anschließend abgerissen.
Nur wenige ältere Hofheimer und Hofheimerinnen wissen heute noch, dass bis 1960 auf dem Gelände des heutigen Parkplatzes „Am Untertor“ eine große Lederfabrik für Sohl- und Vacheleder stand, deren hoher Fabrikschornstein das Stadtbild mitprägte.
Anlage:
Textquellen:
Jubiläumsbroschüre der „Taunus-Vacheleder-Werke J. & C. Neumann“, Hofheim, 1957;
Eva Scheid, Lederindustrie im Lorsbachtal, 2000;
Günter Rühl, Mehl und Leder braucht ein jeder – aus „Zwischen Main und Taunus – Jahrbuch des Main-Taunus-Kreises, 1993“;
Wilfried Wohmann, Geschichte der Lederfabriken Neumann, aus „Hauptstraße Hofheim am Taunus – Eine Straße verändert ihr Gesicht“ – Hrsg. Stadtmuseum/Stadtarchiv Hofheim, 2019;
Josef Nix (+) – Genealogische Daten;
Wilhelm Duchmann – Genealogische Daten;
Wilfried Wohmann – Genealogische Daten.
Bildquellen:
Jubiläumsbroschüre der „Taunus-Vacheleder-Werke J. & C. Neumann“: Abbildungen 1 – 3, 5, 7 – 11, 14 - 18;
Lederindustrie im Lorsbachtal: Abbildungen 4 und 6;
Stadtarchiv Hofheim: Abbildung 12 und 13;
Stadtarchiv Hofheim, Sammlung Karl Jakobi: Abbildung 19;
Heiko Schmitt: Abbildung 20.
Bearbeitung: Historischer Arbeitskreis Hofheim (Wilfried Wohmann)