Hofheimer Personen
Dr. med. Werner Straube
Chefarzt der Kliniken des Main-Taunus-Kreises / St. Marienkrankenhauses in Hofheim am Taunus
* 5. August 1924 in Bassenheim, Kreis Koblenz
+ 22. Juli 2018 in Hofheim am Taunus
Dr. Werner Straube wurde in Bassenheim als Sohn des Rentamts - Sekretärs Richard Straube und seiner Frau Margarete geb. Müller geboren. Er und sein jüngerer Bruder Helmut verloren im Alter von 9 bzw. 5 Jahren ihren Vater. Bereits während seiner Schulzeit in Koblenz verfestigte sich in ihm der Wunsch, Arzt zu werden.
Nach freiwilliger Meldung als Anwärter für die Sanitätsoffizierslaufbahn, (Sanitätsergänzungsjahrgang 24a), militärischer Grundausbildung und begonnenem Studium folgten Einberufung, Frontdienst in Russland und eine Verwundung, wofür ihm das EK II verliehen wurde. Das Medizinstudium in Freiburg und Prag, wo er auch das Physikum machte und zum Feldarzt befördert wurde, endete bei Kriegsende in amerikanischer und russischer Gefangenschaft, aus der er erst 1948 wieder entlassen wurde.
In diesen 3 Jahren und 8 Monaten wurde Dr. Straube, obwohl „nur“ Medizinstudent, als Arzt registriert und dadurch in diversen Gefangenenlagern und hinter Stacheldraht zum Retter seiner Kameraden. Er berichtete später, dass zu dieser Zeit dringend approbierte Mediziner zum Fronteinsatz gesucht wurden, sich jedoch niemand meldete aus Angst, erschossen oder nach Sibirien deportiert zu werden.
Während dieser Zeit lernte er in Armenien den später weltberühmten Verhaltensforscher, Philosophen und Ökologen Professor Dr. Konrad Lorenz, Inhaber eines Lehrstuhls für Psychologie an der Uni Königsberg, kennen. Für Dr. Straube war es eine Erlösung, nun endlich einen „Approbierten“ an seiner Seite zu haben. Sie einigten sich auf eine Arbeitsteilung: Lorenz übernahm die Ambulanz und Dr. Straube war für das ganz primitive Lagerlazarett zuständig. Die Beiden verband eine lebenslange Freundschaft, welche u.a. auch dadurch begründet war, dass der spätere (1973) Nobelpreisträger Lorenz seinem Freund nach einer schweren Lebensmittelvergiftung das Leben rettete. Das Buch „Das sogenannte Böse“, als Grundlage für die Verhaltens- und Aggressionsforschung bis heute wegweisend, entstand während der Kriegsgefangenschaft mit Dr. Straube. Er besorgte Papier aus Zementtüten. Diese bereitete er so auf, dass er mit einem Kohlestift das niederschrieb, was Konrad Lorenz ihm heimlich nachts für dieses Buch als Manuskript diktierte.
Werner Straube verehrte ihn als väterlichen Freund und akademischen Lehrer; ihm verdankte er auch seine Fähigkeit, Goethes „Faust“ bis ins hohe Alter komplett rezitieren zu können.
Sohn Dr. Richard Straube im September 2023: „Konrad Lorenz hat mich als seinen Patensohn adoptiert, so dass ich unter seiner väterlichen Betreuung meine Arbeit „Jugend forscht 1976“ als Landessieger in Biologie über das „Seitz’sche Reizsummenphänomen“ präsentieren konnte“.
Nach seiner Heimkehr beendete er sein Studium an der Mainzer Johannes-Gutenberg-Universität mit Staatsexamen und Promotion „Magna cum laude“. Nach dem damals für Ärzte vorgeschriebenen Landvierteljahr in einer heimatnahen Praxis folgten Weiterbildungen zum „Arzt für Innere Medizin“ in Bonn sowie in Simmern/Hunsrück.
Nun begann für die nächsten vier Jahrzehnte seine segensreiche Tätigkeit in der neuen und endgültigen Heimat, am Hofheimer Marienkrankenhaus.
1957, im November, trat er seine Stelle als „Assistenzarzt Inneres“ unter der Leitung des Gründers dieser Abteilung, Dr. Walter Kunz, an. Dessen Nachfolger und damit Chefarzt wurde er nach 12-jähriger Oberarzt-Tätigkeit 1973.
In diese Zeit seines ärztlichen Wirkens fiel die Übernahme des St. Marienkrankenhauses durch den Main-Taunus-Kreis. Große Umbrüche in Umstrukturierung und Zusammenlegung der Verwaltungen mit dem Krankenhaus Bad Soden zu den „Kliniken des Main-Taunus-Kreises“ erforderten in der weiteren Folge den Einsatz aller Beteiligten. Nie vergaß er jedoch dabei die Erfüllung des hippokratischen Eides, der jeden Arzt zu bedingungslosem Einsatz und Hilfe am kranken Menschen verpflichtet.
Am 1. September 1989 beendete Herr Chefarzt Dr. Straube seine Tätigkeit im Krankenhaus.
Hier nun einige persönliche Daten:
1952 heiratete Dr. Straube seine aus Frankfurt/Main stammende Frau Anna-Maria, die während der Kriegszeiten ein vergleichbar hartes Jugendschicksal tragen musste. Als 16-jährige Schülerin wurde sie bei einem Bombenangriff in Frankfurt verschüttet. Sie erlebte die Terrorherrschaft hautnah, als ihre Mutter von der Gestapo abgeholt und inhaftiert wurde, weil sie angeblich „den Führer verachtende Äußerungen in der Öffentlichkeit geäußert haben soll“ . Vor der Ehe war sie an der amerikanischen Botschaft in Bonn - Bad Godesberg beschäftigt, danach an der Seite ihres Ehemannes 40 Jahre als seine Sekretärin und engste Mitarbeiterin tätig. Beide waren fast 65 Jahre verheiratet.
Als gelungenes Beispiel für eine geglückte Vater - Sohn - Nachfolge, - was den beruflichen Werdegang anbetrifft - sei der 1957 geborene Sohn Dr. Richard Straube genannt. Wir haben ihn im INUS Medical Center in Cham ausfindig gemacht und einen sehr inspirierenden Kontakt aufgebaut. Er hat nach diversen medizinischen Studien seit 1976 eine beeindruckende Vita sowohl in der Inneren Medizin, Notfallmedizin, unzähligen anderen Spezialisierungen bis zum Ltd. Arzt für Nephrologie und Apherese vorzuweisen.
Bestimmend für ihn, so schrieb er uns, sei jedoch „der lebenslange Stolz und die Hochachtung vor der Leistung meines Vaters. Dieser sei vor allem aber mein Vorbild und klinischer Lehrer, so dass ich mein Studium und meine Promotion unter seiner väterlichen und klinischen Begleitung absolvieren konnte“.
Dr. Straube und seine Frau verfolgten im Gegenzug mit viel Interesse und elterlicher Fürsorge den Lebensweg ihres Sohnes und der jungen Arztfamilie mit 4 Enkelkindern.
Zur Beschreibung des Menschen Straube gehört unbedingt auch das Aufzählen der diversen Interessengebiete während und nach seiner ärztlichen Tätigkeit. Wie einem Bericht der Hofheimer Zeitung vom Juli 2002 anlässlich des „Goldenen Doktor-Jubiläums“ zu entnehmen ist, zählen medizinische Fachliteratur, Goethe-Literatur, klassische Musik, Theater, Reisen und Gartenarbeit zu den Passionen des Jubilars.
Neben diesen Aktivitäten hat Herr Dr. Straube in mannigfaltiger Weise seine Expertise in Verbänden und Vereinen eingebracht.
So war er seit 1954 Mitglied des Verbandes der Heimkehrer Deutschlands, auch in der Ortsgruppe Hofheim. Hier fungierte er jahrelang als Gutachter für die Kriegs- und Heimkehrergeneration, um dieser zu ihrem gesetzlich verankerten Recht zu verhelfen. Ebenso war er Richter am Berufsgericht und Sachverständiger für das Sozialgericht, wo er Leitlinien für die Begutachtung für Menschen unter extremen Lebensbedingungen vor den Sozialgerichten geschaffen hat. Ansporn und Motivation für diese Aktivitäten waren zweifelsohne seine Erlebnisse und Erfahrungen extremer Lebensverhältnisse im Krieg.
Daneben war er:
- Gründer des Lions Clubs Hofheim am Taunus
- Gründer der Hofheimer Arztgespräche (70 große Fortbildungsveranstaltungen)
- Gründer des Koronarsports in Hofheim, deren langjähriger Vorsitzender er war
- Beteiligt an der Gründung der Sozialstation Hofheim-Eppstein, Mitglied im Vorstand
- Chronist der Geschichte des Krankenhauses Hofheim am Taunus
Gekrönt wurde diese beeindruckende Lebensleistung drei Wochen vor seinem 80. Geburtstag im Jahre 2004 mit der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes 1. Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland. Die Verleihung fand im Rahmen des 30. Landesverbandstages der VdH in Bad Wildungen statt. In Anwesenheit seiner Angehörigen verlieh ihm Staatsminister Dietzel diese hohe Auszeichnung. Man hob seine herausragenden, sowohl überregionalen als auch heimischen Verdienste in Rehabilitation, Versorgung kranker Menschen sowie seine der Gesellschaft dienenden Engagements hervor. Dem Lob schloss sich der Hessische Ministerpräsident Roland Koch in einem Schreiben vollinhaltlich an.
In seiner Dankesrede bewies Dr. Straube überzeugend seine ihm stets attestierte persönliche Bescheidenheit, indem er die Ehrung „nicht für sich alleine annehmen könne, sondern sie symbolisch für alle ehemaligen Arztkollegen, welche als Lagerärzte hinter sowjetischem Stacheldraht unter extremen Lebensbedingungen um die Rettung und Erhaltung des menschlichen Lebens gekämpft und sich nach ihrer Heimkehr für deren soziales Recht eingesetzt hätten.“
Neben dieser Auszeichnung wurde ihm der Ehrenbrief des Landes Hessen, die Ehrennadel der Stadt Hofheim, das Behindertensportabzeichen in Gold sowie andere anerkennende Auszeichnungen verliehen.
Anlässlich seines 90. Geburtstages im Jahr 2014 bat Dr. Straube um Spenden für den von der Bürgerstiftung und dem Seniorenbeirat ins Leben gerufenen Senioren-Hilfsfonds. Hier wird für in Not geratene Senioren unbürokratische Hilfe geleistet. Die damalige Hofheimer Bürgermeisterin Gisela Stang dankte dem Jubilar für die rund 1.600,- Euro, welche zusammengekommen waren.
Dr. Werner Straube verstarb am 22. Juli 2018 im 94. Lebensjahr im Hofheimer Krankenhaus in Anwesenheit seiner Familie. Seine Frau Anna-Maria lebt als 95-jährige Seniorin nach wie vor in Hofheim und erfreut sich u. a. an 4 Urenkeln.
Hofheim am Taunus hat ihm sehr viel zu verdanken.
Quellen:
- Straube W. 2013. In: Erinnerungen an Konrad Lorenz. Zeitzeugen zu Werk und Mensch. Symposium anlässlich des 100. Geburtstags von Konrad Lorenz, November 2003, Wien
- Berichte seines Sohnes Dr. Richard Straube, bis Ende August 2023 Ltd. Arzt am INUS Medical Center in Cham, über seinen Vater aus persönlicher Sicht
- Hofheimer Zeitung: Bericht über 75. Geburtstag vom 3. 8. 1999
- Hofheimer Zeitung: Bericht über 50-jähriges „Doktor-Jubiläum“ im Juli 2002
- Hofheimer Zeitung: Bericht über Bundesverdienstkreuz-Verleihung vom 6. 8. 2004
- Presseinformation der Stadt Hofheim zur Spende anlässlich 90. Geburtstag v. 11.9.2014
Wir bedanken uns bei seinem Sohn Dr. med. Richard Straube für die Unterstützung bei der Erstellung dieses Beitrages.
Bearbeitung: Historischer Arbeitskreis Hofheim (Marie-Luise Thonet)