Historisches Hofheim am Taunus

Altes für die Zukunft bewahren!

Wegbereiter der Demokratie in Hofheim


Es waren nicht nur die großen Gestalten der deutschen Geschichte, die sich im 19. Jahrhundert für die Freiheit und für Menschen- und Bürgerrechte eingesetzt haben, sondern auch viele einfachere Bürgerinnen und Bürger an vielen Orten, die für diese Ziele gestanden haben, so auch in Hofheim. Hier können nur diejenigen genannt werden, die wegen der Verfolgung durch die feudalistischen, absolutistischen Regime als Angeklagte oder Verurteilte „aktenkundig“ geworden sind. Es wird aber mit Sicherheit viele mehr gegeben haben, die sie in ihrer Überzeugung unterstützt haben, aber aus unterschiedlichen Gründen nicht bekannt geblieben sind. Von den Genannten selbst, die aus Hofheim stammen, sind leider keine schriftlichen Quellen wie Briefe oder Dokumente erhalten geblieben.

Die französische Revolution von 1789 war in Europa der entscheidende Wendepunkt für die politische Entwicklung von der feudalistischen, absolutistischen Herrschaftsform zur republikanischen Demokratie. Sie hatte auch in kurzer Zeit unmittelbare Folgen für das Kurfürstentum Mainz, zu dem Hofheim damals gehörte. Nach der Besetzung durch französische Truppen wurde in der Landeshauptstadt Mainz 1793 – erstmals in Deutschland – eine Republik gegründet. Sie bestand durch den erfolgreichen Gegenangriff der reaktionären deutschen Staaten unter Führung Preußens  zwar nur insgesamt fünf  Monate, aber ihre psychologische Wirkung auf die Umgebung, die Erfahrung, dass die überkommenen Regime in Deutschland auch überwunden werden können, blieb erhalten. Zum Beispiel auch ausgedrückt durch ein Symbol der französischen und der Mainzer Republik, den so genannten „Freiheitsbaum“.

Nach dem Ende des Kurfürstentums Mainz 1803 kam Hofheim zum neu gebildeten Herzogtum Nassau, das einige staatliche Reformen einführte, u. a. die Leibeigenschaft abschaffte, die Simultanschule einführte und ein landständisches Parlament mit zwei Kammern schuf. Die so genannte Herrenbank war nur von Vertretern des Adels besetzt, die Landesdeputiertenversammlung mit 22 gewählten Vertretern, davon 15 Gutsbesitzer. Das Wahlrecht und die Wählbarkeit waren aber an die Höhe der gezahlten Steuern gebunden, so dass weniger als 1% der Bevölkerung wahlberechtigt war.

Philipp Joseph Weiler (1791-1867) - Foto: privat

Durch eine Verwaltungsreform ging die Kellerei Hofheim in das Amt Höchst über. In der Folge versteigerte die Landesregierung 1819 die Gebäude und das Gelände der Kellerei, die als Verwaltungssitz nicht mehr benötigt wurden. Der Stadtschultheiß Johann Seelig bot dabei für die Stadt bis zum Schluss mit, wurde aber am Ende von dem Hofheimer Kaufmann Philipp Joseph Weiler um 50 Gulden überboten. Schon wenige Jahre später musste die Stadt wegen Raummangel im Kellereigebäude zwei Schulräume von dem neuen Besitzer anmieten. Er bot dann um 1830 der Stadt das ganze Gebäude als Schulgebäude zum Kauf an. Diesen Kauf lehnte die Landesregierung aber ab, sondern forderte den Neubau einer Schule. Dazu erwarb sie das an der Burgstraße neben dem Kellereihof gelegene ehemalige Hofgut und begann gegen den Widerspruch der Stadt dann Anfang 1831 mit einem Neubau im Garten des Hofgutes (Burgstraße 9).

Zu den Rechten der Landstände gehörten die Steuerbewilligung, das Recht neue Gesetze zu beantragen und die in Bittschriften geäußerten Beschwerden einzelner Gemeinden gegen die Staatsregierung des Herzogs vorzubringen. Ein langjähriger Streit zwischen Herzog Wilhelm von Nassau und den Landesdeputierten drehte sich um die Forderung der Landesdeputierten, dass sie auch über die Einnahmen und Ausgaben der Staatsdomänen, immerhin 11,5 % der Landesfläche, entscheiden wollten und nicht allein der Herzog. Dieser "Domänenstreit" führte dazu, dass der Herzog sein Recht in Anspruch nahm, die widerspenstige Deputiertenversammlung am 2. Mai 1831 auf unbestimmte Zeit zu vertagen.

Die Beispiele zeigen, dass die relativ fortschrittliche Nassauer Verfassung von 1814 weit entfernt von einer demokratischen Verfassung war. Bürgerliche Freiheitsrechte, die z. B. in der Mainzer Republik von 1792/93 schon durchgesetzt worden waren, wurden zurückgenommen und durch eine gemäßigte Feudalherrschaft ersetzt. Die Zeit der Restauration der alten Herrschaftsverhältnisse in Deutschland nach dem Wiener Kongress von 1814/15 hatte dann die Einschränkung der Meinungsfreiheit durch Pressezensur, das Verbot politischer Vereinigungen, die Einrichtung einer politischen Polizei zur Überwachung aller revolutionären Bestrebungen in allen Staaten des Deutschen Bundes zur Folge. Gegen alle diese Maßnahmen regte sich in vielen der deutschen Kleinstaaten der Widerstand der sich ihrer Rechte bewussten Bevölkerung, aber auch gegen die hohen Belastungen durch Steuern, Kriegsfolgelasten und Zölle. Der Widerstand führte um 1830 in vielen deutschen Staaten auch zu gewalttätigen Ausschreitungen – auch durch die Juli-Revolution von 1830 in Frankreich beeinflusst.

In Hofheim hatten im März 1831 zwei Drittel der Haushaltsvorstände eine Bittschrift an die Deputiertenversammlung Nassaus gerichtet, in der sie u. a. die Aufhebung von Zöllen, die Rücknahme von Zehntabgaben, aber auch den Ankauf des Kellereigebäudes als Schule an Stelle eines Neubaus forderten. Diese Bittschrift sollte zusammen mit der Stellungnahme der „Bittschriftencommission“ der Deputiertenversammlung am 2. Mai 1831 dort verhandelt werden. Als in Hofheim bekannt wurde, dass der Herzog Wilhelm von Nassau die Versammlung eigenmächtig auf unbestimmte Zeit vertagt hatte, richtete sich der Zorn der Hofheimer Bevölkerung gegen den schon begonnenen Neubau der Schule in der Burgstraße: Er wurde am Abend des 3. Mai 1831 von etwa 30 bis 40 Hofheimern abgerissen. Dieses Ereignis ist als die „Hofheimer Schulhausrevolte“ in die Geschichte eingegangen.

Das Objekt der "Schulhausrevolte": die alte Schule in der Burgstraße - Foto: Heiko Schmitt

Am Abend marschierte noch ein Teil der Revoltierenden nach Hattersheim, um dort den Landesdeputierten Johann Werle, Posthalter in Hattersheim, zu feiern, der von der willkürlichen Entscheidung des Herzogs direkt betroffen war. Am nächsten Tag wurde die Revolte fortgesetzt. Der zur Untersuchung der Ereignisse vom Amt Höchst herbei geeilte Justizrat Hendel wurde aus der Stadt vertrieben, vor dem Rathaus ein „Freiheitsbaum“ errichtet. Diese Ereignisse wurden auch von der Regierung in Wiesbaden als politisches Signal, als Aufruhr gegen das herrschende Regime verstanden. Bei den Prozessen gegen die Teilnehmer der Revolte wurde die Teilnahme an diesen Aktionen deshalb auch als strafverschärfend gewertet.

Der Freiheitsbaum, eine mit Bändern geschmückte Fichte, war seit der französischen Revolution das politische Symbol für die Forderung nach Freiheit. (Guache von Leseur, Musee Carnavalet, Paris)

Am 5. Mai kam aus Wiesbaden eine Regierungskommission, um sich ein Bild der Lage in Hofheim zu machen. Sie sah sich veranlasst, am nächsten Tag hier drei Kompanien Militär zu stationieren, um die Revolte zu beenden, die Beteiligten zu ermitteln und die Hauptverdächtigen zu verhaften. Vom Kriminalgericht Wiesbaden wurden insgesamt 30 Beteiligte angeklagt und im Oktober 1831 verurteilt. Die Höchststrafe von 5 Jahren Haft im „Correctionshaus“ im Kloster Eberbach erhielt als Rädelsführer Bernhard Westenberger. Der Stadtschultheis Johann Seelig wurde seines Amtes enthoben und zu 6 Monaten Gefängnis verurteilt, weil er nicht gegen die Revolte eingeschritten war. Vermutlich hegte er auch gewisse Sympathien mit den Revoltierenden, zu denen auch zwei seiner Söhne gehörten.

Für das politische Selbstbewusstsein der Bürger Hofheims blieb die Revolte nicht folgenlos. In den folgenden Jahren kamen viele von ihnen mit dem autoritären Staat in Konflikt, weil sie ihre Freiheitsrechte in Anspruch nahmen. Im Parlament der 22 Landesdeputierten Nassaus wurde Philipp Joseph Weiler Anfang 1832, also ein Jahr nach der Schulhausrevolte, der 1. gewählte Abgeordnete aus Hofheim. Mit 14 anderen Deputierten, u. a. Georg Hofmann aus Hochheim, verweigerte er Herzog Wilhelm von Nassau wegen des ungelösten Domänenstreites im März 1832 die jährliche "Rente" von 140.000 Gulden. Der Herzog erhöhte daraufhin die Zahl der Abgeordneten der Herrenbank, um die Mehrheit im Parlament zu erringen. Den oppositionellen Landesdeputierten wurde ihr Mandat aberkannt. Ihr schriftlich verteilter Protest gegen diesen Verfassungsverstoß führte dazu, dass die 15 Oppositionellen wegen "Aufreizung zur Steuerverweigerung, zum Ungehorsam und zur Widersetzlichkeit" angeklagt und am 18. 2. 1833 verurteilt wurden, Georg Hofmann aus Hochheim als "Rädelsführer" zu 6 Monaten Correctionshaus, Philipp Joseph Weiler und 10 andere zur Zahlung der Untersuchungskosten.

Zwei Jahre später stand Philipp Joseph Weiler wegen "Preßvergehen und Verbreitung revolutionärer Schriften" erneut vor Gericht und wurde am 12. 8. 1835 zu 6 Monaten Correctionshaus verurteilt. Sein jüngerer Bruder Martin Weiler war wegen des gleichen Deliktes mit ihm angeklagt und wurde zu 1 1/2 Jahren Correctionshaus verurteilt. Es ist unklar, ob für ihn strafverschärfend wirkte, dass er schon im Zusammenhang mit der Schulhausrevolte mit 4 Wochen Gefängnis bestraft worden war. Wegen der gleichen Vergehen wurden im gleichen Prozess aus Hofheim Philipp Kremens, Johann Manzino, Joseph Seelig und der frühere Stadtschultheiß Johann Seelig sowie von der Papiermühle in Kriftel Franz Hugo Wehrfritz zu 9 Monaten Correctionshaus verurteilt. Neben Johann Seelig war auch Johann Manzino schon wegen seiner Beteiligung an der Schulhausrevolte zu Correctionhaus verurteilt worden.

Der zweite Hofheimer Abgeordnete in der Deputiertenversammlung des Herzogtums wurde von 1833 bis 1835 der frühere Stadtschultheiß Johann Seelig, gewählt aus der Gruppe der Grundbesitzer im Wahlkreis Wiesbaden. Wegen seiner vorgenannten Verurteilung 1835 verlor er sein Abgeordnetenmandat.

Durch die Karlsbader Beschlüsse des Deutschen Bundes von 1817 gab es in den Ländern und beim Bund eine systematische Überwachung aller "revolutionärer Umtriebe", die die Ziele der französischen Revolution (Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit), soziale Gerechtigkeit oder die nationale Einheit erreichen wollten.  Wegen der Verfolgung in Deutschland verlagerten sich politische Aktivitäten der demokratischen Kräfte ins Ausland, insbesondere nach Paris, wo eine große Kolonie wandernder Handwerksgesellen (mehr als 20.000) bestand. Dort wurde im Februar 1832 der "Deutsche Volksverein" gegründet, der politische Freiheit und die deutsche Einheit forderte. Aus dem Volksverein ging 1834 der "Bund der Geächteten" hervor, der wegen der schärferen Vereinsgesetze als Geheimbund und hierarchisch-autoritär organisiert war. Seine Ziele waren die Befreiung Deutschlands von absolutistischer Herrschaft, politische Freiheit und soziale Gleichheit.

Von den "Geächteten" spaltete sich Ende 1836 der "Bund der Gerechten" ab, dessen führender Kopf Wilhelm Weitling, Schneidergeselle aus Marburg war. Er verfasste ein Manifest, das kommunistische Ideen auf christlicher Grundlage enthielt. Die "Geächteten" formierten sich unter dem Namen "Bund der Deutschen" 1839 neu, behielten aber ihre politischen Ziele bei. Allen Verbindungen war gemeinsam, dass ihre Mitglieder ihre Ideen und Forderungen nach Deutschland zurückbrachten und dass sie sich dort in kleinen Gruppen, so genannten Zelten, organisierten. Deshalb tat die politische Polizei alles, sie ausfindig zu machen und zu verhaften. So wurden in dieser Zeit auch mindestens drei Hofheimer verhaftet, angeklagt und verurteilt.

Adam Mohr (1812-1881) - Foto: Stadtarchiv Hofheim

Der bekannteste Hofheimer, der wegen "revolutionärer Umtriebe" verhaftet und verurteilt wurde, war Adam Mohr (* 1812, † 1881).  Er ist der Großvater des Gründers der Firma Polar-Mohr, Adolf Mohr. Adam Mohr kam als wandernder Handwerksgeselle über die Schweiz, Italien, Südfrankreich und Algier Ende 1839 nach Paris, wo er sich dem "Bund der Deutschen" anschloss. Durch Denunziation kam er auf die Fahndungsliste der Polizei und wurde nach seiner Rückkehr nach Hofheim dort im Mai 1841 verhaftet. Er wurde vom Hofgericht in Usingen wegen Hochverrat zu vermutlich 3 Monaten Correctionshaus verurteilt. Ähnlich wie Adam Mohr wurden aus Hofheim auch Nikolaus Landler, Schuhmacher und Jakob Christoph Seelig, Küfer am 12. April 1841 vom „Criminalgericht Wiesbaden“ in Untersuchungshaft genommen. Auch sie wurden der Mitgliedschaft im "Bund der Gerechten" angeklagt.

Die jahrzehntelange Unterdrückung demokratischer Bewegungen und soziale Not eines großen Teils der Bevölkerung führten in der Folge der Februarrevolution in Paris im März 1848 überall in Europa zu revolutionären Umstürzen. Der März wurde zum Kennzeichen vieler politischer Begriffe: Der Vormärz ist die Geschichtsperiode vor der Revolution; die "Märzerrungenschaften" stehen für die neu gewonnenen demokratischen Rechte; Märzvereine wurden 1849 zur Verteidigung dieser Rechte gegründet.

Als Folge der Revolution wurde in den Ländern und im Deutschen Reich die Bildung von Parlamenten durch demokratische Wahlen durchgesetzt. In Nassau wurde ein allgemeines, gleiches und geheimes, aber indirektes Wahlrecht für Männer eingeführt. Die Urwähler bestimmten die Wahlmänner, die ihrerseits die Abgeordneten der Ständeversammlung (Landtag) des Herzogtums und der Nationalversammlung des Reiches wählten. Die Urwahlen in Nassau fanden am 18. April 1848 statt.

Franz Hugo Wehrfritz (1806-1888) - Foto: Stadtarchiv Hofheim

Bei der Wahl der Wahlmänner zur „Volkskammer“ am 1. 5. 1848 wurde in dem Wahlkreis Hofheims der Krifteler Papierfabrikant Franz Hugo Wehrfritz (* 1806, † 1888) zum Abgeordneten gewählt; er blieb es bis 1851. Er gehörte zu den Hofheimern, die 1835 wegen "Preßvergehen und Verbreitung revolutionärer Schriften"  zu mehrmonatiger Haft im Correctionshaus verurteilt worden war. Mit Hofheim war er familiär verbunden - er war der Schwager des früheren Hofheimer Stadtschultheiß und Abgeordneten der Deputiertenversammlung Johann Seelig und Schwiegervater von Philipp Kremenz. Die letzten Lebensjahre hat er bei seinem Sohn in Hofheim verbracht, wo er auch gestorben ist und begraben wurde.


Quellen:
Steinmeier, Frank-Walter (Hrsgb.): Wegbereiter der deutschen Demokratie. 30 mutige Frauen und Männer 1789-1918.  München, 2021.
Friedrichs, Heinz F.: Das "Schwarze Buch" der Bundes-Zentralbehörde über revolutionäre Umtriebe 1838-42. Hessische Familienkunde, Band 1, 1948, Spalte 30-54.
Hoffmann, Petra: Adam Mohr (1812-1881). Ein früher Demokrat in Hofheim. Zwischen Main und Taunus. MTK-Jahrbuch 1997. Hofheim, 1996. S. 96-100.
Reuschling, Dieter und Schlecker, Roswitha: Bürgerwille gegen Herrscherwillkür : Hofheim am Taunus - eine Kleinstadt zwischen französischer und deutscher Revolution. Hofheim am Taunus, 2007.
Herzoglich Nassauisches allgemeines Intelligenzblatt Nr. 46, 14. November 1835, S. 60-61.

Bearbeitung: Historischer Arbeitskreis Hofheim am Taunus (Dieter Reuschling)


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