Historisches Hofheim am Taunus

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Römische Gräber in Hofheim


Hans-Günter Rühl


„HOMINEM MORTVVM IN VRBE NE SEPELITO VRITO“: Einen toten Menschen soll man innerhalb einer Stadt weder bestatten noch verbrennen. (Rechtsgrundsatz des Zwölf-Tafel-Gesetzes, 5. Jh. v. Chr.)

Jenseitsvorstellungen der Römer

In der römischen Zeit bildeten Leben und Tod eine fast selbstverständliche Einheit. Es gab keine Friedhöfe in Ruhe, in Abgeschiedenheit, charakteristisch war vielmehr, dass sich ausgangs von Siedlungen und Städten Landhäuser, Werkstätten, Läden, Herbergen und Grabbauten aneinanderreihten und die Toten auf diese Weise ihren Platz im Leben behielten. Wer damals eine Stadt betrat oder sie verließ, konnte meilenweit an Gräbern vorbeiziehen, welche die Straßen säumten. Dahinter stand der Wunsch des Einzelnen, im Bewusstsein der Nachwelt weiterzuleben und alles zu tun, um sich von der Masse der namenlosen Totengeister abzuheben.

Die Toten gingen nach römischer Vorstellen ins der DI MANES ein, gestaltlose Totengötter, die es galt, durch genaue Einhaltung von vorgeschriebenen Riten und Opfern gnädig zu stimmen. Ihnen gehörten die Gräber, auch im rechtlichen Sinne, was in der Anfangsformel DIS MANIBVS, oft DM abgekürzt, auf den meisten römischen Grabinschriften seit dem Ende des 1. Jh. n. Chr. zum Ausdruck kam. Griechischen Ursprungs war allerdings die Vorstellung von einer Seelenwanderung der Toten und entsprach nicht römischer Denkweise, die in dieser Hinsicht karg und nüchtern war. Der Tote lebte danach im Grabe weiter, nicht leiblich, sondern als ANIMA (Schatten, Seele) in einem kraft- und freudlosen Dasein, aus dem er nur kurzzeitig erlöst werden konnte, indem man seiner gedachte und an seinem Grabe Gedächtnismahlzeiten abhielt und ihn daran teilhaben ließ. Dies geschah anlässlich der PARENTALIA, dem Seelenfest für die Eltern, Verwandten und Vorfahren. Es begann am 13. Februar und endete am 21. Februar mit den FERALIA (von lat. FERRE „darbringen“). Nach Ovid war dies der letzte Tag, die Totengeister zu versöhnen.

Brandgrab mit Aschenurne und Gefäßbeigaben, sog. "Ustrinabestattung", Ende 1. Jh. n. Chr., Fundort: Gotenstraße, 1961 - Foto: Günter Rühl


Während dieser Feierlichkeiten schmückte man die Gräber mit Blumenkränzen, stellte Veilchen, Salz, Früchte und mit Wein getränktes Brot in einer Schüssel unmittelbar auf dem Weg zum Grab, entzündete ein Feuer und sprach ein Gebet, so wie es die Priester vorschrieben. Versäumte man diesen Ritus anlässlich der neun Tage dauernden FERALIA, so musste man damit rechnen, dass sich die Ahnen aus ihren Gräbern erheben und ruhelos umherirren würden. Die abergläubische Furcht, dass dies geschehen könnte, war tief in der römischen Denkweise verwurzelt und so nimmt es nicht wunder, dass diese Riten von den unmittelbar betroffenen Familien ernstgenommen wurde.

Grabbrauchtum und Grabbeigaben

Das Grab galt als Haus für die Ewigkeit (DOMVS AETERNA) und es entsprach der Denkweise jener Zeit, sich möglichst früh darum zu kümmern. Wer es sich also leisten konnte, sorgte schon zu Lebzeiten für seine Grabstätte, deshalb heißt es auch oft in den Grabinschriften (VIVVS FECIT „hat er zu Lebzeiten gemacht“). Diese Inschriften, die man TITVLI nannte, besaßen rechtlichen Charakter und enthielten oft Verfügungen des Verstorbenen, die im Testament niedergelegt waren. Auch waren die Pflichten der Erben geregelt, die Grab und Grabmal errichteten, die Grabpflege versahen und für die Einhaltung der Totenriten sorgten. In den Inschriften heißt es dazu meist lakonisch: EX TESTAMENTO HERES FACIENDVM CVRAVIT (meist in der Abkürzung EX.T.H.F.C.), d.h. „dem Testament gemäß hat der Erbe das zu Machende besorgt“. Damit waren alle Verpflichtungen des Erben umschrieben, und jedermann konnte sich davon überzeugen, dass alles seine Richtigkeit hatte.

Der Großteil der Bevölkerung, vor allem die weniger Vermögenden, mussten ein Leben lang für eine würdige Grabstätte sparen, denn nur so konnte man sich ein Fortleben nach dem Tode sichern. Viele Menschen, vor allem die weniger Vermögenden, gehörten zu diesem Zweck einem COLLEGIVM FVNERATICIVM (Begräbnisverein) an. Gräber waren Abbilder des Lebens, in denen sich menschliche Eitelkeit und menschlicher Geltungsdrang ebenso spiegeln konnten wie der wirtschaftliche und gesellschaftliche Rang, den der Verstorbene in seinem Leben eingenommen hatte. Sichere Indizien hierfür sind Grabbauten und entsprechende Grabausstattungen mit Beigaben aus dem Besitz der Toten, eine Sitte, die gerade in den gallisch-germanischen Provinzen sehr verbreitet war. Aus dem Text des Zwölf-Tafel-Gesetzes geht hervor, dass beide Bestattungsarten – das Zu-Grabe-Tragen (SEPELIRE) wie das Verbrennen (VRERE) – schon seit frühester Zeit bekannt waren. Körper- und Brandbestattungen kamen auch gelegentlich zu Beginn der römischen Kaiserzeit nebeneinander vor, wobei sich natürlich einheimisches und römisches Brauchtum miteinander mischten und heute nicht mehr eindeutig zu klären ist, welche Elemente auf den Einfluss der einen oder anderen Kultur zurückzuführen sind. Generell lässt sich sagen, dass die Totenverbrennung während der ersten beiden nachchristlichen Jahrhunderte deutlich überwog.

In der römischen Antike unterschied man bei den Brandbestattungen grundsätzlich zwei Arten. Entscheidend war, ob der Tote an dem Platz, auf dem der Scheiterhaufen stand, auch bestattet wurde, oder ob man seine sterblichen Überreste an einem anderen, vom Verbrennungsplatz getrennten Ort beisetzte. Den Platz, an dem der Tote verbrannt oder bestattet wurde, nannten man BVSTVM („Leichenbrandstätte“), entstanden aus dem Wort COMBVRERE („verbrennen“). Die lateinische Bezeichnung für die andere Bestattungsart ist nicht überliefert, lediglich der Name für die Verbrennungsstätte, die VSTRINA hieß, hergeleitet von dem seltenen Wort VSTRINARE, das ebenfalls verbrennen hieß. Überträgt man diese Begriffe in die deutsche Sprache, könnte man – römischem Brauch folgend und um die beiden Arten der Beisetzung deutlich voneinander zu trennen – von „Bustumbestattungen“ und „Ustrinabestattungen“ sprechen. Es kann wohl nicht davon ausgegangen werden, dass die Menschen, die in der damaligen Zeit ihre Toten verbrannten und bestatteten, sich jener feinsinnnigen Unterscheidung bewusst waren, die heute in wissenschaftlichen Katalogen bei der Klassifizierung römischer Brandgräber vorgenommen werden.

Oberer Teil eines Grabsteins mit dem Relief eines reitenden Bogenschützen, Fundort: Ringmauer der Wasserburg, 1991 - Bildquelle: Faltblatt des Stadtmuseums Hofheim

Sehr viel näher ist man den Menschen und ihren Vorstellungen, wenn man Erklärungen dafür sucht, warum das Gefäß, das den Leichenbrand enthält, ein Loch im Boden aufweist, umgestülpt im Grabe steht oder mit einem Stein oder Ziegelstück, einer großen Scherbe oder einfach mit Sand verschlossen worden ist. Die Löcher im Gefäßboden, die man auch als Seelenlöcher bezeichnet hat, ohne dafür eine Erklärung zu finden – könnten auf den Brauch der LIBATIO hindeuten, das rituelle Ausgießen von Getränken über einem Grab, verbunden mit dem Wunsch, der Tote möchte daran teilhaben, während das Verschließen der Urne deutlich macht, wie ernst man die Vorschriften des Grabrechts nahm, wonach der Tote bzw. das, was nach der Einäscherung von ihm blieb, bedeckt werden musste, um kultisch rein zu werden und seine Ruhe zu finden. TERRA CONDERE (mit Erde bestatten) hieß dieser Vorgang, und wahrscheinlich haben Gegenstände wie Steine, Ziegel oder Scherben den gleichen Zweck erfüllt, vielleicht geschah dies aber auch aus der abergläubischen Furcht heraus, der Tote könne wiederkommen.

Als Urnen dienten vor allem einfach Küchengefäße, Töpfe, die mitunter beschädigt waren oder deutliche Spuren eines missglückten Brennvorgangs trugen, als Leichenbrandbehälter aber offenbar ausreichten. Seltener waren deshalb wohl auch Glasgefäße, üblich waren auch kleiner Blei- und Steinkisten, die das Gefäß mit dem Leichenbrand enthielten und verschlossen wurden. Die Sitte, die Toten zu verbrennen, ist etwa seit der Mitte des 2. Jahrhunderts allmählich von der Körperbestattung verdrängt worden, bis sie sich in der 2. Hälfte des 3. Jahrhunderts fast überall durchgesetzt hatte.

Früher glaubte man, der maßgebende Einfluss auf diese Entwicklung sei vom Christentum ausgegangen, mit Sicherheit spielten jedoch religiöse Vorstellungen eine Rolle, die sich – auf dem Hintergrund orientalischer Mysterienkulte – mit dem Leben nach dem Tode beschäftigten, und es wird so gewesen sein, dass man sich diesem Ziele näher fühlte, wenn der Körper unversehrt bestattet wurde. Generell kann man bei Grabbeigaben zwischen Dingen aus dem persönlichen Besitz des Toten unterscheiden, Speisebeigaben mit den hierfür notwendigen Gefäßen und solchen Dingen, die, wie Lampen, Münzen, Tonfiguren oder Glasfläschchen, gefüllt mit wohlriechenden Flüssigkeiten, eine besondere Bedeutung für den Grabritus besaßen. Man kann davon ausgehen, dass die Toten mit ihren Kleidern verbrannt wurden, von denen sich allerdings nur jene Teile erhalten haben, die aus Metall waren.

In erster Linie sind dies Fibeln, die des Öfteren paarweise in den Brandresten eines Grabes gefunden werden und damit gewisse Hinweise auf ihre ursprüngliche Tragweise geben. Frauen konnte ein Kästchen mitgegeben werden, dass Schmuckstücke, einen Kamm oder sogar einen Metallspiegel enthielt. Typische Gegenstände in Männergräbern sind dagegen sehr selten. Ehemaligen Soldaten ihre Waffen mitzugeben, was man vielleicht erwarten könnte, war im römischen Grabbrauch nicht üblich, zumal sie vom Staat gestellt wurden und nicht Privateigentum waren. Ganz selten finden sich Geräte oder Werkzeuge, ein Brauch, der keltischen Ursprungs ist und nur dort vorkam, wo sich in römischer Zeit keltisches Brauchtum gehalten hat.

Zu den Gräberfeldern in Hofheim

Im Verlauf der archäologischen Feldforschung wurden bereits in den Jahren 1923/24 vom damaligen Leiter der Sammlung Nassauischer Altertümer im Städtischen Museum Wiesbaden – Ferdinand Kutsch – unmittelbar westlich des Schmelzweges, also westlich der römischen Straße nach Nida-Heddersheim, etwa 20 römische Brandgräber ausgegraben. Sie waren schon zum Teil von dem Pflaster einer jüngeren Römerstraße überdeckt, die senkrecht auf die Elisabethenstraße, bzw. den heutigen Schmelzweg stieß und in ihrer südlichen Fortsetzung offenbar zum Main führte.

Das kleine Gräberfeld wurde nach Ausweis der Keramikbeigaben bereits schon im späten 1. Jh. n. Chr. angelegt, einige Funde zeigen aber auch noch eine Belegung während des 2. Jahrhunderts. Es kann leider nicht genau gesagt werden, welche Brandbestattungsarten in dieser kleinen Nekropole vorherrschten, da die Ergebnisse der Ausgrabung bis heute leider unveröffentlicht geblieben sind. Eine Zugehörigkeit der Grablagen zur römischen Zivilsiedlung am Schmelzweg bzw. Schwarzbach dürfte als gesichert gelten. Einige Funde aus diesem Gräberfeld sind in der archäologischen Abteilung des Hofheimer Stadtmuseums ausgestellt (u.a. Öllampen, Tonteller sowie eine Terra-Sigillata Reliefschüssel).

Ein weiteres Gräberfeld wurde auf dem Hochfeld im Zuge der Erschließung eines Neubaugebietes im Jahr 1960 durch Mitglieder des Höchster und Hofheimer Geschichts- und Altertumsvereins (heute nicht mehr existent) im Bereich Goten- und Ubierstraße entdeckt. Im Verlauf des Jahres 1960 konnten dann in der Nähe der Kreuzung Ubier-/Gotenstraße 35 Gräber registriert und in mehreren Notbergungen teilweise ausgegraben werden. Allen Anschein nach herrschte in diesem Gräberfeld die „Ustrinabestattung“ vor, also Urnengräber, die von einem zentralen Verbrennungsplatz ihren Ausgang nahmen. Das Gräberfeld datiert nach Ausweis der Funde ebenfalls vom Ende des 1. bis zur Mitte des 2. Jh. n. Chr. Bedauerlicherweise konnten in diesem Gräberfeld aus Zeitgründen keine Ausgrabungen stattfinden, so dass wir uns nur mit kärglichen Informationen auch über dieses Gräberfeld begnügen müssen. Es hatte eine Ausdehnung von ca. 150 x 30 m und gehörte entweder zum Steinkastell oder einer Zivilsiedlung, die unmittelbar nördlich der Frankenstraße begann, deren Ausmaße aber nicht mehr genau zu bestimmen sind.

Ein drittes Gräberfeld konnte schließlich vor einigen Jahren im südlichen Bereich der Flur Attiggewann anhand von Oberflächenfunden registriert werden. Dieses an der rechten Ausfallstraße des Steinkastells gelegene Gräberfeld schloss sich unmittelbar an das Lagerdorf (VICVS) an und könnte allem Anschein nach ähnliche Ausmaße wie das an der Gotenstraße besessen haben. Möglicherweise herrschte in diesem vom Steinkastell bzw. vom Südvicus aus belegten Gräberfeld die „Bustumbestattung“ vor, eine Brandbestattungsart, die vielleicht gerade von den im Steinkastell stationierten Legionären italienischen Ursprungsbezeugt wurde.

Eine Überraschung bildeten schließlich die in jüngster Zeit im Stadtgebiet, in der Umwehrung der ehemaligen Wasserburg am Kellereiplatz, zufällig entdeckten Fragmente zweier römischer Grabsteine, die in die 2. Hälfte des 1. Jh. n. Chr. datierten und von recht guter Qualität sind. Es handelt sich dabei zum einen um die Darstellung eines Lanzenreiters und zum anderen um die eines berittenen Bogenschützen. Die Grabsteine wurden wohl um 1354 als Spolien in die Außenmauer der Wasserburg eingefügt, zuvor hatte man sie offensichtlich in eine handlichere Form gebracht, indem man die Inschriftensockel absägte. Gerade die fehlenden Inschriften der beiden Grabsteine hätten uns wichtige Informationen liefern können wie z.B. Truppenname, Rang, Alter des Soldaten, Herkunft und Dienstzeit. Eine Zugehörigkeit der beiden Grabsteine zu einem in unmittelbarer Nachbarschaft auf dem Hochfeld gelegenen Gräberfeld kann zwar nicht bewiesen, doch vermutet werden.

 

 

Der Beitrag wurde in „Zwischen Main und Taunus – Jahrbuch des Main-Taunus-Kreises, 1996, Seite 85 bis 89, veröffentlicht. Mit freundlicher Genehmigung des Main-Taunus-Kreises und dem Autor erfolgt diese Präsentation. Wir bedanken uns beim MTK und dem Autor.


 


 

Bearbeitung: Historischer Arbeitskreis Hofheim (Jenny Junkers)


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