Historisches Hofheim am Taunus

Altes für die Zukunft bewahren!


Oskar Meyrer - Hofheims Bürgermeister während der Weimarer Republik und während der NS-Diktatur

Dieter Reuschling


In den letzten Jahren ist das Verhalten von Kommunalpolitikern, die vor oder nach der NS-Diktatur Verantwortung trugen, häufiger zum Gegenstand kritischer Bewertungen geworden als noch in den 50er und 60er Jahren des letzten Jahrhunderts. Einige Kommunen wie Rüsselsheim, Wiesbaden oder Kassel haben die Ehrungen von Bürgermeistern oder Oberbürgermeistern hinterfragt oder auch aberkannt, die ihnen für ihre Verdienste in der Weimarer Republik oder in der Bundesrepublik verliehen wurden, die aber andererseits die Nationalsozialisten über viele Jahre unterstützt hatten. Ein Beispiel dafür ist im Main-Taunus-Kreis der Hofheimer Bürgermeister Oskar Meyrer, der 1920 demokratisch gewählt wurde und sich in der schwierigen Zeit der Weimarer Republik große Verdienste um Hofheim erwarb. Deshalb wurde er 1949 von der Stadtverordnetenversammlung durch einen Straßennamen geehrt. Seine Unterstützung der Nazis ab 1933 und seine Kooperation mit dem NS-Regime bis zu seinem frühen Tod 1942 lassen diese Ehrung heute fragwürdig erscheinen.

Weimarer Republik 

Nach dem Ende des 1. Weltkrieges war die Stelle des Bürgermeisters der Stadt Hofheim zunächst unbesetzt. Der langjährige Bürgermeister Heinrich Heß war aus Gesundheitsgründen im April 1919 pensioniert worden und der Erste Beigeordnete Martin Wohmann führte die Geschäfte der Stadt auf ehrenamtlicher Basis weiter. Bei der ersten demokratischen Wahl der Stadtverordnetenversammlung in der neuen deutschen Republik am 16. November 1919 wurden die „Mehrheits-Sozialdemokraten‟ (MSPD) mit 8 von 18 Sitzen im Stadtparlament stärkste Fraktion, gefolgt vom Zentrum mit 7 Sitzen und einer Bürgervereinigung mit 3 Sitzen. Das Stadtparlament war sich schnell einig, die Stelle des hauptamtlichen Bürgermeisters, damals für die Dauer von 12 Jahren, auszuschreiben. Aus sieben Bewerbungen ging bei der Auswahl durch die Wahlkommission Oskar Meyrer eindeutig als Sieger hervor, der Gemeindesekretär der damals noch selbstständigen Gemeinde Sonnenberg bei Wiesbaden war. In der Stadtverordnetenversammlung vom 6. März 1920 wurde er einstimmig zum Bürgermeister gewählt, im Alter von 36 Jahren als recht junger Mann. Für die Parteien in der Stadtverordnetenversammlung hatte damals seine Qualifikation als Verwaltungsbeamter noch eindeutig Vorrang vor einer Wahl entsprechend den Mehrheitsverhältnissen im Stadtparlament.

Oskar Meyrer wurde am 5. Dezember 1883 als Sohn des Schneidermeisters Konrad Meyrer in Wiesbaden geboren und absolvierte nach dem Besuch der Mittelschule beim preußischen Landkreis Wiesbaden eine Verwaltungslehre. Er wurde 1905 Bürogehilfe beim Bürgermeisteramt Sonnenberg, wo er schon 1909 zum Gemeindesekretär aufstieg. Nach seinem Wehrdienst bei der Infanterie nahm er von 1914 bis 1916 und von 1917 bis zum Ende 1918 am 1. Weltkrieg teil. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wurde seine politische Einstellung durch seine Ausbildung und Tätigkeit als preußischer Beamter im Kaiserreich und durch Wehrdienst und Kriegsteilnahme am 1. Weltkrieg entscheidend mitgeprägt. Als linken Republikaner kann man ihn sich schwer vorstellen.

Bei der 1931 nach 12-jähriger Amtszeit anstehenden Wiederwahl Oskar Meyrers hatten sich die kommunalpolitischen Verhältnisse in Hofheim wesentlich geändert. Im Stadtparlament, das am 17. November 1929 neu gewählt worden war, gab es bei insgesamt 16 Stadtverordneten jeweils nur noch vier Mitglieder von SPD und Zentrum, vier Mitglieder einer „Bürgerlichen Vereinigung‟, drei Mitglieder der Partei „Haus- und Grundbesitzer‟ und ein Mitglied der KPD. Bei der Wiederwahl am 16. Dezember 1931 erhielt Oskar Meyrer von den 15 anwesenden Stadtverordneten 13 Ja-Stimmen, eine Nein-Stimme und eine Enthaltung. Auch nach zwölf kommunalpolitisch sehr schwierigen Jahren gab es also im Wesentlichen eine parteiübergreifende Zustimmung zu seiner Amtsführung.

Porträt Oskar Meyrer von O. W. Roederstein (1936) - Foto: Stadtarchiv Hofheim

Hofheim hatte beim Amtsantritt Meyrers 1920 ca. 4.700 Einwohner.  Die gesamte Stadtverwaltung bestand noch 1934 außer dem Bürgermeister nur aus 19 Bediensteten. Zur Zeit der Eingemeindung von Marxheim 1938 hatte Hofheim dann ca. 6.000 Einwohner und Marxheim ca. 1.800. Durch den Zusammenschluss vergrößerte sich die Stadtverwaltung auf 26 Bedienstete. Dabei ist zu beachten, dass die preußischen Städte seinerzeit mehr Aufgaben hatten als heute. Die Schutzpolizei war kommunal organisiert, der Bürgermeister war in den Städten ihr unmittelbarer Vorgesetzter. Die Polizeiverwaltung hatte im Stellenplan der Stadt Hofheim allein acht Stellen. Im Unterschied zu heute war die Stadt aber auch Schulträger für die Grund- und Hauptschule, ab 1939 zusätzlich für die städtische Mittelschule, die heute der Realschule entspricht. Die Stadt war also für den Bau und die Unterhaltung der Schulen zuständig. 1923 übernahm die Stadt auch die Trägerschaft für das kirchlich gegründete Marienheim und führte es bis 1964 als städtisches Krankenhaus weiter. Schließlich hatte Hofheim seit 1908 ein eigenes, in städtischer Regie betriebenes Elektrizitätswerk, das 1938 von den Main-Kraftwerken übernommen wurde. Man sieht, dass die Stadtverwaltung mit Oskar Meyrer an der Spitze eine beträchtliche Aufgabenfülle mit relativ wenig Personal zu bewältigen hatte.           

Bei seinem Amtsantritt in Hofheim wurde Meyrer natürlich auch mit den gravierenden sozialen Folgen des 1. Weltkrieges konfrontiert. Die Ernährungslage war katastrophal und die Wohnungsnot groß, die durch die französische Besatzung noch verschlimmert wurde. Hofheim gehörte zu dem von Frankreich besetzten rechtsrheinischen Brückenkopf um Mainz. Magistrat und Stadtverordnete mussten sich immer wieder mit elementaren Bedürfnissen der Bevölkerung beschäftigen, z. B. mit der Kartoffelversorgung für den Winter oder mit der gerechten Verteilung von Holz aus dem Stadtwald. Mit städtischen Mitteln wurden Kartoffeln von auswärts beschafft. Im Oktober 1920 stimmte die Stadtverordnetenversammlung der unentgeltlichen Abgabe von Kartoffeln an „Ortsarme‟ und die verbilligte Abgabe an Sozial- und Kleinrentner zu. Im Haushaltsjahr 1925 waren im Haushalt die Mittel für die Beschaffung von 9.600 Zentnern Kohle und 800 Zentnern Briketts für die Hofheimer Bevölkerung vorgesehen. Die Not war so groß, dass die Unterernährung von Kindern oder von armen Bewohnern der Stadt ein akutes Thema war. In Zeitungsaufrufen wandte sich Meyrer schon im Dezember 1920 mit der Bitte um Spenden für ein warmes Frühstück für Kinder und Bedürftige an die Bevölkerung. Die aus dieser Initiative entstandene „Suppenküche‟ der Stadt im Kellereigebäude wurde mit Unterstützung der Stadtverordnetenversammlung in den folgenden Jahren zu einer ständigen Einrichtung.

Im Inflationsjahr 1923, das durch die hohe Arbeitslosigkeit zur Verschärfung der Notlagen führte, wurde durch Initiative Meyrers ein Ortsausschuss der Deutschen Notgemeinschaft gebildet, dessen Aufruf um Spenden für die Notleidenden sich ein großer Teil der Hofheimer Honoratioren anschloss. Nach einer gewissen Normalisierung der sozialen Lage in den folgenden Jahren verschlimmerte sie sich durch die Weltwirtschaftskrise ab Oktober 1929 nochmals dramatisch. Die Folgen des Konjunkturabschwungs und der hohen Arbeitslosigkeit führten dazu, dass sich auch die Kommunen wieder um Grundbedürfnisse vieler verarmter Bürgerinnen und Bürger kümmern mussten, wozu die kommunalen Haushaltsmittel kaum noch ausreichten. Wegen der außerordentlich hohen Steigerung der Wohlfahrtslasten mussten im städtischen Haushalt Hofheims für 1931 viele laufende Ausgaben rigoros reduziert und Investitionen gestrichen werden. Im Januar 1931 rief Oskar Meyrer erneut zur Bildung einer Notgemeinschaft für Hofheim auf, um durch private Sach- und Geldspenden in dringenden Notfällen helfen zu können. Die öffentliche Hilfe - so seine Begründung - könne nur für den nackten Lebensunterhalt sorgen. Auf Initiative der Notgemeinschaft wurde ab November 1931 in der Pestalozzi-Schule eine Notküche eingerichtet. Gegen einen Monatsbeitrag von 30 Pf. je Haushalt konnten dort bedürftige Familien regelmäßig warme Mahlzeiten einnehmen.

An diesen Beispielen wird rückschauend deutlich, dass sich Oskar Meyrer in der Zeit der Weimarer Republik immer wieder für die Verbesserung der sozialen Lage der Bevölkerung eingesetzt hat, die sich durch die Folgen des Weltkrieges, der Inflation und zuletzt der Weltwirtschaftskrise fortgesetzt verschlechterte. Auch beim zweiten großen Thema seiner Amtszeit während der Weimarer Republik, der Bekämpfung der Wohnungsnot, ging es um die Grundbedürfnisse vieler Einwohner Hofheims. Schon im ersten Nachkriegsjahr 1919 hatte die Stadtverordnetenversammlung einen Wohnungsausschuss gebildet und im September dieses Jahres 20.000 M für Klein- und Notwohnungen bereit gestellt. Nach Meyrers Amtsantritt im April 1920 wurde im November 1920 eine Siedlungskommission neu gebildet. Mit ihrer Unterstützung beschloss die Stadtverordnetenversammlung auf Vorschlag Meyrers im Mai 1921 die Planung und den Bau von 40 Kleinwohnungen in der Ostendstraße, Sindlinger Straße und in der verlängerten Neugasse. Der Bau von 20 Kleinwohnungen wurde sofort in Angriff genommen. Zur Kostensenkung wurde das Bauholz aus dem städtischen Wald gewonnen. Erdarbeiten, sämtliche Nebenarbeiten, Planierungen, Straßenbau, Kanalisation usw. ließ Oskar Meyrer von städtischen Arbeitern und Erwerbslosen durchführen. Ebenso war die Anfertigung der Ziegelsteine eine Aufgabe der Erwerbslosen. Die Anzahl der städtischen Wohnungen stieg bis 1932 auf vierzig. 

Um auch unabhängiger vom städtischen Haushalt handeln zu können, wurde auf Initiative Meyrers im Mai 1926 die „Aktiengesellschaft für den Kleinwohnungsbau in Hofheim a. Ts.‟ gegründet. Die Gesellschaft wurde als „gemeinnützige“ Baugesellschaft mit den damit verbundenen Vorteilen anerkannt und am 2. Juni d. J. in das Handelsregister eingetragen. Ziel der Gesellschaft war es vor allem, für sozial schwache Hofheimer Familien mietgünstigen Wohnraum zu schaffen. Nur wenige Gemeinden dieser Größenordnung (ca. 5000 Einwohner) stellten sich damals dieser Aufgabe. Aus dieser Aktiengesellschaft ist später die „Hofheimer Wohnungsbaugesellschaft mbH‟ hervorgegangen. Der Gesellschaft gelang es, bis 1939 neben den oben genannten städtischen Wohnungen weit über 100 Wohnungen zu bauen. Man kann Oskar Meyrer sicher als den Begründer des sozialen Wohnungsbaus in Hofheim bezeichnen.

Zu einer der ersten Investitionen in die Zukunft der Stadt, bei der Oskar Meyrer maßgeblich beteiligt war, gehörte der Ankauf des Hotels „Pfälzer Hof‟ gegenüber dem Bahnhof Anfang 1920. Die Stadt ließ im Erdgeschoss Versammlungsräume einrichten und in den Obergeschossen Wohnungen. Ab November 1920 tagte die Stadtverordnetenversammlung dann dort, im so genannten „Stadthaus Pfälzer Hof‟.

Die bedeutendste Einzelinvestition in der Amtszeit Meyrers war der Bau der Pestalozzi-Schule. Die Planung einer neuen, 16-klassigen Volksschule in Verbindung mit einem Volksbad war schon vor dem Ersten Weltkrieg begonnen worden Durch den Krieg konnten die Pläne aber nicht weiter verfolgt werden, das angesparte Kapital des Schulbaufonds wurde 1915 zur dritten Kriegsanleihe der Stadt umgewandelt. Es war sicher auch der Tatkraft Meyrers zu verdanken, dass der Bau der Schule mit Turnhalle und Volksbad 1926 endlich begonnen wurde und mit der Einweihung am 30. Juni 1928 vollendet wurde. Auf einem Luftbild aus dem Jahr 1928 ist im Vordergrund der Neubau der Pestalozzi-Schule klar zu erkennen, aber auch die benachbarten neuen städtischen Wohnhäuser.

Eine wichtige Weichenstellung für die Entwicklung Hofheims vollzog Meyrer auch durch die Übernahme des Marienheims durch die Stadt. Eigentümer des mit Spenden und Stiftungen finanzierten und 1912 erbauten Krankenhauses war der Hofheimer Pfarrer Prälat Buus, der erkannt hatte, dass das Haus als Folge der Inflation ohne öffentliche Finanzierung nicht mehr weitergeführt werden konnte. Er schloss deshalb noch vor der Währungsreform (16. November 1923) mit der Stadt einen Schenkungsvertrag, in dem der Stadt das Krankenhaus überlassen wurde, die Stadt sich aber verpflichtete, es zu einem modernen Krankenhaus auszubauen und die Pflege durch katholische Ordensschwestern (Dernbacher Schwestern) langfristig zu sichern. Die Stadtverordnetenversammlung stimmte diesem Vertrag am 1. Oktober 1923 einstimmig zu. Die Stadt kam allerdings erst 1929 ihrer Verpflichtung zum Ausbau des Krankenhauses nach, indem am Ostteil ein Flügel für einen Operationssaal, ein Entbindungszimmer und weitere Funktionsräume angebaut wurde. Im Zuge des Neubaus des Krankenhauses sind 2012 Marienheim und Ostflügel inzwischen abgerissen worden. Aber ohne die Entscheidung Meyrers und der Stadtverordneten für die Übernahme des Marienheimes im Jahr 1923 gäbe es heute vermutlich kein Krankenhaus in Hofheim.

Neben diesen markanten Investitionen gab es in der Amtszeit Meyrers noch weitere Investitionen in die Infrastruktur der Stadt, die entsprechend dem finanziellen Spielraum des städtischen Haushalts ausgeführt wurden. Er nutzte dabei auch die damals gebotenen Möglichkeiten, Arbeitslose einzusetzen, um Geld für die Stadt zu sparen. So wurden Straßen ausgebaut, Bürgersteige angelegt, das Kanalisationsnetz erweitert, das Schwarzbachufer gesichert und die Anlage des neuen Waldfriedhofes fortgesetzt. Trotz der enormen sozialen Lasten und der beachtlichen Investitionen gelang es Meyrer als Kämmerer der Stadt in der Regel, einen ausgeglichenen Haushalt zu erreichen und - wie 1942 im Nachruf auf ihn betont wurde - die Steuersätze der Stadt niedrig zu halten. Zu seinen Erfolgen in der Kommunalpolitik trug vermutlich auch bei, dass er ein sehr selbstbewusster Mann gewesen sein muss. Anders lässt sich schwer erklären, dass er sich in seiner Amtszeit von der bedeutenden Hofheimer Malerin Ottilie Roederstein insgesamt viermal porträtieren ließ.

Wechsel zur Hitler-Diktatur

Aus der Zeit der Weimarer Republik sind nur wenige Äußerungen von Oskar Meyrer überliefert, die seine grundsätzliche politische Einstellung erkennen lassen. Nach seiner Herkunft, seinem beruflichen Werdegang und seinem Einsatz im 1. Weltkrieg kann man vermuten, dass er sich eher zum national-konservativen Lager zählte. In seinen öffentlichen Aufrufen zu Spenden für Notleidende appelliert er häufig an den deutschen Gemeinschaftssinn. Begriffe wie „unser Volk‟ oder „das Vaterland‟ erscheinen in den vom ihm in der Presse zitierten öffentlichen Ansprachen immer wieder. In den Grundstein der Pestalozzi-Schule ließ er als Gruß der Stadt ein-mauern: „Die Schule möge erstehen zum Heile der Stadt, die sie erbaut, der Jugend, die ihr anvertraut, des Vaterlandes, das auf sie schaut.‟

Luftbild Hofheims von 1928 (im Vordergrund rechts die Pestalozzischule und die städtischen Wohnungsneubauten an der Neugasse und Sindlinger Straße) - Foto: Stadtarchiv Hofheim

Man kann verstehen, dass ihn die krisenhaften Entwicklungen in der Weimarer Republik mit den Kriegsfolgen, der Inflation und der Weltwirtschaftskrise, die er als Bürgermeister immer wieder mit zu bewältigen hatte, die häufigen Regierungskrisen im Reich und die wachsende Radikalisierung der politischen Auseinandersetzungen zwischen links und rechts zu der Überzeugung geführt haben können, dass die republikanische Regierungsform nicht in der Lage ist, diese politischen und wirtschaftlichen Probleme Deutschlands dauerhaft zu lösen. Jedenfalls wurde bald nach der sogenannten Machtergreifung Hitlers am 30. Januar 1933 seine unverhohlene Sympathie für den neuen starken Mann deutlich, der die Lösung aller Probleme und die Rückkehr Deutschlands zu nationaler Größe versprach. Es waren ja auch viele andere aus dem konservativen Lager, die ihn erst viel später als Diktator beseitigen wollten, damals der Überzeugung, dass man Hitler - mit großen Vollmachten ausgestattet - eine Chance geben müsse, einen radikalen Wandel zum Besseren herbeizuführen.

Die Haltung Meyrers zu den neuen Machtverhältnissen im Reich wurde schon bald nach der „Machtergreifung‟ deutlich. Nach der Reichstagswahl am 5. März 1933 ließ Hitler das Zusammentreten des neu gewählten Reichstages am 21. März 1933 durch einen Staatsakt in Potsdam in Anwesenheit des Reichspräsidenten Hindenburg feiern. Dieser „Tag von Potsdam‟ wurde von den Nazis auch in Hofheim durch Glockengeläut, einen Fackelzug und eine Kundgebung auf dem Sportplatz gefeiert, bei der - wie die Hofheimer Zeitung berichtete - Bürgermeister Meyrer eine „begeisternde‟ Ansprache hielt. Er appellierte an seine Zuhörer, „dass auch noch die Abseitsstehenden sich geschlossen hinter die große Freiheitsbewegung und nationale Regierung stellen mögen, damit sie das große Werk der Einheit und Freiheit unseres deutschen Vaterlandes vollenden könne.‟ Seine Einstellung zu den neuen Machthabern muss für die Nazis eindeutig gewesen sein, denn er gehörte nicht zu den zehn von damals 45 Bürgermeistern des Main-Taunus-Kreises, die als Gegner des Regimes betrachtet wurden und schon am 30. März 1933 ihrer Ämter enthoben wurden.

Bei der turnusmäßigen Kommunalwahl am 12. März 1933 kandidierte in Hofheim die Gruppierung der „Haus- und Grundbesitzer‟ nicht mehr, die bei der Wahl 1929 noch zwei von 16 Sitzen in der Stadtverordnetenversammlung errungen hatte. Sie hatte sich jetzt mit der NSDAP verbündet, die 1929 nur einen Sitz bekommen hatte. Der Spitzenkandidat der „Haus- und Grundbesitzer‟ wurde Spitzenkandidat der NSDAP, ihr Ortsgruppenleiter Georg Kaufmann rückte auf den zweiten Platz. Wie anderenorts wechselten auch in Hofheim viele aus dem konservativ-bürgerlichen Lager zu den Nazis. Oskar Meyrer konnte sich in guter Gesellschaft fühlen. Bei der Wahl erhielt die NSDAP in Hofheim aber nur ein gutes Drittel aller Wählerstimmen, fast 3 % weniger als bei der am 5. März 1933 vorangegangenen Reichstagswahl und 6 von 16 Sitzen im Stadtparlament. Nur mit der ihr nahestehenden „Bürgerlichen Vereinigung‟ (2 Sitze) erreichte sie die Stimmengleichheit mit den anderen Parteien, dem Zentrum und der SPD (je vier Sitze). Trotz dieser durch den Wahlausgang nicht eindeutigen Lage im Stadtparlament verhielt sich Meyrer als Bürgermeister nicht neutral wie es ihm sein Amt gebot, sondern nahm eindeutig Partei für die Nazis.

Bei der ersten Stadtverordnetenversammlung nach der Kommunalwahl, die am 31. März 1933 stattfand, hatte der einladende Bürgermeister Meyrer die Sitzung nachträglich um einen Tag auf Freitag verschoben und in die Turnhalle der Pestalozzi-Schule verlegt, um den Nazis die Möglichkeit zu geben, sie in eine Demonstration ihrer Machtergreifung in Hofheim und in eine Parteiveranstaltung umzuwandeln. Der Raum war mit Hakenkreuzfahnen geschmückt, an der Front der Halle die Bilder von Hitler und Hindenburg. An den Gängen neben den Stadtverordneten hatten sich SA-Männer aufgestellt und die NSDAP-Fraktion marschierte geschlossen in Uniform in die Halle ein. Der Bürgermeister eröffnete die Sitzung mit einer Ansprache, die mit den Worten begann: „Eine Welle nationaler Begeisterung durchflutet unser Land, usf.“. Neben der Besetzung der Kommissionen wurde bei der Sitzung mehrheitlich dem Dringlichkeitsantrag der Nazis zugestimmt, Reichspräsident Hindenburg und Reichskanzler Hitler zu Hofheimer Ehrenbürgern zu ernennen. Zum Abschluss dieser denkwürdigen Stadtverordnetenversammlung wurde wie bei jeder Nazi-Veranstaltung das Deutschlandlied und das Horst-Wessel-Lied („Die Fahne hoch…‟) gesungen. Zuvor hatten aber die SPD- und die Zentrums-Fraktion die Versammlung aus Protest verlassen.

Schon am Tag nach der Reichstagswahl am 7. März 1933 hatten die Nazis am Hofheimer Rathaus und an der Pestalozzi-Schule als Zeichen des Sieges die Hakenkreuzfahne und die alte Reichsfahne Schwarz-Weiß-Rot aufgehängt - sicher nicht ohne die Billigung des Bürgermeisters Meyrer. Es war ihm auch bekannt, dass das neue Regime sofort mit der Verfolgung seiner politischen Gegner begonnen hatte. Der demokratisch gewählte sozialdemokratische Landrat des Main-Taunus-Kreises, Wilhelm Apel, war schon am 10. Februar 1933 vom preußischen Innenminister Hermann Göring abgesetzt worden. Am 4. März wurden in Hofheim vor der Kommunalwahl vier KPD-Kandidaten für mehrere Tage in „Schutzhaft‟ genommen, weil sie im Verdacht standen, Flugblätter verteilt zu haben. Meyrer hat vermutlich auch nicht dagegen opponiert, dass bei der nächsten Stadtverordnetenversammlung am 5. Mai 1933 auf Antrag der NSDAP vier SPD-Stadtverordnete ausgeschlossen wurden, weil sie nicht an der von den Nazis auch in Hofheim inszenierten Feier zum „Tag der Arbeit‟ (1. Mai) teilgenommen hatten. Im Jahr darauf marschierte Oskar Meyrer am 1. Mai an der Spitze des Umzuges durch Hofheim mit (siehe Foto).

In den folgenden Jahren sind eine Reihe von öffentlichen Äußerungen Meyrers in der Presse überliefert, die seine Sympathie für das NS-Regime und seine Bewunderung für den „großen Führer‟ Adolf Hitler zum Ausdruck bringen, so bei einer Rede zum 60-jährigen Bestehen des Krieger- und Militärvereins von Hofheim am 15. Juli 1933, beim Besuch des von den Nazis eingesetzten Oberpräsidenten der preußischen Provinz Hessen-Nassau, Prinz Philipp von Hessen, am 29. August 1933 in Hofheim oder beim „Deutschen Tag‟ am 22. April 1934 in Hofheim aus Anlass von Hitlers Geburtstag, bei dem auch in Hofheim eine „Hitler-Linde‟ gepflanzt wurde. Bei den von den Nazis im März 1936 und im April 1938 inszenierten Reichstagswahlen, bei denen nur noch die NSDAP zur Wahl stand, hat er sich durch Zeitungsanzeigen in Wahlaufrufen zur Unterstützung Hitlers an die Hofheimer Wähler gewandt. In dem Wahlaufruf vom März 1936 heißt es z. B., „dass jeder Hofheimer Wahlberechtigte aus innerster Überzeugung sich an der Wahl mit Ja für Adolf Hitler beteiligen kann, ja beteiligen muss, wenn er sich nicht zeitlebens als Verräter an Volk und Führer betrachten will‟. Seine Haltung zu Hitler und dem NS-Regime war also eindeutig. Es konnte aber nicht festgestellt werden, dass Meyrer Mitglied der NSDAP, also „Parteigenosse (Pg.)‟ wurde. In einem offiziellen Fragebogen des Reichsjustizministeriums gab er noch im September 1938 an, dass er kein Mitglied der NSDAP sei. 

Umzug zum "Tag der Arbeit" 1934 mit Bürgermeister Meyrer an der Spitze - Foto: Stadtarchiv Hofheim

Als loyaler Verwaltungschef der Stadt Hofheim hat er dem NS-Regime ohne erkennbaren Einschränkungen gedient. Seit April 1934 war er durch das neue preußische Gemeindeverfassungsgesetz mit einer deutlich größeren Machtfülle ausgestattet. Als Leiter der Gemeinde entschied er nach dem Führerprinzip des NS-Staates allein. Der Gemeinderat, der aus NSDAP-Vertretern und Bürgern bestand, die der Partei genehm waren, hatte nur noch eine beratende Funktion. Praktisch wird aber Meyrer nichts entschieden haben, was nicht die Zustimmung der Repräsentanten der NSDAP, insbesondere ihres Ortsgruppenleiters Georg Kaufmann, gefunden hätte, der als Erster Beigeordneter auch sein Stellvertreter war. Als Chef der städtischen Polizei hatte Meyrer die Anordnungen auszuführen, die das Regime zur Verfolgung seiner politischen Gegner, zur Überwachung der Bevölkerung und zur Diskriminierung und Verfolgung der jüdischen Bürger erlassen hat. Beispielsweise mussten sich nach dem Verbot ihrer Parteien 1933 frühere SPD- oder KPD-Stadtverordnete regelmäßig beim Bürgermeister als Ortspolizeibehörde zur Kontrolle melden. Als der katholischer Kaplan Atzert von einem HJ-Führer denunziert wurde, gab Meyrer dessen Bericht im Juni 1934 an die für politische Straftaten zuständige Staatspolizei weiter. Viele Anordnungen zur Diskriminierung der Juden wurden über ihn ausgeführt, z. B. die Beschlagnahmung aller Rundfunkgeräte im jüdischen Besitz im September 1939. 

Bei den verbrecherischen Aktionen des Pogroms vom November 1938 gegen die jüdischen Bürger Hofheims durfte der Bürgermeister nicht tätig werden. Wie in vielen anderen Städten oder Gemeinden wurde auch in Hofheim am 9. November das Innere der Synagoge vermutlich von SA-Leuten zerstört. Die Fensterscheiben der Häuser jüdischer Bürger wurden eingeworfen und sie wurden Tage danach aufgefordert, sie auf eigene Kosten unverzüglich zu reparieren. In der Kappellenstraße Hofheims gab es damals ein Erholungsheim für jüdische Kinder, das Ettlinger'sche Kinderheim. Die Kinder wurden mit ihren Betreuerinnen nachts nach Frankfurt vertrieben und die Einrichtung des Hauses demoliert. Insgesamt sechs jüdische Bürger Hofheims wurden unmittelbar nach dem Pogrom grundlos verhaftet, nach Frankfurt in die Festhalle gebracht und von dort für mehrere Wochen in das KZ Buchenwald verschleppt.

Früheres Ettlinger'sche Kinderheim an der Kapellenstraße - Foto: Stadtarchiv Hofheim

Unmittelbar beteiligt war Meyrer als Bürgermeister an der sogenannten „Arisierung‟ jüdischer Immobilien, die vom NS-Regime nach dem Pogrom angeordnet wurde. Ihre Eigentümer wurden zum Verkauf gezwungen. Meyrer entschied als Leiter der Stadt Ende 1938/Anfang 1939 den Ankauf des Ettlinger'schen Kinderheimes und dreier Bürgerhäuser in der Altstadt durch die Stadt zu Preisen, die von der Stadt diktiert wurden. Der Ankauf der Synagoge (heute Gaststätte „Zum Türmchen‟) erfolgte „unentgeltlich‟, es wurde also der jüdischen Kultusgemeinde enteignet. An einem besonderen Fall von „Arisierung‟ in Hofheim hat Meyrer aktiv mitgewirkt, der in einem Beitrag des Autors im MTK-Jahrbuch 2011 (Wie Hofheim Kreisstadt wurde) ausführlicher dargestellt ist. Als der Main-Taunus-Kreis sich für die Villa der Jüdin Emma Kopp im heutigen Roederstein-Weg interessierte, um sie als Dienstvilla für den neuen Landrat Dr. Brunnträger nutzen zu können, führte Meyrer die Verhandlungen mit ihr, die praktisch zum erzwungenen Verkauf der Villa an den Kreis führten. Frau Kopp musste ihre Villa im Februar 1939 verlassen. Meyrer hatte sich sehr darum bemüht, ihr kurzfristig in der Nähe eine Mietwohnung zu vermitteln. Vermutlich hat er auch darauf hingewirkt, dass die früheren jüdischen Eigentümer der drei Häuser, die die Stadt 1939 gekauft hatte, erst nach etwa ein bis zwei Jahren ausziehen mussten.

Emma Kopp starb Ende August 1941 im Alter von 77 Jahren, die Deportation in ein Vernichtungslager blieb ihr dadurch erspart. Die Deportation der in Hofheim verbliebenen drei jüdischen Ehepaare fand am 10. Juni und 28. August 1942 statt. Wegen der bürokratisch durchgeführten vierteljährlichen Erfassung der „Bewegung der jüdischen Bevölkerung‟ durch den Kreis ist bekannt, dass Mitte des Jahres 1938 noch 30 jüdische Bürger in Hofheim lebten. Wegen der andauernden Repressalien des NS-Regimes und seiner Behörden, besonders durch den Pogrom im November 1938, hatte sich ihre Zahl durch Auswanderung, Wegzug nach Frankfurt und Tod auf sechs verringert. Die Deportation der Ehepaare Karl und Hedwig Oppenheimer sowie Adolf und Mina Weiß im Juni 1942 hat Bürgermeister Meyrer noch erlebt. Er selbst starb überraschend am 1. August 1942 im städtischen Marienkrankenhaus in Hofheim durch einen Herz- und Kreislaufkollaps nach der Operation eines großen Narbenbruches; er wurde nur 58 Jahre alt.

Zweifellos hat Oskar Meyrer in der NS-Zeit die nationalsozialistische Politik im Rahmen seiner Macht und seiner Kompetenzen vollstreckt, die zu schrecklichen Konsequenzen für die jüdischen Bürger Hofheims und zur Verfolgung der politischen Gegner der Nazis führte. Er hat in dieser Zeit aber auch durch Tatkraft und Weitsicht einige für Hofheims Entwicklung bedeutsame Entscheidungen getroffen und umgesetzt. Sein erklärtes Ziel, Hofheim zur Kreisstadt des Main-Taunus-Kreises zu machen, konnte er auch durch den von Hitler 1939 begonnenen 2. Weltkrieg nicht durchsetzen. Er konnte aber erreichen, dass Hofheim für lange Zeit zum zentralen Schulstandort für die weiterführenden Schulen im Kreis wurde und auch dadurch den Anspruch auf den Kreissitz unterstrich. Nach einem privaten Vorläufer und an die Volksschule angegliederten Klassen einer Realschule wurde 1939 eine selbstständige, sechsklassige städtische Mittelschule geschaffen, die 1940 in das frühere Georgi'sche Kinderheim an der Langenhainer Straße einzog. Sie war die erste Realschule im Kreis. Während der NS-Zeit erfolgte auch die Neuordnung des Berufsschulwesens im Kreis. Die in verschiedenen Gemeinden bestehenden Berufs- und Fortbildungsschulen wurden 1939 vom Landrat zu einer zentralen Kreisberufsschule zusammengefasst, die ab Ostern 1938 ihre Tätigkeit im Hofheimer Kellereigebäude aufnahm, in dem bis zur Eröffnung der Pestalozzi-Schule 1928 die Hofheimer Grund- und Hauptschule untergebracht war. Noch vor Beginn des 2. Weltkrieges ließ Meyrer im August 1939 einen städtebaulichen Wettbewerb für einen neuen Stadtmittelpunkt in den Brühlwiesen ausschreiben, in dem ein neues Rathaus, eine neue Sportplatzanlage mit Schwimmbad und - zeitgemäß - ein HJ-Heim gebaut werden sollten. Der Wettbewerb wurde 1940 entschieden und der Sieger, Prof. Lieser, mit der weiteren Planung beauftragt, die aber durch den Krieg nicht realisiert werden konnte. 

Ehrung und Wertung

Nach dem völlig überraschenden, mit Bestürzung aufgenommenen frühen Tod Oskar Meyrers am 1. August 1942, hat sein Stellvertreter, der Beigeordnete und NSDAP-Ortsgruppenleiter Georg Kaufmann, unmittelbar danach am 4. August entschieden, dass er wegen seiner Verdienste um die Stadt auf dem Hofheimer Waldfriedhof mit seiner Frau ein Ehrengrab erhalten soll. Dieses Ehrengrab wird auch heute noch entsprechend den damaligen Vorgaben von der Stadt unterhalten. Seine Verdienste waren auch in der Nachkriegszeit noch so gegenwärtig, dass die Stadtverordnetenversammlung am 2. September 1949 entschied, ihm zu Ehren die Neuwegstraße in Oskar-Meyrer-Straße umzubenennen. Wer den Antrag dazu gestellt hat und wie das Abstimmungsergebnis war, lässt sich nicht mehr feststellen. Beachtenswert ist aber, dass zu dieser Zeit in Hofheim eine Koalition aus SPD und einer „Demokratischen Bürgerlichen Vereinigung‟ regierte und der Bürgermeister Ernst Nilges zur SPD gehörte. Man kann also davon ausgehen, dass dieser Ehrung Oskar Meyrers von der Stadtverordnetenversammlung mit großer Mehrheit zugestimmt wurde. Beachtenswert ist auch, dass einige der damaligen Stadtverordneten Meyrer noch persönlich erlebt haben und dass der Fraktionsvorsitzende der SPD Albert Hild ein Verfolgter des Nazi-Regimes war. Er wurde im April 1933 wegen seiner politischen Einstellung vom Main-Taunus-Kreis entlassen und im April 1936 wegen der illegalen Verteilung des Widerstandsblattes der Exil-SPD „Sozialistische Aktion‟ zu zehn Monaten Gefängnis verurteilt.

 

Ehrengrab Oskar Meyrers auf dem Hofheimer Waldfriedhof - Foto: privat

Sicher ist diese Entscheidung der Stadtverordnetenversammlung auch im Zeitzusammenhang zu werten. In vielen Forschungen ist festgestellt worden, dass in Deutschland nach 1945 ein gesellschaftlicher „Verdrängungskonsens‟ gegenüber der NS-Vergangenheit bestand. „Noch in den 1960er Jahren war man allenfalls an schwer belasteten NS-Tätern interessiert‟, formulierte die Historikerin Sabine Kühn, „im Allgemeinen spielte die NS-Belastung der Bundesrepublik und vieler ihrer Bürger in der Öffentlichkeit nur eine untergeordnete Rolle‟. Viele Beispiele der letzten Zeit zeigen aber, dass sich diese Einstellung zu einer kritischeren Sicht auf die NS-Vergangenheit von Politikern gewandelt hat und dass Ehrungen zurückgenommen wurden, die ihnen noch bis in die 1960er Jahre verliehen wurden. Die Stadt Wiesbaden hat ihrem früheren Oberbürgermeister Erich Mix, FDP, wegen seiner Karriere in der Nazi-Zeit das Ehrengrab aberkannt. Die Stadt Rüsselsheim hat die Walter-Köbel-Halle umbenannt, nachdem die NS-Vergangenheit ihres Namensgebers, des Oberbürgermeisters (SPD) von 1954 bis 1965, erforscht worden war. In Kassel wurde seit 2014 über die Rolle der Oberbürgermeister Seidel, Lauritzen und Branner (SPD) während der NS-Zeit diskutiert und über die Beibehaltung oder Aberkennung ihrer Ehrungen im Juli 2015 in der Stadtverordnetenversammlung entschieden.

Vor diesem Hintergrund sind auch in Hofheim die Ehrungen, die Oskar Meyrer erfahren hat, erneut zum Thema geworden. Den großen Verdiensten Meyrers um die Stadt Hofheim, insbesondere in der Zeit der Weimarer Republik, steht seine Bewunderung Hitlers und seine undemokratische Unterstützung der Nazis in der Anfangsphase des Regimes sowie die Vollstreckung der nationalsozialistischen Politik in Hofheim mit allen Folgen für die jüdische Bevölkerung und für die Gegner der Nazis gegenüber. Nicht mehr beurteilt werden kann, ob sich seine Einstellung zum NS-Regime in seinen letzten Lebensjahren gewandelt hat. Seine letzte öffentliche Äußerung stammt vom Ende des Jahres 1938, in der er Hitler wegen des Anschlusses von Österreich im gleichen Jahr uneingeschränkt feiert, aber kein Wort zu dem Pogrom im November des gleichen Jahres in Hofheim und im Reich verliert. Ob er wie viele andere frühere Anhänger Hitlers im Verlauf des 2. Weltkrieges, insbesondere nach den Ende 1941 beginnenden Rückschlägen an der Ostfront, geändert hat, lässt sich nicht ergründen.

Die Frage, ob die Oskar-Meyrer-Straße umbenannt werden sollte, muss vor dem Hintergrund geprüft werden, dass diese Ehrung 1949 von der Stadtverordnetenversammlung mit klarer Mehrheit beschlossen wurde. Die Revision dieser Entscheidung bedürfte schon schwerwiegender Gründe. In einem Spiegel-Gespräch (Der Spiegel Nr. 6, 2014) zu Debatten über Straßennamen in deutschen Städten hat der Historiker Martin Sabrow die Meinung vertreten, dass Straßennamen als Teil des Stadtgedächtnisses nur dann gestrichen werden sollten, wenn sich gewichtige neue Informationen ergeben haben. Ob die dargestellten Fakten schwerwiegend sind und für eine Änderung sprechen, kann unterschiedlich beurteilt werden. Es wäre aber in jedem Fall wichtig, nicht nur die positiven Aspekte bekannt zu machen, für die Bürgermeister Meyrer geehrt wurde, sondern auch sein sehr problematisches Verhalten vor und während der NS-Zeit in Hofheim.

 

Archivalische Quellen

Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden, Abt. 425, Nr. 360, 365, 430, 431, 656, 1902, 3172, 3456, 3490.

Stadtarchiv Hofheim, Protokolle der Stadtverordnetenversammlung, B3a, 15.005-008.

Internet-Quellen

https://www.hofheim.de/leben/Stadtportrait/Stolpersteine/index.php

Quellen

Benz, Wolfgang: Geschichte des Dritten Reiches. München, 2000.

Klöckler, Jürgen: Selbstbehauptung durch Selbstgleichschaltung. Die Konstanzer Stadtverwaltung im Nationalsozialismus. Ostfildern, 2012.

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Zeitungen

Höchster Kreisblatt

Hofheimer Zeitung 


 

Der Bericht wurde in „Zwischen Main und Taunus – Jahrbuch des Main-Taunus-Kreises, 2016, 24. Jahrgang, Seite 51-61“ veröffentlicht. Mit freundlicher Genehmigung des Main-Taunus-Kreises und des Autors erfolgt diese Präsentation.

 


Bearbeitung: Historischer Arbeitskreis Hofheim am Taunus (Wilfried Wohmann)


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