Historisches Hofheim am Taunus

Altes für die Zukunft bewahren!



„Mehl und Leder braucht ein jeder!"
Mühlen und Lederindustrie in Hofheim am Taunus


Günter Rühl


Mit dem Ende des Jahres 1991 wurden die beiden letzten Lederfabriken im Lorsbachtal für immer geschlossen. Es waren dies die Fa. Wermund in Lorsbach und die Fa. Hemmerich & Kliss in Hofheim. Damit ging ein Industriezweig zu Ende, der fast 300 Jahre lang vielen Menschen im Raume Hofheim Arbeit und Brot gegeben hat.

Neben Oberursel und Idstein war Hofheim zu recht eine Stadt des Leders. Seit dem Mittelalter waren am Schwarzbach in Hofheim und Lorsbach viele Mühlen entstanden. Es waren Getreide- und Ölmühlen, aber auch Eisenhämmer und Wollspinnereien. Durch Mühlgräben und Wehranlagen wurde das Wasser zu den Wasserrädern der Mühlen geleitet. Das natürliche Gefälle im Lorsbachtal und im Hofheimer Stadtbereich war hierfür die beste Voraussetzung. Oftmals war der Schwarzbach bei regenarmen Zeiten ohne Wasser, da dies in die Mühlgräben geleitet wurde.

Zunächst eine kurze Chronik der acht Hofheimer Mühlen, von denen im Laufe der Zeit fünf zur Lederherstellung eingerichtet und umgebaut wurden. 

Gerber der Lederfabrik Josef & Carl Neumann, 1938 (ehem. Untermühle) – Bildquelle: Günter Rühl


Die Untermühle muss um 1600 bereits bestanden haben. Ein Jakob Strack soll Besitzer der Mühle gewesen sein. 1640 wurde sie an Reinhold Weiland verkauft, und in den Jahren 1800 bis 1853 war eine Familie Dröser Eigentümerin der Mühle. Diese verkaufte sie an den Hofgutpächter Jakob Grein vom Wickstädter Hof in der Wetterau. Dieser ließ die Mühle niederlegen und eine der damaligen Zeit entsprechende neue Mühle aufbauen und einrichten. Im Jahre 1861 wurde die Mühle als erste in der Hofheimer Gemarkung mit Dampfkraft versehen. Nach kaum vier Jahren brannte sie nieder. Der Eigentümer Grein ließ die Mühle wieder aufbauen. Im Jahre 1876 erwarben die Gebrüder Engelhard aus Frankfurt die Untermühle und richteten eine Gerberei ein.

Konrad Neumann, der im Jahre 1860 in der Mühlgasse eine Gerberei gründete, hatte zwei Söhne, Josef und Carl. Diese erwarben im Jahre 1897 die Gerberei der Gebrüder Engelhard und gründeten die Taunus-Vacheleder-Werke J. & C. Neumann. Bis zum Jahre 1960 wurde erstklassiges Sohlleder hergestellt. Die Rohware (Rindshäute) kam aus den Metzgereien der hiesigen Gegend, die Eichenlohe zum Gerben aus den heimischen Wäldern. In der Mühlgasse betrieb aber schon vor 1860 ein Lohgerber sein Handwerk. Dies war der Gerber Mergenbaum, der auch Erbauer der Rindenscheune in der Mühlgasse war. Leider wurde diese mächtige, aus Rotsandstein erbaute Scheune in den 1960er Jahren abgerissen. Heute ist dort der Gerberplatz am alten Bach.

Lederfabrik Conrad Neumann in der Mühlgasse, heute Straße Am Alten Bach, um 1910 – Bildquelle: Günter Rühl


Die Lederfabrik Neumann ging 1960 in den Besitz der Stadt Hofheim über. Nach einem Großfeuer wurden die Gebäude abgerissen und der innerstädtische Parkplatz am Untertor geschaffen.

Die Obermühle brachte 1653 Heinrich Werner für 800 Gulden in seinen Besitz. Ein späterer Besitzer, Johann Henrich, übergab sie 1858 seinem Schwiegersohn Nikolaus Wollstadt. Dessen Nachfolger, Josef Zimmermann, baute sie zeitgemäß um. Der Sohn verkaufte die Mahlmühle an die Gebrüder Ferdinand, welche auch noch eine Bäckerei einrichteten. Während des 2. Weltkrieges war der Müller Baumann Pächter der Mühle. Es war die letzte Mahlmühle der hiesigen Bauern. Auch die Hofheimer Bevölkerung konnte dankbar sein, dass man in den schlimmen Kriegs- und Nachkriegsjahren hier Getreide gegen Mehl, Grieß und Haferflocken umtauschen konnte. 1991 wurde die Mühle, die teilweise durch ein Feuer zerstört war, abgebrochen.

Die Wiesenmühle wurde 1617 von Johann Weyland aus Hofheim als Hirsen-, Öl- und Lohmühle gebaut. 1618 versah er sie mit einem neuen Mahlgang. Nachdem sie 1639 verwüstet worden war, kaufte Reinhard Weyland 1640 von dem aus Weilbach gebürtigen Jakob Strack die Untermühle. Die Wiesenmühle wurde dann als Mahl- und Lohmühle bis zum Jahre 1850 von dem Besitzer Johann Messer betrieben, der sie an Friedrich Mouffang aus Mainz verkaufte. Dieser legte die Lohmühle nieder und richtete an ihrer Stelle eine Ölmühle ein. Peter Milch war der folgende Besitzer, der darin als letzter die Müllerei betrieb. Um 1894 erwarb die Fa. Wagner & Völker die Mühle, um eine Gerberei und Färberei zu betreiben. Sie erweiterten das Anwesen durch Neubauten und führten die Dampfkraft ein. 1927 wurde die Lederfabrik von den Herren Völker und Moog als Fa. Völker & Co. Geführt und 1939 von der Familie Moog als Fa. Gebr. Moog geleitet. 1979 wurde die Fabrik verkauft und abgebrochen. Auf dem Gelände an der Lorsbacher Straße wurden Einfamilienhäuser durch eine Architektengruppe gebaut.

Gerber der Lederfabrik Wagner & Völker, 1899 (ehem. Wiesenmühle) - Bildquelle: Günter Rühl


Die Burkhardsmühle wurde im Jahre 1851 durch den Gerbereibesitzer Wendel Josef Burkhard als Mahl- und Lohmühle erbaut und betrieben, ging dann im Jahre 1867 an dessen Schwiegersohn Friedrich Kyritz über. Danach übernahm dessen Schwiegersohn Stark die Mühle. Um 1880 ging die Mahlmühle ein. Die Gebäude dienten dann der Fabrikation on Strohhülsen für die Verpackung von Weinflaschen und zur Herstellung von Kellereimaschinen. Nach dem 1. Weltkrieg wurde die Lederveredelung aufgenommen.

Inhaber waren die Gerber und Kaufleute Göbel, Röser und zuletzt Feix und Schröder. Die Fabrik mit dem Gelände wurde verkauft, umgebaut und 1980 als Hotel-Restaurant Burkhardsmühle eröffnet.

Die untere Atzmühle baute im Jahre 1709 ein Schwiegersohn des Schneidemüllers Nicolaus Böltz. 1726 wurde die obere Atzmühle von Conrad Merzenbach gebaut. So war die Wasserkraft geteilt. Besitzer waren später Belz & Köhler. Der letztere verkaufte im Jahre 1869 sein Anwesen an die Fa. Mannes & Kyritz, welche dann eine Metallkapsel- und Stanniolfabrik einrichteten. Da sie nur die halbe Wasserkraft besaßen, wurde noch Dampfkraft eingerichtet. Später kauften sie die Belz’sche Mühle hinzu, so dass danach das ganze Anwesen der Fa. Mannes & Kyritz gehörte. Nach dem 2. Weltkrieg wurden keine Stanniolkapseln mehr hergestellt. Lange Zeit waren die Fabrikationsräume für andere Zwecke vermietet, bis sie schließlich 1981 abgerissen wurden. Danach steht auf dem Gelände die Tennishalle Taunus-Hills.

Die Ilmensandmühle wurde im Jahre 1858 von Peter Racke als Mahlmühle neu erbaut und betrieben. Nach seinem Tod führte sein Sohn das Geschäft noch einige Jahre weiter. Dann wechselten mehrfach die Besitzer, welche das Mahlwerk entfernten und die Mühle als Gerberei einrichteten. Die bekannteste Familie, die hier eine Lederfabrik betrieb, war die Familie Behle. Nach dem Tod des Hern Behle wurde von einer Hamburger Firma Leder zugerichtet. Die Produktion wurde um 1985 eingestellt.

Die Hammermühle, welche das größte Gefälle sämtlicher Mühlen der Gemarkung Hofheim hatte, gehörte um 1840 der Familie Dröser, die gleichzeitig Besitzerin der Untermühle war. Die Mühle brannte im Jahre 1848 nieder. Der Inhaber baute sie wieder auf und richtete 1855 eine Bäckerei ein. Im Jahre 1858 wechselten die Besitzer. Von den Gebrüdern Konrad und Adam Bender aus Hofheim, die nur kurze Zeit das Geschäft innehatten, ging sie zum letzten Mal als Mahlmühle in die Hände eines Frankfurters über.

Im Jahre 1870 wurden Stark aus Biebrich und Jöckel aus Kastel Eigentümer der Hammermühle, die das Mahlwerk beseitigten und die Räume zur Fabrikation benutzten. 1876 brannte die gesamte Fabrik nieder. Die Besitzer Stark und Jöckel verkauften das Anwesen, wie es nach dem Brande dalag, an den Mühlenbauer Josef Koch. Er baute sie wieder auf und richtete eine Holzschneiderei ein, hatte aber das Malheur, dass auch ihm im Jahre 1880 die Holzschneidemühle abbrannte. Ein Unbekannter schrieb mit Kreide an das Hoftor: „Die Hammermühle ist ein wildes Tier. Sie hat schon gefressen drei oder vier, den fünften hat sie im Rachen, mit ihm wird sie nicht lange machen.“

Koch baute die Holzschneiderei noch einmal auf, doch ging das Anwesen bald an die Fa. Roos über, welche daselbst eine Schneiderei und Fassfabrik betrieb. Später war die Familie Wendel Besitzerin der Fabrik. Sie betrieb eine Möbelfabrikation. 1937 brannte die Möbelfabrik nieder und wurde als moderner Betrieb wieder aufgebaut. Später befindet sich in den Gebäuden ein Möbelmarkt.

Die Krebsmühle, die letzte in der Gemarkung gelegene Mühle, wurde im Jahre 1851 durch Peter Racke erbaut. Sie ging 1858 an den Bäcker Hück aus Hochheim über. Seine Nachfolger wurde Georg Welcher aus Marxheim. Da durch den Eisenbahnbau im Lorsbachtal 1875 bis 1877 vor der Mühle ein hoher Damm entstand, verlor die Mühle an Wert. Müller G. Welcher verlangte von der Baugesellschaft eine Entschädigung. Beide Parteien konnten sich nicht einigen. Schließlich kaufte die Gesellschaft die Mühle und verkaufte sie weiter an den Bürstenmacher Peter Hammel aus Hofheim, welcher als letzter darin die Mühle betrieb. Der nachfolgende Besitzer entfernte das Mahlwerk und richtete die Gebäude als Gerberei ein. 1931 übernahmen Josef Hemmerich und Carl Kliss die Fabrik und stellten Portefeuilles und Buchbinderleder her. 1981 konnte die Fa. Hemmerich & Kliss ihr 50jähriges Jubiläum feiern. 1991 wurde die Fabrik verkauft und die Lederproduktion eingestellt.

Die Gerber hatten einen schweren Beruf, mit dem viel Handarbeit verbunden war. Insbesondere die Herstellung des Sohlleders aus den Häuten der Rinder war Schwerstarbeit. Die vorbehandelten zentnerschweren Rindshäute mussten bis zu 12 Monate in den Lohgruben hängen. Das Enthaaren und Entfleischen der Häute war reine Handarbeit. Erst nach der Jahrhundertwende ersetzten Maschinen diese Arbeitsgänge.

Die meisten Lederfabriken waren aber auf das Veredeln von Rohleder eingerichtet. Das hier zugerichtete Feinleder wurde in erster Linie für die Offenbacher Lederwarenindustrie sowie für die Buchbinder-, Gürtel- und Schuhbranche hergestellt. Eine besondere Spezialität waren die handlevantierten ostindischen Ziegenleder für die Portefeuillesindustrie. Im 2. Weltkrieg musste die Feinlederherstellung der Schuh- und Gürtellederherstellung weichen. Nunmehr wurden Futter, Oberleder und Sohlleder für Militärstiefel produziert.

Nach dem 1. Weltkrieg begann der Einsatz synthetischer Gerbstoffe, die der I.G.-Farbenindustrie entwickelt wurden. So konnte man in den Walkfässern den Gerbvorgang wesentlich verkürzen. Durch den Einsatz von immer mehr Maschinen in den Lederfabriken ging der Stromverbrauch in die Höhe. Wasserräder, Turbinen und Dampfmaschinen konnten den Bedarf an elektrischem Strom nicht mehr decken, und der Anschluss an das Stromnetz des Elektrizitätswerkes der Stadt Hofheim wurde erforderlich. Auch die Beschäftigungszahl in der Lederindustrie ging durch den Maschineneinsatz zurück. Arbeiteten doch bis zu 300 Beschäftigte in den Hofheimer Lederfabriken und Gerbereien, so ging die Zahl nach 1960 auf die Hälfte zurück.

Das große Sterben der hiesigen Lederindustrie setzte dann in den siebziger Jahren ein. Hierzu gibt es mehrere Gründe: Die zum Teil veralteten Betriebe, die nur durch große finanzielle Mittel hätten saniert werden können, die stärker werdende ausländische Konkurrenz (Italien) mit niedrigeren Löhnen, die Beschaffung der Rohware aus Indien und Südamerika, die immer stärker werdende Verwendung von Kunststoff und Gummi für die Herstellung der Schuhsohlen und nicht zuletzt die Auflagen des Umweltschutzes.

So wurden Fabriken, die teilweise in alten Mühlen entstanden waren, abgerissen und das Gelände einer anderen Bebauung zugeführt. Ganz verschwunden ist die Untermühle, später Lederfabrik C. und J. Neumann, heute Parkplatz am Untertor. Am Standort der Obermühle Am Alten Bach entstand ein Wohn- und Geschäftshaus. Die Wiesenmühle wurde abgebrochen und mit Wohnhäusern am Ende der Lorsbacher Straße bebaut. Die Burkhardsmühle am Ende der Kurhausstraße blieb teilweise im Umbau eines Hotels erhalten.

Neben Hofheim hatte Lorsbach mit bis zu zehn Betrieben eine blühende Lederindustrie, die wie in Hofheim nicht mehr existiert. Obwohl in Hofheim keine Mühle und keine Lederfabrik mehr arbeitet, gilt doch nach wie vor der Spruch: „Mehl und Leder braucht ein jeder“. Nur heute kommt es aus anderen Produktionsstätten.


Der Beitrag wurde in „Zwischen Main und Taunus – Jahrbuch des Main-Taunus-Kreises, 1993, Seite 101 bis 105, veröffentlicht. Mit freundlicher Genehmigung des Main-Taunus-Kreises und dem Sohn des Autors erfolgt diese Präsentation. Wir bedanken uns beim MTK und dem Sohn des Autors.


Bearbeitung: Historischer Arbeitskreis Hofheim (Wilfried Wohmann)



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