Historisches Hofheim am Taunus

Altes für die Zukunft bewahren!


Hofheimer Personen

 


Gemälde von Ottilie W. Roederstein, 1912 - Foto: Privat

Dr. Elisabeth Hermine Winterhalter


Gynäkologin, Chirurgin, Frauenrechtlerin und Kunstförderin

* 17. Dezember 1856 in München
+ 12. Februar 1952 in Hofheim am Taunus

Kindheit - Jugend - Ausbildung

Elisabeth Winterhalter wurde in München als Tochter des Arztes Georg Winterhalter (1802-1868) und seiner Ehefrau Elisabeth (1816-1892) geb. von Garr als jüngstes von 13 Kindern geboren, von denen allerdings nur 10 heranwuchsen. Als 12-jährige wurde sie auf die Klosterschule in Wolfratshausen/Bayern geschickt. Die berufliche Tradition, als Ärztin Menschen zu helfen, reichte bereits bis zum Urgroßvater zurück und der Wunsch wuchs daher schon mit 12 Jahren in ihr. Nach dem Tod ihres Vaters bestimmte, wie damals üblich, neben ihrer Mutter auch der eingesetzte Vormund ihren weiteren Lebensweg. So trat sie mit 16 Jahren in das neu gegründete Bayerische Lehrerinnenseminar ein. Da zu dieser Zeit eine Ausbildung zur Ärztin für Frauen noch nicht möglich war, schrieb sie sich nach 10-jähriger Lehrerinnen-Tätigkeit 1884 an der Universität Zürich zum Medizinstudium ein.

Hier zeigten sich die ersten entschiedenen Wesenszüge, als Frau ein freies und unabhängiges, sich den bestehenden Konventionen dieser Zeit entgegenzustellendes Leben zu führen. Die Nichtanerkennung des Schweizer Staatsexamens veranlasste sie zu weiteren Facharzt-Ausbildungen in Paris, Stockholm und München.

In ihrer Freizeit unternimmt sie mit befreundeten jungen Frauen diverse sportliche Aktivitäten und wird auch in künstlerische und intellektuelle Kreise eingeführt. In diesem Zusammenhang lernt sie u. a. Gerhard Hauptmann kennen, der sie in seinen Memoiren mit den Worten „Die schöne, zarte und überaus kluge Person besaß eine männliche Eigenschaft, nämlich sie rauchte Zigarren." (Hauptmann 1962, Seite 1058) erwähnte.

Ottilie Roederstein und Elisabeth Winterhalter, um 1890 - Quelle: Roederstein-Jughenn-Archiv im Städel-Museum, Frankfurt am Main
Im Sommer 1885 trifft sie in Zürich auf die drei Jahre jüngere, deutschstämmige Malerin Ottilie W. Roederstein (1859-1937). Zu ihr fühlt sie sich sogleich hingezogen und - da Ottilie gleichfalls in Zürich lebt, gehen die beiden eine Lebenspartnerschaft ein, welche bis an ihr Lebensende Bestand hat. Beide Frauen, begeisterte Alpinistinnen, unternehmen zahlreiche Ausflüge in ihre geliebte Bergwelt und versuchen sich sogar an der Besteigung von Dreitausendern.

Frankfurter Zeit

Da Roedersteins Mutter nach dem Tod des Vaters ein Zusammenleben Ottilies mit Elisabeth in Zürich ablehnte, beschlossen die beiden Partnerinnen 1891, nach Frankfurt am Main umzusiedeln. Ausschlaggebend hierfür war unter anderem auch eine überraschende Einladung von Frankfurter Ärzten, im kurz zuvor gegründeten Krankenhaus des Vaterländischen Frauenvereins eine gynäkologische Praxis zu eröffnen. Auch sah Elisabeth Winterhalter in Frankfurt die Möglichkeit, neben ihrer medizinischen Weiterbildung ihre zweite Passion, die gymnasiale Mädchenbildung sowie die Möglichkeit des Frauenstudiums voranzutreiben. Zu dieser Zeit erlebt Frankfurt eine kulturelle und finanzielle Blüte. Bürgerstiftungen gründen, vor allem auch mithilfe jüdischer Bürger, zahlreiche, die Stadtentwicklung bereichernde Einrichtungen. Das Senckenbergische Institut, das Städelsche Kunstinstitut, der Vorläufer der heutigen Alten Oper sowie die spätere Goethe-Universität verdanken ihre Existenz diesen großzügigen Stiftungen. Die beiden Neubürgerinnen werden bald in die Stadtgesellschaft integriert und ihre Lebenspartnerschaft wird ohne Ressentiments akzeptiert. Sie erhielten Einladungen in die besten Kreise - und während der Vorträge und Lesungen zeichnete Ottilie Roederstein „einen Kopf nach dem anderen“, wie Anwesende später in ihren Lebenserinnerungen berichteten.

Der jüdische Arzt für Neurologie Dr. Ludwig Edinger und seine - ebenfalls aus einer einflussreichen jüdischen Frankfurter Familie stammende - Frau Anna Goldschmidt gehörten mit Elisabeth und Ottilie zu einem Kreis von Gelehrten und Forschern, die sich der Wissenschaft und Weiterbildung verschrieben hatten. Dadurch bot sich ihr auch die Möglichkeit, im Labor des Senckenbergischen Instituts für Pathologie intensiv zu forschen.

Tätigkeiten als Gynäkologin und Vorreiterin in der Frauenheilkunde

Ab 1894 eröffnete sie als eine der ersten Ärztinnen ihre eigene Praxis in der Eschenheimer Anlage 7. Sprechstunden in einer Poliklinik für Frauenkrankheiten im Schwesternhaus Bethanien erweiterte sie durch unentgeltliche sogenannte „Behandlungen für Unbemittelte“, d. h. für notleidende Frauen ohne finanzielle Mittel. An dieser Tatsache ist erkennbar, wie sehr sie die medizinische Berufung mit ihrer menschlichen und sozial-mitfühlenden Einstellung verband.

Als erste deutsche Frauenärztin führte sie gynäkologische Operationen durch, in deren Folge ihr 1895 durch Kollegen ermöglicht wurde, die - für eine Frau wohl weltweit erste - Schnittentbindung, heute bekannt als Kaiserschnitt, anzuwenden.

Erst in den Jahren 1903/04 wurde sie in Heidelberg promoviert, die deutsche Approbation hatte sie schon früher erlangt. Nun durfte sie in den Frankfurter Ärztlichen Verein aufgenommen werden.

Engagement für Frauenbildung und Mädchengymnasium

Zunehmend engagierte sie sich neben der medizinischen Tätigkeit auch politisch.  So wurde sie 1898, 42-jährig, zur Vorsitzenden des Vereins für Frauenbildung und Frauenstudium gewählt. In dieser Funktion initiierte sie mit zwei Mitstreiterinnen das erste Mädchengymnasium Frankfurts, welches nach einigen Jahren in die neu gegründete Schillerschule integriert wurde.

Engagements in der 1900 gegründeten „Sittlichkeitskommision“ sowie im Kongress der Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten kamen hinzu. Aus heutiger Sicht sind diese vielfältigen Einsätze, - da außer dem Telefon keinerlei „moderne Medien“ erfunden waren, doppelt bewundernswert!

Umzug nach Hofheim am Taunus

1907 entstand bei Elisabeth Winterhalter und Ottilie Roederstein der Wunsch, Frankfurt zu verlassen und in das nicht allzu weit entfernte, jedoch idyllische und „mit guter Luft gesegnete“ Hofheim am Taunus zu ziehen. Der ca. 4000 Einwohner zählende Ort warb bei gutsituierten Städtern neben dem gesunden Klima mit preisgünstigem Bauland, steuerlichen Vorteilen sowie einem Kurhaus („Kaltwasseranstalt“) und vielfältigen Erholungseinrichtungen.

Haus Winterhalter/Roederstein, um 1911 - Foto: Privat
Man erstand ein Grundstück am Kapellenberg (damals Deschweg, heute Roedersteinweg 2) und beauftragte den, mit Ottilie Roederstein aus der Städelschule bekannten, Architekten Hermann A. E. Kopf, mit Planung und Bau eines großzügigen Landhauses. Neben dem Atelier für Ottilie Roederstein beheimatete dieses auch ein Gartenhaus sowie Anbauflächen für gärtnerische Produkte. Der Architekt entwarf neben Häusern auch Inneneinrichtungen, Dekorationselemente sowie Wand- und Fußbodengestaltungen; davon zeugt die innere Ausgestaltung des Hauses.

Das Haus erweckte in Hofheim großes Interesse und wurde wegen seines über zwei Geschosse ragenden spitzwinkeligen Daches „Scheuer“ genannt. Später erwerben beide ein gegenüberliegendes Grundstück, auf dem Ottilie Roederstein ein Atelierhaus errichtet, um ungestört und nach genauem Zeitplan malen zu können.

Private Zeiten

1911 beendete Elisabeth Winterhalter wegen eingeschränkten Hörvermögens ihre Frankfurter Tätigkeit und zog sich weitgehend nach Hofheim zurück. Neben dem Erledigen von Haushalt und Finanzen beschäftigt sie sich begeistert mit der Pflege des Gartens und auch dem Studium der zuhauf vorhandenen Bücher, vor allem der literarischen Neuerscheinungen. Die Gründung des Hofheimer Volksbildungsvereins sowie der Stadtbibliothek mit einem Teil des privaten Bücherbesitzes bildeten das Ergebnis dieser intensiven neuen Beschäftigungen.

Als logische Konsequenz dieser Aktivitäten und Ausdruck der intellektuellen Übereinstimmung beider Partnerinnen gründeten sie 1917 die „Roederstein-Winterhalter´sche Stiftung“ für notleidende Künstler und zu Forschungszwecken.

Im Übrigen unterstützte Elisabeth ihre Lebensgefährtin nach Kräften bei ihrer künstlerischen Tätigkeit und lernte dadurch sehr viele interessante Persönlichkeiten kennen, so auch die bekannte Hofheimer Malerin Hanna Bekker vom Rath. Die drei Frauen verband zeitlebens eine enge, von Respekt und Anerkennung für die jeweilige Lebensleistung getragene Freundschaft. Wie der Biografie von Marian Stein-Steinfeld, einer Enkelin Hanna Bekker vom Raths zu entnehmen ist, fasste diese anlässlich des Umzugs nach Kassel ihre Wertschätzung für Elisabeth mit den Worten zusammen: “Frau Dr. Winterhalter ist der einzige Mensch, dem ich mich rückhaltlos öffne.“ Die Ärztin stand ihr 1921 und 1923 bei den jeweiligen Geburten ihrer Kinder bei und wurde von ihr zeitlebens als "Frau Dr. W." angesprochen.

Nicht unerwähnt bleiben sollte die Tatsache, dass Ottilie Roederstein ihre Lebenspartnerin nicht mit "Elisabeth" oder "Hermine" anredete, sondern stets mit "HANS"! Diesen Namen gab sie wohl bereits früher schon ihrer Schwester, - in einem Brief schrieb diese: "Nun hast Du ja einen neuen Hans"!

1929 verlieh die Stadt Hofheim Elisabeth Winterhalter und Ottilie Roederstein eine besondere Auszeichnung. Im Ehrenbürgerbrief für Elisabeth ist zu lesen: „In Anerkennung ihrer großen Verdienste um die Volksgesundheit, die Förderung aller Volksbildungsbestrebungen, Linderung der Not und Betätigung in allen kulturellen und sozialen Fragen der Zeit“ wird ihr das Ehrenbürgerrecht der Stadt Hofheim am Taunus verliehen.

Ausgedehnte Reisen

Elisabeth Winterhalter und Ottilie Roederstein, um 1930 - Quelle: Stadtarchiv Hofheim (Slg. Jughenn)
Beide Damen sind ausgesprochen reisefreudig, daher war es nur konsequent, dass nach Elisabeth Winterhalters Demission ab 1913 eine rege Reisetätigkeit geplant war. Dies begann mit einem Nordafrika - Besuch, an dessen Anfang Tunesien stand, wo diverse Städte mit Cabrio-Auto und auch auf Kamelen besucht wurden. Der Wunsch, diese Reisen fortzuführen, wurde jedoch leider durch den beginnenden Weltkrieg 1914 erst einmal zunichte gemacht. Später, in den 20-er Jahren, besuchte man wieder mit der Amateur-Fotografin Jeanne Smith Mittelmeerländer wie Italien, Griechenland sowie die Inseln Rhodos und Zypern. Auch das Heilige Land sowie die Tempel von Luxor und Assuan standen auf dem Programm.

Die 1930-er Jahre waren geprägt vom aufkommenden und sich immer mehr verfestigenden Nationalsozialismus, der es weiten Teilen der Künstlerkreise sehr schwer machte, noch beruflich tätig zu sein. Elisabeth Winterhalter, Ottilie Roederstein sowie vor allem Hanna Bekker vom Rath unterstützten unzählige Künstlerkollegen, indem sie ihnen in ihrem Atelierhaus Unterschlupf boten und beim Verkauf ihrer Werke behilflich waren. Hier seien allen voran die Namen von Ludwig Meidner, Karl Schmitt-Rottluff und Alexej Jawlensky stellvertretend für viele andere genannt.

Eine letzte Reise führte sie 1937 nach München zum Besuch der Ausstellung: „Entartete Kunst“.

Letzte Jahre


Am 26. November 1937 verstirbt ihre Lebenspartnerin Roederstein im Alter von 78 Jahren. Elisabeth, die als Nachlassverwalterin eingesetzt wurde, kümmert sich mit Hanna Bekker um das wirtschaftliche und künstlerische Erbe. Sie richtet im Atelierhaus eine Erinnerungsstätte ein und ist auch einverstanden, dies 1945 einem weiteren bedürftigen Künstler - Ernst Wilhelm Nay - zu überlassen. Er bewohnt es für 6 Jahre; über 250 Bilder sind das Ergebnis dieser produktiven Zeit.

In ihrem Nachbarn Hermann Jughenn findet sie einen guten Freund, der ihr bei der Verwaltung des großen Nachlasses behilflich ist. Das ehemals beachtliche Stiftungskapital wird allerdings durch die Währungsreform fast vollständig verschwunden sein, Reste werden nach ihrem Tod der Senckenbergischen Gesellschaft und der Heusenstammstiftung zugeschlagen.

Grab auf dem Waldfriedhof Hofheim - Foto: HAH

Am 95. Geburtstag wird sie vom damaligen Bundespräsidenten Theodor Heuß für ihre Pionierleistung „im Rahmen der Öffnung medizinischer Berufswege für Frauen“ geehrt.

Ein Jahr später verstirbt Elisabeth Winterhalter mit 96 Jahren in Hofheim. Sie wurde auf dem Waldfriedhof neben ihrer Lebenspartnerin Ottilie W. Roederstein im gemeinsamen Ehrengrab der Stadt Hofheim beigesetzt.

Ehrungen

  • 1929 - Ehrenbürgerbrief der Stadt Hofheim in Anerkennung ihrer großen Verdienste um die Volksgesundheit und Volksbildungsbestrebungen; 
  • Elisabeth-Winterhalter-Straße - Straße in Frankfurt am Main, Merton-Viertel, Stadtteil Niederursel;
  • Elisabeth-Winterhalter-Weg – Straße in München, Stadtbezirk Hadern.



Quellen:
Marian Stein-Steinfeld - Biografie Hanna Bekker vom Rath – Handelnde für Kunst und Künstler
Heide-Renate Döringer - Ottilie W. Roederstein/Elisabeth H.Winterhalter - Unerschrockene Weggefährtinnen und Kämpferinnen auf dem Weg in die Freiheit
Frankfurts starke Frauen/www.frankfurterfrauenzimmer.de/biografien.html - Biografie Elisabeth Winterhalter
Wikipedia - Dr. Elisabeth Winterhalter / erste deutsche Chirurgin

Wir danken herzlich Frau Ingeborg Luyendyk, der Enkelin des Roederstein-Biografen Hermann Jughenn, für ihre persönlichen Schilderungen und das Überlassen diverser schriftlicher Unterlagen.

Bearbeitung: Historischer Arbeitskreis Hofheim am Taunus (Marie-Luise Thonet)


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