Die Hofheimer Ledermanufaktur Mergenbaum im 18. Jahrhundert
Eva Scheid
Zünftiges Gerberhandwerk
In der vorindustriellen Zeit belieferten die Gerber fast ausschließlich den lokalen Markt mit Leder für den täglichen Bedarf der Bevölkerung. Hofheim war ein idealer Standort für die Lederherstellung: Das für den Gerbprozess nötige Wasser entnahmen die Gerber dem Gold- oder Schwarzbach. Den Gerbstoff, die Eichenlohe, welche für die Umwandlung der Häute und Felle in Leder diente, lieferten die großen Waldungen. Die Gerbereien standen meist am Rande Stadt, da sie das Wasser stark verunreinigten. Auch die unangenehmen Geruchsbelästigungen führten zur Ansiedlung der Gerber am Stadtrand.
Die Menge der angefertigten Häute und Felle war minimal, für die bescheidenen Arbeitsstätten ausreichend und der Verkauf zumeist auf den lokalen Markt beschränkt (1). Hergestellt wurden vornehmlich Ober- und Sohlleder. Bauern und Metzger lieferten die benötigten Häute. Die Erzeugnisse gehörten zur Grundproduktion von Stadt und Amt Hofheim. 1724 arbeiteten als Gerbermeister: Peter Husenbeth, Johann Heinrich Lottermann, Peter Messer, Sebastian Sandlus und Jakob Schür.
Die Gerber waren in Zünften organisiert, um gleichmäßige Verhältnisse für jeden Handwerker zu schaffen. Die Zunft überwachte u.a. den Einkauf des Rohstoffes, die Produktionsleistung und den Verkauf. Die Zünfte übten gewerbepolizeiliche Befugnisse aus durch Begutachtung des fertigen Leders, Vorschriften über Verwendung von Rohstoffen und Einwirken auf die Technik des Gerbens. Durch Vorschriften über die Größe der Produktion jeden Betriebs wurde gegenseitige Konkurrenz unmöglich gemacht. Vorgeschrieben war die Anzahl der zur Verarbeitung kommenden Häute, der Gehilfen und Lehrlinge sowie die Anzahl der Gruben und Äscher. Zur Ausbildung (Lehr- und Gesellenzeit, Wanderschaft) sowie der Niederlassung als Meister bestanden genaue Bestimmungen. Die Zulassung zum Gewerbe war auf Meistersöhne und einheiratende Gesellen beschränkt. Besonders bei den Gerbern waren Berufsvererbung und Betriebsübergabe (hoher Wert der Produktionsmittel) stark ausgeprägt. Die Zunft griff nicht nur in die rein beruflichen Angelegenheiten ihrer Angehörigen ein, sie wachte auch über das Wohlergehen und die Reputation ihrer Mitglieder.
Da der Gerbprozess bei schweren Häuten sechs Monate bis drei Jahre dauerte, war ein hohes Betriebskapital notwendig. Rotgerber zählten meist zu den Vermögenden und waren im Rat der Stadt vertreten. 1781 waren in Hofheim 6 Rotgerbermeister tätig. Rotgerber stellten durch Gerbung der großen und schweren Häute mit Lohrinde (zerstoßene Eichenrinde, vegetabiles Gerbverfahren), Leder für Sättel- und Zaumzeug, Sohl- und Schuhleder her. Ein Weißgerber Quirin Sandlus wird ebenfalls 1781 erwähnt. Dieser produziert durch Salzgerbung mit Alaun (Mineralgerbung) die edleren und dünneren Ledersorten, besonders aus Kalb-, Schaf- und Ziegenfellen. 1781 arbeiteten in Hofheim 10 Schuhmachermeister und 3 Sattler. Zwischen den Handwerkern der Schuhmacher und Gerber bestanden genaue Vorschriften und Abgrenzungen bezüglich der Herstellung und des Verkaufs der Ware (2).
Sohlleder aus Brasilien, Holland, Bacharach und Hofheim
In der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts verloren die zünftigen Regulierungen an Bedeutung und es entstanden handwerkliche Großbetriebe bzw. Manufakturen, auch in dem lederherstellenden Gewerbe. Sie konnten die Rohstoffe preisgünstiger beziehen, erhöhten die Anzahl der Gruben und wurden durch merkantilistische Wirtschaftspolitik begünstigt. Diese Frühform des kapitalistischen Betriebes wurde zunächst von Großkaufleuten zur Befriedigung des Massenbedarfs bei bestimmten Gütern organisiert. Die Manufaktur hatte ihre Blütezeit im 17. und 18. Jahrhundert. Dabei blieb die Handwerkstechnik im Wesentlichen erhalten, es folgte jedoch eine Freistellung der Manufaktur von bestimmten rechtlichen und ständischen Bindungen. Ihr Produktionsprozess war gekennzeichnet durch Spezialisierung, Arbeitsteilung und geringen Einsatz von Maschinen. Sie war im 18. Jahrhundert weit verbreitet und wurde gefördert von fürstlichen Geldgebern und Abnehmern. Auch der Kurfürst von Mainz handelte gemäß dem merkantilistischen Grundsatz, dass die Einfuhr von Waren aus dem Ausland schädlich sei und man das Geld im Lande halten sollte.
Beispiele für das Manufakturwesen am Untermain sind die Fayence-Manufaktur in Flörsheim, die Porzellan- und Fayence-Manufaktur in Höchst, die Tabakmanufaktur des Frankfurter Bürgers Bolongaro in Höchst sowie die Ledermanufaktur Mergenbaum in Hofheim (3). Die günstige Lage der Messestadt Frankfurt inmitten der großen Eichenwälder und den damit verbundenen Lohgerberbetrieben in der Rhein-Moselgegend, Hessen-Nassau, der Rheinpfalz, dem Siegerland und den Niederlanden (Schiffsverkehr) hatte diese Stadt schon seit dem 18. Jahrhundert zum Zentrum für die westdeutsche Lederbranche werden lassen.
Bereits im 18. Jahrhundert spielt der Handel mit Leder und Lederwaren auf den im Frühjahr und Herbst stattfindenden Messen eine wichtige Rolle. Namen wie Mergenbaum, Dörr und Engelhard stehen für Dynastien von Ledergroßhändlern des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Sie beschränkten sich nicht nur auf den Handel, sondern produzierten selbst in Werkstätten und Manufakturen außerhalb Frankfurts. In den angrenzenden Territorien galt eine liberalere Wirtschaftspolitik. Durch ihre verlegerische Tätigkeit leisteten sie Geburtshilfe für die ab ca. 1850 in großem Stil betriebene Leder- und Lederwarenproduktion im Rhein-Main-Gebiet.
Bekannteste und erfolgreichste Frankfurter Lederhändler des 18. Jahrhunderts waren die Mergenbaums. Als protestantische Glaubensflüchtlinge aus dem Herzogtum Geldern zunächst in den 1560er Jahren in Westfalen tätig, erhielt Jonas Mergenbaum (1649-1729) im Jahre 1680 das Frankfurter Bürgerrecht (4). Durch Einheirat in die Familie des Lederhändlers Brachmann betrieb er eine Lederhandlung in der Schnurgasse im Haus zum „Bieberstein“. Jonas Mergenbaum beschränkte sich nicht auf den Handel mit Leder, sondern ließ in der von ihm erworbenen Gerbermühle bei Offenbach und in fremden Gerbereien die Häute gerben und durch Säckler zu gebrauchsfertigen Lederwaren, wie Handschuhen, Karabinerriemen oder Patronentaschen verarbeiten, welche er in großen Mengen an das Militär lieferte.
Dessen jüngerer Bruder, Konrad Kaspar Mergenbaum (1662-1742), nach seinem Wegzug aus dem westfälischen Hattingen zunächst Lederhändler in Straßburg, erlangte das Frankfurter Bürgerrecht im Jahre 1697. Neben seiner Lederhandlung betrieb er eine Gerberei in Hofheim, erwarb das sogenannte Pforthaus in der Ziegelgasse 22 und wurde Rittmeister der Bürgerkavallerie.
Seine beiden Söhne Jonas (1698-1756) und Georg Daniel (1704-1740) betrieben die Hofheimer Gerberei gemeinschaftlich, dagegen getrennte Handlungen. Jonas Mergenbaum hinterließ 1756 ein Vermögen von rund 30.000 Gulden (fl.). Sein Sohn führte die väterliche Handlung bis 1782. Georg Daniel Mergenbaum betrieb in Gemeinschaft mit seinem Schwager, dem Rotgerbermeister Johann David Geelhaar, eine Lederhandlung im Hause zum Kleinen Rebstock, Kruggasse 1, welche 1749 für 7.000 Gulden gekauft und von den Nachkommen 1804 für 25.000 Gulden verkauft wurde. Er hatte 3 Kinder, Sohn Johann Philipp Mergenbaum, Bürger und Handelsmann zu Frankfurt und Hofheim, setzte die väterliche Handlung mit außerordentlichem Erfolg fort.
Nach einer erhaltenen Bilanz von 1775 waren allein die in den Gruben und im Lager sich befindenden Leder der in der vom Großvater stammenden und zu einer Lederfabrik ausgebauten Gerberei in Hofheim, mit 37.292 Reichstalern beziffert (5). Jährlich wurden in Hofheim ca. 1.800 deutsche und amerikanische Sohlhäute im Gewicht von 600 Ztr. und 5.000 Kalbfelle im Gewicht von 90 Ztr. gegerbt. Das Warenlager zählt folgende Sorten auf: Sohlleder aus Brasilien, Caraque, Holland, Merzig, Bacharach und Hofheim. Für die stattliche Summe von 80.000 fl. erwirbt J. P. Mergenbaum 1799 das prächtige Gebäude Haus „König von England“ in der Fahrgasse, Ecke Schnurgasse.
Ledermanufaktur Mergenbaum in Hofheim
Konrad Kaspar Mergenbaum erwarb 1698 eine Gerberei vor den Toren der Stadt (heute: Am Alten Bach), die er und seine Nachkommen zu einer Großgerberei ausbauten (6). 1699 wurde Konrad Kaspar Mergenbaum in die Bürgerschaft und Rotgerberzunft aufgenommen. Die Hofheimer Gerberzunft machte zur Bedingung, dass er das fertige Leder nur außerhalb des Ortes verkaufen dürfe. Eine archivalische Quelle von 1756 gibt Auskunft über den bereits vorhandenen Umfang der Gerberei: „ Die oft mentionierte Mergenbaum nach und nach anstatt selbiger Zeit sehr wenig gehabten grube anjetze über die 50 derselbe angeschafft, auch einige Platz undt scheuren von hiesigen Bürgern erkauft.“
1756 errichteten die Söhne Georg und Daniel Mergenbaum die Rindenscheune. Von ihr ist noch der Wappenstein erhalten und im Stadtmuseum Hofheim am Taunus ausgestellt. Ab 1780 betrieb Johann Philipp Mergenbaum (1750-1810) hier eine durch kurfürstlich-mainzisches Privileg geschützte Manufaktur von erheblicher Größe. Die „Fabrique“ bestand aus 50 Gruben, mehreren Werkstatt- und Trockenbauten, der Rindenscheune, Lohhof, Viehställen und Gärten sowie dem Wohnhaus des Verwalters (7). Im Besitz von Mergenbaum war auch eine Lohmühle. Mit Ausnahme einer Saffianfabrik in Oberrad gab es zu dieser Zeit am Untermain noch keine großgewerbliche Lederproduktion.
Mergenbaum contra die Bürgerschaft
Bereits um die Mitte des 18. Jahrhunderts ist diese Gerberei in Größe und Umfang nicht vergleichbar mit den alteingesessenen Gerbereien. Es wurden viele Beschwerden geführt, von denen sich eine umfangreiche Sammlung im Hess. Hauptstaatsarchiv in Wiesbaden befindet. Es wurden viele Klagen laut: Der Bach werde verunreinigt und der Wald geschädigt, Mergenbaum verkaufe billiges Leder an die örtlichen Schuhmacher, beschäftige auswärtige Arbeitskräfte und vieles mehr. Nicht nur in Hofheim, auch in Mainz und Frankfurt fürchteten Gerbermeister um ihre Existenzgrundlage. „Schädigung von Wald und Wiesen, es können auch Kriftel und Stadt Hattersheim bezeugen …, denn anstatt derselben 10 anderer bürgers Kinder sich reichlich ernähren könnten wenn die Mergenbaum durch ihren starken Handel die hiesigen Kinder nicht vertreiben thätten. Was hießiger bürgerlicher Wald vor einen abgang Undt Schaden leydten muß wegen deren Mergenbaumische Viele Bau undt gruben ist nicht zu sagen auch, nicht länger zu Ertrag … Ja wohl lächerlich, In dem so Viele hiesige Bürger nahmhafft können gemacht werden, welche durch die Mergenbaum Völlig auf stroh geleget, Undt zu arme Leuth gemacht worden, die Inheimische Kinder, welche ebenfalls sothane profeßion mit schwehren Kosten Ihrer Eltern erbaut von hier durch den Mergenbaum Ihrer Lederhandlung vertrieben undt hier zu Hofheimb keinen Unterhalt finden können, frembdte leuth aber bringen dieselbe noch täglich ins orth, …“ (8)
Die Hofheimer Ledermanufaktur wurde vermutlich mit dem Tode von Johann Philipp Mergenbaum im Jahre 1810 von den Erben geschlossen. Die Archivalien besagen, dass Elisabetha Fach geb. Filsinger, 1812 „Am Bach vor der Stadt“ gemeinsam mit Kilian Mohr eine Gerberei betrieb, und es spricht alles dafür, dass das Mergenbaumsche Fabrikgelände an mehrere Käufer veräußert wurde. Eine großgewerbliche Lederherstellung gab es zu diesem Zeitpunkt in Hofheim nicht mehr. Der einzige Sohn Karl Augustin Viktor (1778-1845, kinderlos) erwarb durch den Fürstprimas Karl von Dalberg 1811 das Gut Nilkheim bei Aschaffenburg und mit ihm den Freiherrenstand.
Anmerkungen:
- „Der Rotgärber Racke hat 2 Äschegruben und 2 Gerbgruben, hergestellt werden können dort jährlich 400 Kalbfelle und 80 Großviehhäute.“ Einleitung von Gerberlaugen in den Burgweiher, 1784. Hess. Hauptstaatsarchiv Wiesbaden (HHStAW) 106/1914.
- Zunftordnung der Schuhmacher, Schneider und Rotgerber in Stadt und Amt Hofheim, 1670 (Abschrift von 1718). HHStAW 106/431. Die Ordnung der Gerber besteht aus 23 Artikeln.
- Dieter Gessner. Zur Entstehung der modernen Industrie in Nassau. In: Herzogtum Nassau, Ausstellungskatalog 1981, S. 131-145.
- Carl Konstantin Victor, Freiherr von Mergenbaum auf Nilkheim: Erneuerung des Adelsstandes 1815. Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main, Akte 30/134.
- Vergleichszahlen: Ausgaben und Steuern der Stadt Hofheim laut Stadtrechnung von 1775 u.a. für Grundzinsen, Unterhaltung von Wegen, Wiesen, Flurstücken, Gebäudesteuer, Entlohnungen: 3975 fl. Stadtarchiv Hofheim. fl. (Florin) = G. (Gulden) = 2/3 Taler.
- Beschwerde der Rotgerber aus Hofheim und Mainz gegen den Kaufmann C. C. Mergenbaum aus Frankfurt (1705, 1707-1732). HHStAW 106/1301.
- Beschwerde des Johann Philipp Mergenbaum gegen die Gemeinde Hofheim wegen Anlegung einer Chaussee bei seiner Fabrik und die Änderung des Bachlaufs, 1784. HHStAW 106/413.
- HHStAW 106/781, HHStAW 106/1301.
Der Bericht wurde in „Zwischen Main und Taunus – Jahrbuch des Main-Taunus-Kreises, 1995, 3. Jahrgang, Seite 86-90“ veröffentlicht. Mit freundlicher Genehmigung des Main-Taunus-Kreises und der Autorin erfolgt diese Präsentation.
Bearbeitung: Historischer Arbeitskreis Hofheim am Taunus (Wilfried Wohmann)