Historisches Hofheim am Taunus

Altes für die Zukunft bewahren!


Wie Hofheim zur Kreisstadt wurde

Dieter Reuschling


Landratsamt auf dem Hochfeld, 2014 - Foto: Heiko Schmitt








Von der Gründung des Main-Taunus-Kreises am 1. April 1928 bis zum Umzug der Kreisverwaltung in das neue Kreishaus (heute Landratsamt) in Hofheim 1987 vergingen fast 60 Jahre, in denen die Kreisverwaltung ihren Sitz außerhalb des Kreises in Frankfurt-Höchst hatte. Wie es zu dieser ungewöhnlichen Situation kam und warum es in der nun rund 84-jährigen Geschichte des Main-Taunus-Kreises so lange dauerte, bis der Kreissitz in das Kreisgebiet verlegt wurde, soll hier dargestellt werden. Es ist eine wechselvolle Geschichte, die keineswegs geradlinig verlief.
  

Gründung des Main-Taunus-Kreises

Als Folge von Gebietsreformen ist die Situation, dass eine Kreisverwaltung ihren Sitz außerhalb des Kreisgebietes hat, nicht außergewöhnlich. Das Kreishaus des früheren Landkreises Wiesbaden stand in der Zeit der Weimarer Republik in der Stadt Wiesbaden, die nicht zum Kreis gehörte. In neuerer Zeit war die nicht zum Kreis gehörende Stadt Offenbach lange Zeit Sitz der Kreisverwaltung des Landkreises Offenbach. Den Landkreis Wiesbaden gibt es nicht mehr, das Landratsamt des Kreises Offenbach liegt inzwischen in Dietzenbach im Kreisgebiet. Als Dauerlösung hat also die Lage eines Verwaltungssitzes außerhalb des Verwaltungsgebietes selten Bestand.  

Die Bildung des Main-Taunus-Kreises wurde in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts durch die Bestrebungen der Großstädte Frankfurt und Wiesbaden ausgelöst, möglichst viele der umliegenden Gemeinden als Vororte einzugliedern. Betroffen davon waren vor allem die früheren Landkreise Höchst und Wiesbaden, weil sie durch Verkleinerung ihres Gebietes in ihrem Bestand gefährdet wurden. Vom Kreis Höchst wurde insbesondere die Kreisstadt Höchst mit den Vororten Sindlingen, Unterliederbach und Zeilsheim eingemeindet. Zwei Drittel seiner ursprünglichen Einwohner gingen dem Kreis verloren. Als Gegenmaßnahme boten sich die Zusammenlegung der Restkreise und eine Neugliederung der angrenzenden Kreise an. Wesentliche Impulse zu dieser Gebietsreform gingen vom Landrat des Kreises Höchst, Wilhelm Apel (SPD) und vom preußischen Innenminister Grzesinski (SPD) aus, der größere Landkreise forderte.  

Bevor am 20. März 1928 der preußische Landtag in dritter Lesung das Gesetz über die Neugliederung annahm, wurden die Gesetzentwürfe in und mit den betroffenen Kommunen intensiv diskutiert, teilweise von heftigen Bürgerprotesten begleitet. Die endgültige Lösung ergab, dass im neuen Main-Taunus-Kreis die Restkreise Höchst und Wiesbaden zusammengefasst wurden. Hinzu kam ein großer Teil des ebenfalls aufgelösten Hilfskreises Königstein, der durch die Besatzungsverhältnisse nach dem I. Weltkrieg geschaffen worden war; auf eigenen Wunsch außerdem fünf Gemeinden des Untertaunuskreises. Landrat Apel konnte seine weitergehenden Vorstellungen nicht durchsetzen; er wollte z. B. auch Königstein, Kronberg und Steinbach im Main-Taunus-Kreis haben.  

Durch seine Initiative und Hartnäckigkeit hatte er aber erreicht, dass zwischen den wachsenden Großstädten Frankfurt und Wiesbaden ein starker Landkreis mit Zukunftsperspektiven entstand und dass nach seinen Vorstellungen Höchst Kreisstadt des neuen Kreises wurde, auch wenn sie außerhalb des Kreisgebietes lag. Es war deshalb folgerichtig, dass Apel vom Kreistag am 17. Dezember 1928 einstimmig in seinem Amt als Landrat bestätigt wurde, das ihm der preußische Innenminister nach der Neubildung des Kreises am 1. April 1928 kommissarisch übertragen hatte.  

Neben der wirtschaftlichen Verknüpfung des Kreises mit dem Industriestandort Höchst war auch die verkehrliche Anbindung der Kommunen an die Kreisstadt ein zentrales Argument für seinen Vorschlag, Höchst als Sitz der Kreisverwaltung beizubehalten. Da viele Bürger noch auf eine Bahnverbindung angewiesen waren, bot Höchst als ein Knotenpunkt mehrerer Bahnlinien die besseren Verkehrsverbindungen als andere Kommunen im Kreis.  

Für die Beibehaltung von Höchst als Kreisstadt hat sicher auch das dort vorhandene Kreisverwaltungsgebäude gesprochen, das direkt neben dem Amtshaus des früheren kurmainzischen Amtes Höchst in der Bolongarostraße neu erbaut und 1892 fertiggestellt worden war. 1911 wurde es umgebaut und vergrößert; es war also 1928 noch in einem relativ neuwertigen Zustand. Es bot damals auch für den neuen Kreis und seine Verwaltung genügend Platz. Nach dem ersten Stellenplan des Kreises aus dem Jahr 1934 bestand die Verwaltung damals aus 20 Beamten und 28 Angestellten. Im Kreishaus war sogar noch Platz für vier Dienstwohnungen: Neben dem Landrat wohnten der „Kreisbotenmeister“, der „Kreiskraftwagenführer“ und der „Kreisamtsgehilfe“ im Kreishaus. In der Zeit der beginnenden Weltwirtschaftskrise 1929 mit ihren negativen Auswirkungen auf den Kreishaushalt hatten die Verantwortlichen des Kreises wenig Interesse daran, ein neues Kreishaus in einer anderen Kommune zu bauen.   

Was sprach für die Kreisstadt Hofheim?  

Bei den politischen Diskussionen um den neuen Main-Taunus-Kreis und seinen Gebietszuschnitt spielte trotzdem auch die Frage der Kreisstadt eine Rolle. Nicht nur Hofheim forderte den Sitz der Kreisverwaltung innerhalb des Kreisgebietes und warb für sich mit der günstigen zentralen Lage. Auch andere Kommunen des neuen Kreises sahen sich zur Kreisstadt berufen. Die Diskussion um den Kreissitz setzte sich auch nach der Kreisgründung 1928 fort, sodass sich die preußische Regierung im Oktober 1929 veranlasst sah, eigens eine ministerielle Verfügung zu erlassen, mit der der Sitz der Kreisverwaltung in Höchst angeordnet wurde.  

1928 waren Hofheim und Hochheim die einzigen Städte im Kreis. Hofheim hatte aber eindeutig die zentralere Lage und war mit 4.972 Einwohnern deutlich größer als Hochheim mit 4.082 Einwohnern. Durch die Eingemeindung Marxheims 1938 wurde Hofheim zur größten Kommune im Kreis und blieb es auch nach den folgenden Gebietsreformen bis heute. Historisch betrachtet haben mehrere Orte im Kreisgebiet schon zentrale Funktionen ausgeübt. Ein Amt Hofheim gab es schon seit der Stadtgründung 1352. Zu diesem Amt gehörten anfangs die Gemeinden Hattersheim, Kriftel, Marxheim, Sindlingen und Zeilsheim sowie drei untergegangene Orte. Es wurde zwar 1586 durch einen gemeinsamen Amtmann mit dem Amt Höchst zusammengeführt, blieb aber sonst unter der Leitung eines Kellers selbstständig. Seit 1720 war der Amtssitz des Kellers das auch heute so genannte Kellereigebäude in Hofheim. In der Anfangszeit der Zugehörigkeit Hofheims zum Herzogtum Nassau ab 1803 wurde Hofheim für kurze Zeit (von Oktober 1803 bis Dezember 1809) nochmals ein selbstständiges Amt mit eigenem Amtmann.  

Im sogenannten Ländchen, das bis 1802 zu Hessen-Darmstadt gehörte und dann auch zu Nassau kam, hatte das Amt Wallau zentrale Funktionen. Im Herzogtum Nassau bestand es bis 1817 weiter und wurde danach mit dem Amt Hochheim zusammengelegt. Das Amt Hochheim ging dann unter preußischer Herrschaft 1867 in den Landkreis Wiesbaden über. Wenn man Eppstein als früher bedeutenden Herrschaftssitz hinzurechnet, gab es also 1928 im Main-Taunus-Kreis vier Orte, die in der Geschichte zentralörtliche Erfahrungen gewonnen hatten. Hofheim zeichnet sich aber gegenüber den anderen Orten zweifellos durch seine zentrale und günstige geografische Lage aus. Daran, dass schon die Römer die exponierte und zentrale Lage des heutigen Landratsamtes erkannten und für die Anlage eines Kastelles nutzten, erinnerte heute die Römersäule am Landratsamt.  

Die Zeit der Nazi-Herrschaft  

Das Thema Kreisstadt Hofheim kam mit dem Beginn der Nazi-Herrschaft 1933 erneut auf die politische Tagesordnung. Nach der sogenannten Machtergreifung Hitlers am 30. Januar 1933 sicherten die Nazis ihre neu gewonnene Macht sehr schnell bis zu den unteren Verwaltungsebenen hin ab. Schon am 12. Februar 1933 wurde der als aktiver Nazi-Gegner bekannte Landrat Apel vom damaligen preußischen Innenminister Hermann Göring vom Dienst suspendiert und wenig später entlassen. An seiner Stelle wollte Kreisleiter der NSDAP des Main-Taunus-Kreises, der Chemiker Dr. Franz Brunnträger, unbedingt Landrat werden. Der in der Verwaltung erfahrenere Jurist Dr. Ernst Janke, von 1911 bis 1919 Oberbürgermeister von Höchst, wurde ihm trotz der Fürsprache des Gauleiters Sprenger aber vorgezogen. Brunnträger wurde Landrat im Kreis St. Goarshausen. Janke amtierte ein Jahr über die Altersgrenze von 65 Jahren hinaus bis zum 31. Mai 1939 als Landrat und wohnte wie Apel in der Dienstwohnung im Kreishaus in Höchst. Erst nach der Pensionierung Jankes konnte Brunnträger seine Wunschposition im Main-Taunus-Kreis erreichen.  

Der Hofheimer NSDAP-Ortsgruppenleiter Georg Kaufmann sprach das Thema Kreisstadt schon beim ersten öffentlichen Besuch des Landrates Janke in Hofheim an. Bei der Begrüßung des Landrates am „Tag der nationalen Arbeit“, dem 1. Mai 1933, erklärte er, die Verlegung des Kreissitzes nach Hofheim sei der dringende Wunsch der Bevölkerung. Landrat Janke sagte ihm in seiner Antwort seine volle Unterstützung in dieser Frage zu. Dass dies nicht nur ein Lippenbekenntnis war, zeigt ein bisher kaum bekannter Plan für ein Kreishaus in Hofheim. Nach einem Lageplan des Kreisbaumeisters vom September 1934, der sicher von Janke in Auftrag gegeben worden war, sollte das Kreishaus in der Nachbarschaft des damaligen St. Marien-Krankenhauses, heute Kreiskrankenhaus liegen. Die Ansicht des geplanten Gebäudes zeigte, dass es in seiner Größe eher bescheiden konzipiert war. Für die rund 50 Bediensteten der damaligen Kreisverwaltung hätte es gereicht, zumal der Kreistag von den Nazis abgeschafft worden war und ein großer Sitzungssaal nicht mehr benötigt wurde. Diese Kreishauspläne wurden nicht zu Ende geführt, vermutlich deshalb, weil die Nazis wegen der Aufrüstung und des späteren Krieges andere Prioritäten setzen mussten.                                   

Lageplan des 1934 in Hofheim geplanten Kreishauses an der Lindenstraße - Foto: Kreisarchiv Main-Taunus-Kreis

Die Planung für ein Kreishaus in Hofheim war nicht das einzige Zeichen dafür, dass Hofheim zentrale Funktionen übernehmen sollte. Bis 1933 hatte der Kreis nur zwei zentrale Einrichtungen: Das Kreisaltersheim in Bad Soden und die Tierkörperverwertungsanstalt in Oberliederbach. Es gab aber keine weiterführenden öffentlichen Schulen im Main-Taunus-Kreis. Im Oktober 1937 beschloss der Kreisausschuss die Einrichtung der zentralen Kreisberufsschule im Kellereigebäude in Hofheim, in dem bis 1928 die Volksschule untergebracht war. Die in verschiedenen Gemeinden bestehenden Berufs- und Fortbildungsschulen wurden damit zusammengefasst. Von Ostern1938 bis März 1943 blieb die Berufsschule in Hofheim, wurde dann aber wegen des kriegsbedingten Lehrermangels vorübergehend geschlossen. Erst im September 1948 wurde sie im Kellereigebäude wiedereröffnet.  

Bevor der als Nachfolger von Landrat Janke bestimmte Franz Brunnträger sein Amt in Höchst am 1. Juni 1939 antrat, hatte er sich offensichtlich schon nach einer für ihn angemessenen Dienstwohnung umgesehen. Die Wohnung seiner Vorgänger im Kreishaus in Höchst behagte ihm wohl nicht, vermutlich weil sie ihm zu wenig repräsentativ erschien. Er fand Gefallen an einer Villa in bevorzugter Lage am Kapellenberg in Hofheim, deren Besitzerin Emma Kopp Jüdin war. Die seit 1909 in ihrer Villa in Hofheim, ehemals Deschweg 2, heute Rödersteinweg lebende Malerin Ottilie Röderstein hatte in der wohlhabenden Tochter eines Frankfurter jüdischen Industriellen eine Schülerin und Freundin gefunden, die sie auch mehrfach porträtiert hat. Emma Kopp lies in der Nachbarschaft Rödersteins im Deschweg eine herrschaftliche Villa bauen, die sie 1911 bezog.                        

Villa Kopp am Kapellenberg in Hofheim, rechts oben am Waldrand, Dienstvilla des Landrates Brunnträger von 1939 bis 1945, Foto um 1912 - Foto: Stadtarchiv Hofheim

Damit Brunnträger sie als Dienstvilla beziehen konnte, wurde Emma Kopp Ende 1938, Anfang 1939, als die sogenannte Arisierung jüdischen Eigentums schon längst auf der Tagesordnung war, bedrängt, ihre Villa an den Main-Taunus-Kreis zu verkaufen. Bürgermeister Meyrer wurde vermittelnd eingeschaltet, der ihr in der Nähe eine Mietwohnung verschaffte. Der Kaufpreis wurde auf 23.000 RM festgesetzt, obwohl der Wert des Anwesens nach späterer Schätzung damals rund 57.000 RM betragen haben soll. Sie musste am 5. Februar 1939 ausziehen. Der neue Landrat Brunnträger konnte also bei seinem Dienstantritt am 1. Juni 1939 auch seine herrschaftliche Dienstvilla in bester Lage beziehen, die er bis zu seiner Flucht vor den einmarschierenden Amerikanern im März 1945 als erster Landrat mit Wohnsitz in der späteren Kreisstadt Hofheim bewohnte. Emma Kopp starb schon 1941, die Deportation in ein Vernichtungslager ist ihr erspart geblieben.  

Demokratischer Neubeginn  

Nach der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands am 8. Mai 1945 setzten die Amerikaner in ihrer Besatzungszone als Leiter der bestehenden öffentlichen Verwaltungen Personen mit Verwaltungserfahrung ein, die politisch unbelastet oder Verfolgte des Nazi-Regimes waren. Als Landrat des Main-Taunus-Kreises bestimmten sie den von den Nazis 1933 als Bürgermeister der Stadt Oberlahnstein entlassenen Dr. Walter Weber. Sein Stellvertreter wurde der frühere Kreistagsabgeordnete Heinrich Weiß (SPD) aus Hofheim-Marxheim.  

Der Verwaltungsjurist Dr. Weber war Magistratsassessor bei der damals noch selbstständigen Stadt Höchst, bevor er im Juni 1920 Bürgermeister der Stadt Oberlahnstein wurde. Er war nicht parteigebunden und hatte sich in der Zeit der Weimarer Republik große Verdienste um seine Stadt erworben. Mit den Nazis hatte er nichts gemein; jedenfalls haben sie ihn bei seiner Wiederwahl 1932 nicht mitgewählt. Im November 1933 wurde er nach dem Nazi-Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom Dienst suspendiert. Nach seiner endgültigen Entlassung zog Weber im April 1934 nach Hofheim in die heutige Rheingaustraße. Er wurde aber auch hier von den Nazis als potenzieller Gegner weiter überwacht.  

Als Landrat war seine vordringlichste Aufgabe, auf der Kreisebene für die Begrenzung und Behebung der durch Krieg und Zusammenbruch entstandenen Notstände zu sorgen, z. B. in der Lebensmittelversorgung, der Wohnraumbeschaffung oder im Gesundheitswesen. Dazu kamen aber auch ungewöhnliche Aufgaben, die die Besatzungsmächte stellten.  

Die Amerikaner richteten in allen Landkreisen ihrer Besatzungszone Dienststellen des Kreiskommandanten der Militärregierung ein. Für den Main-Taunus-Kreis wählten sie als Sitz des Kreiskommandanten nicht die Kreisstadt Höchst, sondern Hofheim. Das Gebäude der Dienststelle, zu der auch ein „Einfaches“ und „Mittleres“ Militärgericht gehörten, war das heutige Verwaltungsgebäude der AOK in der Wilhelmstraße. Als Folge der amerikanischen Militärgerichte wurde in Hofheim auch ein Kreisgefängnis benötigt, das hauptsächlich als Untersuchungsgefängnis diente. Dieses Gefängnis richtete der Kreis in dem ehemaligen Schulgebäude in der Burgstraße 11 ein, das heute als Altbau des Hofheimer Stadtmuseums genutzt wird. Die Fenster des Gebäudes wurden vergittert, was noch heute an den Fenstergewänden zu sehen ist. Das Gefängnis bestand von Juli 1945 bis zum August 1948.            

Ehemaliges Kreisgefängnis in Hofheim, heute Altbau des Stadtmuseums. Foto: privat

In dem Gefängnis wurden Untersuchungshäftlinge, Strafgefangene der Militärregierung und Polizeigefangene untergebracht, im Durchschnitt 30 pro Monat, die von drei Gefängniswärtern des Kreises bewacht und versorgt wurden. Hauptschuldige und Belastete des Nazi-Regimes mussten bis zum Urteilsspruch mit Untersuchungshaft rechnen. Einer der prominenten Gefangenen war der NS-Ortsgruppenleiter und kommissarische Bürgermeister von Hofheim Georg Kaufmann. Vor dem Einmarsch der Amerikaner am 28. März 1945 war er aus Hofheim geflohen. Wegen des gegen ihn laufenden Spruchkammerverfahrens wurde er im Dezember 1946 verhaftet und im Kreisgefängnis inhaftiert. Es gelang ihm zwar in der Nacht vom 14. auf den 15. Juni 1947 die Gitterstäbe eines Fensters durchzufeilen und zu fliehen. Da er sich aber beim Sprung aus dem Fenster verletzte, kam er nicht sehr weit. Die Spruchkammer Hochheim verurteilte ihn am 23. Juli 1947 als NS-Aktivisten zu vier Jahren Arbeitslager.  

Dr. Walter Weber schied im Juni 1946 aus seinem Amt aus, nachdem der am 26. April 1946 neu gewählte Kreistag seinen Nachfolger bestimmt hatte, blieb aber bis zu seinem Tod 1966 in Hofheim wohnen. Bei der Kreistagswahl erreichten nur CDU und SPD mehr Stimmanteile als das damals geltende Quorum von 15 %. Die CDU bekam 17 von 31 Sitzen im Kreistag und wählte den Landrat des Kreises Gießen, Dr. Joseph Wagenbach (CDU), zum Landrat des Main-Taunus-Kreises. Er blieb es 20 Jahre lang bis zur 6. Wahlperiode des Kreistages (1964 bis 1968), in der Dr. Valentin Jost (SPD) von einer SPD/FDP-Koalition zu seinem Nachfolger gewählt wurde. Beide Landräte bauten ihre Wohnhäuser in Hofheim.  

Mit Landrat Dr. Wagenbach setzte der Kreis den Ausbau zentraler Einrichtungen in Hofheim fort. 1948 wurde die Kreisberufsschule im Kellereigebäude wiedereröffnet. Sie blieb bis zur Eröffnung der neuen Kreisberufsschule am 31. Mai 1958 dort, die vom Kreis in den Brühlwiesen gebaut wurde. Auch bei den weiterführenden Schulen engagierte sich der Kreis in Hofheim. 1939 hatte die Stadt Hofheim eine städtische Real-Mittelschule gegründet, die ab 1940 in dem Gebäude des Georgischen Kinderheimes für behinderte Kinder am Langenhainer Weg (heute Langenhainer Straße) untergebracht war. Nach dem Tod der Mitbegründerin des Heimes Elisabeth Georgi war die Einrichtung geschlossen worden und die Stadt hatte das stattliche Haus erworben, das auf die Dauer als Realschule aber zu klein wurde. Ab 1954 wurde unter der Trägerschaft des Kreises in den Brühlwiesen eine neue Kreismittelschule gebaut, die am 16. Dezember 1955 eingeweiht wurde.     

Ehemaliges Georgisches Kinderheim (rechts außen) um 1910, ab 1956 Keimzelle des ersten Kreisgymnasiums (Postkarte) - Foto: Stadtarchiv Hofheim

Etwa zu gleichen Zeit hatte der Hessische Minister für Volksbildung entschieden, dass unter der Trägerschaft des Kreises in Hofheim ein neunstufiges Gymnasium „mit Koedukation“ gegründet werden soll. Es wurde zunächst in dem durch den Neubau der Kreismittelschule freigewordene früheren Georgischen Kinderheim untergebracht. Zum Schuljahresbeginn 1956 eröffnete Landrat Dr. Wagenbach dort die erste höhere Schule des Kreises, das Gymnasium Main-Taunus. Von 1959 bis 1961 wurde am Rosenberg die Main-Taunus-Schule neu gebaut und am 26. August 1961 als Gymnasium in Hofheim eingeweiht. Nach der Neugliederung des Schulwesens in Hessen folgte 1976 bis 1977 der Bau der ersten Gymnasialen Oberstufe des Kreises in den Brühlwiesen in Hofheim.  

Eine weitere zentrale Einrichtung des Kreises, die in Hofheim angesiedelt wurde, war das Straßenverkehrsamt, das ab 1. April 1946 dem Kreis vom Land übertragen worden war. Die Kraftfahrzeug-Zulassungsstelle des Main-Taunus-Kreises wurde zunächst auf dem Gelände des heutigen Busbahnhofs in einem Pavillon eingerichtet. 1974 wurde sie in angemietete Räume in der Niederhofheimer Straße, Ecke Stegskreuz in Hofheim-Nord verlegt, um dann endlich in einem nach dem PPP-Modell (Public-Pivate-Partnership) für die Zulassungsstelle errichteten Gebäude an der Ecke Niederhofheimer Straße / In den Nassen dauerhaft geparkt zu werden. Widersinnig war es schon, dass über Jahrzehnte in Hofheim als Autokennzeichen FH für Frankfurt-Höchst ausgegeben wurde. Deshalb ist die 1977 im Rahmen der Kreisstadtdiskussion erhobene Forderung des damaligen FWG-Stadtverordneten Günter Rühl gut zu verstehen: „Aus FH muss endlich HF werden“. Es dauerte aber noch bis zum 2. Februar 1980, bis aus FH zwar nicht HF, aber doch MTK wurde.  

Trotz der Konzentration zentraler Einrichtungen des Kreises in Hofheim war die Verlegung des Kreissitzes ins Kreisgebiet und der Neubau eines Kreishauses zunächst kein vorrangiges politisches Thema. In der Amtszeit Dr. Wagenbachs wurde der Standort Höchst wegen der ständig wachsenden Kreisverwaltung ausgebaut. Waren es 1958 noch etwa 190 Beamte, Angestellte und Arbeiter in der Kreisverwaltung, wuchs diese Zahl 1966 auf etwa 240 und 1977 auf 350, die Bediensteten der Kreiseinrichtungen wie Krankenanstalten oder Schulen nicht mitgerechnet. Das Kreishaus in Höchst erhielt einen Erweiterungsbau für Kreisbauamt und Gesundheitsamt, der 1966/67 nochmals erweitert wurde. Eine dauerhafte Lösung war damit aber noch nicht gefunden. In seiner Haushaltsrede im Februar 1963 hatte sich Landrat Dr. Wagenbach zum wiederholten Mal für die Verlegung des Kreissitzes ins Kreisgebiet und einen Verwaltungsneubau eingesetzt und einen entsprechenden Grundsatzbeschluss des Kreistages gefordert. Als Standort des Verwaltungsneubaues empfahl er die Brühlwiesen in Hofheim. Im Kreistag kam es aber zu keinen Beschlüssen in dieser Richtung, das „Provisorium“ Kreisstadt Höchst blieb weiter bestehen.   

Die Zeit der Gebietsreform in Hessen  

In der Amtszeit von Dr. Jost von 1966 bis 1977 kam Bewegung in die Diskussion um den Kreissitz, vor allem durch die nach der Landtagswahl 1970 vom Land Hessen betriebene Gebietsreform. In einer Stellungnahme des Kreistages zu Vorschlägen des Hessischen Innenministers zur Neugliederung auf Gemeindeebene vom 27. September 1971 heißt es eindeutig: „Im Zusammenhang mit der Durchführung der gemeindlichen Gebietsreform im Main-Taunus-Kreis wird Hofheim Sitz der Kreisverwaltung“. Der Kreisausschuss wurde aufgefordert, mit der Stadt Hofheim über eine sach- und zeitgerechte Verlegung des Kreissitzes nach Hofheim zu verhandeln. Da sich die Beratungen der Gebietsreform auf Landesebene lange hinzogen, gab es Anfang 1974 neue Vorschläge des Innenministers zur Neugliederung, in denen der Erhalt des Main-Taunus-Kreises in verkleinerter Form und die Verlegung der Kreisverwaltung nach Hofheim vorgeschlagen wurden. In seiner Stellungnahme sprach sich der Kreistag am 12. März 1974 einstimmig gegen die Verkleinerung des Kreises aus, stimmte aber erneut der Verlegung des Kreissitzes nach Hofheim zu. 

Das am 26. Juni 1974 vom Landtag beschlossene Gesetz zur Neugliederung des Main-Taunus-Kreises brachte eine Verkleinerung des Kreises, aber nicht in dem Umfang, wie ursprünglich geplant: Niedernhausen und Nachbargemeinden kamen zum Rheingau-Taunus-Kreis, Nordenstadt, Delkenheim und vier andere Gemeinden des Kreises wurden von Wiesbaden eingemeindet. Trotz des eindeutigen Votums des Kreistages wurde aber Hofheim nicht Sitz der Kreisverwaltung, sondern es blieb Frankfurt-Höchst. Vermutlich hatte sich bei den Beratungen im Landtag die Stadt Frankfurt mit ihrem Interesse durchgesetzt, die Kreisverwaltung in Höchst zu behalten.  

Aus der neuen Lage versuchte der Kreisausschuss die Konsequenzen zu ziehen, um die drängenden Raumprobleme für die Kreisverwaltung in Höchst zu lösen. 1974 wurde in der Nachbarschaft des Kreishauses ein Grundstück für einen Neubau eines Verwaltungsgebäudes erworben. Im Etat für 1976 wurden Planungskosten für den Neubau veranschlagt, der 1976 bis 1977 gebaut werden sollte. Es ist klar, dass es für unabsehbare Zeit keine Kreisstadt Hofheim gegeben hätte, wenn diese Pläne verwirklicht worden wären.  

Nach den für die SPD desaströsen Kommunalwahlen am 20. März 1977 wurde die Frage des Kreissitzes erneut diskutiert. Im Main-Taunus-Kreis hatte die CDU die absolute Mehrheit errungen und wählte mit Dr. Bernward Löwenberg (CDU) den neuen Landrat, der schon in seiner ersten Haushaltsrede am 6. März 1978 die Mittel für Grunderwerb und Planung eines neuen Kreisverwaltungsgebäudes begründete. Vor der Landtagswahl im Oktober 1978 gab es in Wiesbaden aber keine neue Entscheidung zum Kreissitz. Danach war man sich aber so sicher, dass eine Entscheidung für Hofheim kommen würde, dass in Hofheim Ende 1978/Anfang 1979 die öffentliche Diskussion über die Standortfrage begann. Wie bei den meisten größeren Bauvorhaben bildeten sich Bürgerinitiativen gegen bestimmte Standorte. Die BI Hochfeld kämpfte gegen den heutigen Standort des Kreishauses, weil sie die Verkehrsbelastung ihres Wohngebietes und den Verlust der wohnsitznahen freien Landschaft fürchtete. Sie kündigte an, mit allen rechtlichen Mitteln gegen den Kreishausbau vorzugehen. Da auch das Baugebiet am Steinberg als Standort für das Kreishaus ins Gespräch kam, bildete sich auch dort eine Bürgerinitiative dagegen. Sie schlug als Standort den Nordring vor, also die heutige Lage des Finanzamtes Hofheim.  

Die Entscheidungen auf der kommunalpolitischen Ebene fielen aber trotzdem weitgehend einvernehmlich. Schon am 12. März 1979 stimmte der Kreistag dem Vertrag mit der Stadt Hofheim über Sitz und Verlegung des Kreissitzes zu, in dem der Standort Hochfeld festgelegt war. Die Entscheidung des Landtages folgte am 10. Juli des gleichen Jahres, allerdings fast in einem Nebensatz des Gesetzes, das das Ende der Stadt Lahn besiegelte. Im „Gesetz über die Neugliederung des Lahn-Dill-Gebietes usf.“ wurde als Artikel 5 aufgenommen: „Sitz der Kreisverwaltung des Main-Taunus-Kreises ist die Stadt Hofheim am Taunus“. Dieser Artikel trat am 1. Januar 1980 in Kraft. Damit war die Jahrzehnte andauernde Diskussion um den Kreissitz abgeschlossen. 170 Jahre nach dem Ende des Amtes Hofheim im Herzogtum Nassau war Hofheim wieder „Amtssitz“ geworden.                     

Hessentag 1988 in Hofheim mit Neubau des Kreishauses und Landesausstellung auf dem Hochfeld. (Luftbild) - Foto: Stadtarchiv Hofheim

Bis zum Umzug der Kreisverwaltung von Höchst nach Hofheim dauerte es aber noch weitere sieben Jahre. Der damaligen CDU/FDP-Koalition im Kreistag erschien die Neuverschuldung des Kreises problematisch, die eingetreten wäre, wenn der Kreis das neue Kreishaus auf dem Hochfeld selbst gebaut hätte. Deshalb entschied sie sich für ein PPP-Modell, bei dem die privatwirtschaftliche „Main-Taunus-Kreishaus-Gesellschaft - Gesellschaft bürgerlichen Rechts (MTK-GbR)“ das Verwaltungsgebäude nach den Vorstellungen des Kreises errichtete und die Kreisverwaltung danach als Mieter einzog. Im November 1984 wurde der Grundstein für das Kreishaus, das heute Landratsamt heißt, gelegt. Am 11. September 1987 fand die Einweihung statt. Auf die Dauer gesehen wurde die Finanzierungsform des Neubaus, die von der Opposition von Anfang an kritisiert wurde, für den Kreis immer unwirtschaftlicher. Deshalb erwarb der Kreis auf Betreiben von Landrat Berthold Gall (CDU) das Kreishaus im August 2005 von der MTK-GbR und ist jetzt auch Eigentümer seines Amtssitzes in Hofheim.  

Von den etwa 84 Jahren, die der Main-Taunus-Kreis besteht, ist Hofheim inzwischen seit 23 Jahren die Kreisstadt, also wenig mehr als ein Viertel der Zeit, in der es den Kreis gibt. Ob der Kreis und damit Hofheim als Kreisstadt dauerhaft bestehen bleiben werden, ist eine andere Frage. Die frühere Diskussion über eine Zusammenlegung des Main-Taunus-Kreises mit dem Hochtaunuskreis, die vom damaligen Landrat des Hochtaunuskreises Jürgen Banzer (CDU) angestoßen wurde, oder das von SPD und Grünen favorisierte Regionalkreismodell zeigen, dass - wie in der Vergangenheit – Veränderungen der Verwaltungsorganisation und in der Folge des Status der Kreisstadt jederzeit möglich sind.   

Quellen  

Jost, Valentin (Hrsgb.): Main-Taunus-Almanach 1967+1968. Frankfurt-Höchst 1968.   

Jost, Valentin (Hrsgb.): Main-Taunus-Almanach '77. Frankfurt-Höchst 1977.   

Koch, Rainer: Der Main-Taunus-Kreis von 1928 bis zur Gebietsreform. Rad und Sparren. Zeitschrift des Historischen Vereins Rhein-Main-Taunus e. V., Heft 32, Kelkheim, 2003.   

Reuschling, Dieter: 75 Jahre SPD-Kreistagsfraktion im Kreistag des Main-Taunus-Kreises. Zwischen Main und Taunus, MTK-Jahrbuch 2004. Hofheim, 2003. S. 22-29.   

Schmidt, Anna: Hofheim 1933-1945. Sieben Gemeinden im Nationalsozialismus. Publikation zur Ausstellung „Verdrängt, verleugnet, vergessen ….“, Stadtmuseum Hofheim, 3. 7.-2. 10. 2005. Hofheim, 2005.   

Wagenbach, Joseph: Neues Schaffen im Main-Taunus-Kreis. Ansprache des Landrates zur Eröffnung der Kreistagssitzung am 29. 9. 1947. Frankfurt-Höchst, 1947.   

Worbs, Bert: 75 Jahre Main-Taunus-Kreis. Streiflichter aus der Kreisgeschichte. Zwischen Main und Taunus, MTK-Jahrbuch 2003. Hofheim, 2002, S. 13-17.     

Amtsblatt des Main-Taunus-Kreises 1958 ff.   

Haushaltspläne des Main-Taunus-Kreises von 1928 bis 1977.   

Verwaltungsberichte des Kreisausschusses des Main-Taunus-Kreises für die Jahre 1928 bis 1935.   

Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden, Abt. 425   

Tageszeitungen: Höchster Kreisblatt             Hofheimer Zeitung             Main-Taunus-Anzeiger, Hofheim (1946-1948)   

Den Hinweis auf das 1934 in Hofheim geplante Kreishaus verdankt der Autor dem Kreisheimatpfleger B. Worbs. 


Der Bericht wurde in „Zwischen Main und Taunus – Jahrbuch des Main-Taunus-Kreises, 2011, 19. Jahrgang, Seite
16-24“ veröffentlicht. Mit freundlicher Genehmigung des Main-Taunus-Kreises und des Autors erfolgt diese Präsentation.



Bearbeitung: Historischer Arbeitskreis Hofheim am Taunus (Wilfried Wohmann)


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